Wissen Das Geschäft mit dem Burn-out

Wissen: Das Geschäft mit dem Burn-out
Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?

Dieser Artikel hat mich krank gemacht. Als ich anfing zu recherchieren, war ich gesund. Ich trainierte gerade für meinen zweiten Marathon und fühlte mich fit. Inzwischen, drei Monate später, ist mein Körper kaputt. »Da haben Sie sich aber ganz schön was eingefangen«, stellte der Arzt bei meinem letzten Besuch fest. Seine Diagnose: organisches Burn-out. Mein Darm sei hinüber, die Schilddrüse zu groß, mein Körper ein einziger Entzündungsherd.

Wie leicht bekommt man als gesunder Mensch ein Burn-out diagnostiziert? Und was steckt hinter all den Therapien, Kuren, Kursen, Pillen und Reisen zur Bekämpfung dieses Massen-leidens der modernen Arbeitswelt? Das hatte ich herausfinden wollen.

Dass es das Burn-out-Syndrom tatsächlich gibt – ebenso wie sinnvolle Therapien dagegen –, daran zweifeln die meisten Experten nicht, auch wenn die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten, ICD-10, Burn-out bislang nicht als Krankheit anerkennt. Fragwürdig ist aber die Karriere des Burn-out-Syndroms, die eher einer Epidemie gleicht. Anfangs waren vor allem Lehrer und Menschen mit sozialen Berufen betroffen. Inzwischen fühlen sich Arbeitslose, die Symptome einer Depression zeigen, ebenso ausgebrannt wie Studenten, die chronisch unausgeschlafen sind, oder Prominente wie Tim Mälzer, Ralf Rangnick, Frank Schätzing und Miriam Meckel. Nach Schätzungen der Betriebskrankenkassen sind inzwischen neun Millionen Deutsche ausgebrannt. Die Zahl der Fehltage wegen Burn-out ist allein in den vergangenen sieben Jahren um das Zwanzigfache gestiegen. Im Schnitt 30,4 Tage fehlen Betroffene in der Arbeit. Etwa drei Milliarden Euro, haben die Betriebskrankenkassen errechnet, fallen jährlich für die Behandlung an. Ebenso hoch schätzen Experten den Schaden durch den Produktionsausfall.

Doch wer ist schuld an der neuen Volkskrankheit? Andreas Hillert, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, behandelt in der Schön Klinik am Chiemsee von Jahr zu Jahr mehr Patienten, die sich ausgebrannt fühlen. Seine Erklärung: »Wir leben in einer Welt, in der die Sicherheit abnimmt und die Leistungserwartung zunimmt.« Die Popularität des Burn-out-Syndroms sei deshalb nicht verwunderlich. »Anders als etwa Depression stigmatisiert Burn-out nicht, sondern entlastet den überforderten Menschen von eigenen und gesellschaftlichen Erwartungen. Man ist lieber ausgebrannt als gescheitert.« Wer ausgebrannt ist, so der gängige Irrglaube, muss zuvor viel geleistet haben: Er muss gebrannt haben für eine Sache.

Arbeitslose fühlen sich ebenso ausgebrannt wie unausgeschlafene Studenten

Im Klartext: Burn-out ist ein kundenfreundlicher Begriff, ein Schlagwort, das verkauft – und zwar richtig gut. Innerhalb weniger Jahre ist ein gigantischer Behandlungsmarkt entstanden, der mindestens so diffus ist wie das Krankheitsbild. Psychotherapien oder Vitaminpräparate, Burn-out-Tango oder Wüstenreisen ohne Handy – es gibt nichts, was nicht irgendwie zur Genesung der Ausgebrannten oder, noch besser, zur Prophylaxe beitragen könnte. Allein die mehr als hundert Burn-out-Ratgeber füllen in den Buchhandlungen lange Regale und empfehlen dem gestressten Leser: Werden Sie achtsam für Ihre Umgebung und das, was in Ihnen passiert. Lernen Sie, die eigenen Empfindungen und Wünsche wieder zu spüren. Beruhigen Sie Ihr Denken, um Ihre Bedenken in Grenzen zu halten. Verwenden Sie hormonneutrale Lichtquellen in Innenräumen und lassen Sie sich im Zweifel von einem Lichtbiologen beraten. Machen Sie Erlebnisübungen zur Konzentration auf das »Hier und Jetzt«. Bauen Sie Ihre individuellen Kraftquellen aus (Gespräche mit Angehörigen, Hobbys, Sport oder genussvolle Aktivitäten). Achten Sie darauf, wie Sie sitzen und wie Sie den Stuhl als Unterlage spüren. Machen Sie zweimal pro Woche Sport. Lassen Sie die Begeisterung wieder in Ihr Leben!

Falls die Begeisterung allein mithilfe eines Ratgebers partout nicht ins Leben zurückkehren will, darf man gern auch etwas mehr Geld ausgeben. 34,95 Euro kostet eine Monatspackung ShyX (»Der natürliche Weg gegen Angst, Panikattacken und Burn-out«), 90 Euro eineinhalb Stunden Burn-out-Therapie mit Shiatsu, 1441 Euro eine Woche Burn-out-Präventionsurlaub auf Rügen, 1400 Euro eine Ausbildung zum Burn-out-Coach in Braunschweig. Dauer: eine Woche. Besondere Voraussetzungen: keine. Und auch Werner Mang, der Schönheitspapst vom Bodensee, wird demnächst ins Burn-out-Geschäft einsteigen: In seiner neuen Schlossklinik in Feldkirchen-Westerham will er sich nicht mehr schrägen Nasen, sondern unter anderem ausgebrannten Patienten widmen.

»Im Wachstumsmarkt Burn-out geht es oft primär um attraktive Angebote, mit denen sich schnell Geld verdienen lässt, nicht um Wissenschaft«, sagt Andreas Hillert zu dieser Entwicklung. »Für den normalen Patienten ist es sehr schwer zu erkennen, welche Behandlung seriös ist und welche nicht.« Denn aussagekräftige wissenschaftliche Studien gibt es kaum. Sich einen Überblick über den ganzen Markt zu verschaffen, würde Monate dauern.

Wie also vorgehen, um als Nichtmediziner klarer zu sehen im Burn-out-Behandlungsdschungel? Ich entscheide mich für einen Selbstversuch bei einem Burn-out-Diagnostik-Institut, das im Radio mit dem Versprechen wirbt: »Wir machen Burn-out messbar«. Würde man mich dort nach Hause schicken mit den Worten: »Tut uns leid, Sie haben leider kein Burn-out?« Auf einen Termin muss ich nicht lange warten. Ein paar Tage später sitze ich im Wartezimmer des Instituts, das ein Allgemeinmediziner und ein Facharzt für Innere Medizin in ihrer Gemeinschaftspraxis gegründet haben. Die Arzthelferin drückt mir einen mehr als zwanzig-seitigen Fragebogen in die Hand.

  • Durchs Radio.
  • Wie viel Toilettenpapier verbrauchen Sie in der Woche? Keine Ahnung.
  • Wie oft essen Sie Hülsenfrüchte? (Äh, was war das noch mal?)

Außerdem soll ich Kreuze oder Zahlen eintragen hinter Sätzen wie:

  • Es bestehen Darm- oder Blasenstörungen (z. B. Reizdarm, Reizblase).
  • Ich fühle mich gehetzt wie in einem Hamsterrad.
  • Ich habe keine Energie mehr, mich mehr als notwendig zu engagieren.

Ich fülle den Fragebogen so wahrheitsgetreu wie möglich aus. Nur bei den typischen Burn-out-Fragen (Hamsterrad, keine Energie, Stress in der Arbeit) vergebe ich ein paar Punkte zu viel. Es folgt ein kurzes Gespräch mit dem Arzt (»Durch welchen Radiosender sind Sie auf uns aufmerksam geworden?«) und ein zweistündiger Rundumcheck inklusive Ruhe-EKG, Lungenfunktionstest, Blutabnahme, Ultraschall – alles bezahlt von meiner gesetzlichen Krankenkasse (die nach Ende der Recherche informiert wurde). Nur einen Nitrostress-Test soll ich selbst bezahlen. Kosten: zwanzig Euro. Viermal puste ich in ein kleines weißes Gerät – dann bin ich krank. »Ihr Nitrostresswert liegt bei vierzig, normal wäre ein Wert zwischen sechs und zehn«, sagt der Arzt und dreht den Bildschirm zu mir, damit ich mich selbst vom maroden Zustand meines Körpers überzeugen kann. Mein Nitro was? »Der erhöhte Stickstoffmonoxidgehalt in Ihrem Atem zeigt, dass sich Ihr Körper gegen irgendetwas wehrt. Jetzt müssen wir nur noch rausfinden, gegen was.« Einen Blick in den Fragebogen zieht er zur Ursachenforschung nicht in Betracht. Stattdessen soll ich zahlen. 205,07 Euro für eine Blut-, Urin- und Stuhluntersuchung.

Eine Woche später verkündet mir der Arzt: »Es ist, wie ich vermutet habe: Das Immunsystem in Ihrem Darm ist total kaputt.« Alle Giftstoffe aus der Nahrung würden direkt in meinen Körper gelangen. Der wehre sich dagegen, dabei entstehe Stickstoffmonoxid. Meine Schilddrüse sei dadurch einer ständigen Gaswolke ausgesetzt. Auch meine Mitochondrien, die Energiekraftwerke meines Körpers, seien deshalb gestört. Der Stress in der Arbeit verstärke alles. »Kein Wunder, dass Sie müde und erschöpft sind. Sie haben ein organisches Burn-out.« Ich bin sprachlos. Ich und krank? Ich lag seit zehn Jahren nicht mehr mit Fieber im Bett!

Der Arzt hat aber auch eine gute Nachricht für mich: »Man kann das behandeln.« Ein aufmunternder Blick. »Sie müssten die Behandlung allerdings selbst bezahlen.« 242 Euro pro Monat. Macht 1452 Euro im halben Jahr – so lange muss ich die sieben Nahrungsergänzungsmittel, die er mir auf einem grünen Bestellzettel ankreuzt, mindestens nehmen. Vielleicht auch ein Jahr. Warum das denn nicht meine Krankenkasse zahlt, wenn ich doch krank bin, will ich wissen. »Wissen Sie, die Nitrostressforschung ist noch recht jung, und Krankenkassen brauchen ja oft sehr lange, bis sie neue Behandlungsmethoden in ihren Katalog aufnehmen.« Ich verlasse die Praxis mit einer Krankschreibung für die folgenden Tage, einem Bestellzettel der Firma Tisso (laut Arzt der Hersteller mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis) und dem Ratschlag, im nächsten halben Jahr besser nicht schwanger zu werden.

Drei Tage später laufe ich meinen zweiten Marathon. Siebzehn Minuten schneller als im Vorjahr.

»Haben Sie denn ­Darm­beschwerden? Blähbauch oder Durchfall?«

Ich will die Meinung eines zweiten Arztes hören. Ebenfalls als Patientin, nicht als Journalistin, gehe ich zu einem Gastroenterologen und schildere ihm meine Diagnose und die Befunde. »Ein Burn-out auf den Darm zu schieben, ist Schwachsinn«, sagt dieser. »Haben Sie denn Darmbeschwerden? Blähbauch oder Durchfall?« Ich schüttle den Kopf. »Dann würde ich Ihnen keine weiteren Untersuchungen zumuten, nicht in Ihrem Alter.« Und meine schlechten Laborwerte? »Wissen Sie, es gibt durchaus auch Labore, die nicht nur Befunde erstellen, sondern auch die passenden Medikamente verkaufen.«

War das bei mir genauso? Ich finde heraus: Meine Laborbefunde wurden nicht von Tisso erstellt, der Naturproduktefirma, der ich für 1452 Euro Nahrungsergänzungsmittel abkaufen soll. Doch beide Firmen, sowohl das Labor als auch Tisso, sind Partner einer Forschungsanstalt für Cellsymbiosistherapie. Die Anschrift der Akademie ist dieselbe wie die der Tisso Naturprodukte GmbH. Auf ihrer Website sucht Tisso außerdem nach »Ärzten als Kooperationspartner im Ausland«. »Wir bauen mit Ihrer Unterstützung ein Netz von Tisso-Partnern in Ihrem Land auf. Sie profitieren anteilsmäßig von deren Umsätzen mit unseren Produkten«, heißt es da. Ob mein Burn-out-Institut auch ein Kooperationspartner ist?

Ich recherchiere verdeckt und frage bei Tisso an, ob auch in Deutschland noch Kooperationspartner gesucht werden. Die Antwort: Ja, und man arbeite in Deutschland bereits mit 4000 bis 5000 Therapeuten zusammen. Nach längerem Mailverkehr bestätigt man mir schließlich, dass man auch mit meinem Burn-out–Institut zusammenarbeite. Jetzt gilt es nur noch herauszufinden, wie eine solche Kooperation genau aussieht. Ich bekunde Interesse und bekomme folgende Antwort: »Das Vertriebs- und Vergütungssystem von Tisso basiert auf dem weltweit etablierten Prinzip des Empfehlungsmarketings, jedoch mit speziellen Vorteilen für Sie als Partner … Sie bekommen ohne Verdienstbegrenzung rückvergütend bis zu 30% auf Ihr Nettoumsatzvolumen monatlich ausgezahlt.« Heißt übersetzt: Je mehr Patienten eines Arztes bei Tisso bestellen, desto mehr Geld erhält der Arzt. So verdienen alle an meinem Burn-out: das Labor, der Naturproduktehersteller und der Arzt.

Strafrechtlich werden solche Zahlungen an Ärzte in Deutschland nicht verfolgt

Ist so ein Klüngel in Deutschland erlaubt? Ilona Köster-Steinebach ist Referentin für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen bei der Bundesverbraucherzentrale. Sie sagt: »Prinzipiell verstößt so ein Verhalten gegen Paragraf 32 der Muster-Berufsordnung der Ärzte. Darin heißt es, dass Ärzte keine Geschenke oder Vorteile annehmen dürfen, wenn dadurch die Unabhängigkeit ihrer ärztlichen Entscheidung beeinflusst wird.« In der Praxis jedoch werde ein solches Verhalten fast nie verfolgt. »Denn für die Einhaltung des Berufsrechts sind die Ärztekammern zuständig. Diese haben jedoch, anders als die Staatsanwaltschaft, keine Ermittlungsbefugnis und häufig wenig Interesse, schwarze Schafe in den eigenen Reihen zu suchen.« Auch strafrechtlich werden solche Zahlungen an Ärzte hierzulande mangels entsprechender Gesetze nicht verfolgt. Sie sind im Gegenteil sogar eine durchaus übliche Praxis (siehe auch Kasten). Erst im vergangenen Sommer urteilte der Bundesgerichtshof, dass Kassenärzte sich nicht wegen Bestechlichkeit strafbar machen, wenn sie für die Verschreibung bestimmter Arzneimittel Geschenke von Pharmaunternehmen entgegennehmen. Die Richter sprachen zwar von »korruptivem Verhalten« – dies sei jedoch nach geltendem Recht nicht strafbar. Es bestehe Handlungsbedarf.

Korruptives Verhalten – wie sieht mein Arzt das? Was sagt die Firma Tisso dazu? Auf Nachfrage wollen sich beide nicht dazu äußern. Klar ist: Das schwammige Burn-out-Symptom ist wie geschaffen für lukrative Deals. Leib und Leben der Patienten sind in der Regel nicht in Gefahr. Ärzte und Therapeuten können also allerlei »sanfte Medizin« verkaufen, ohne großen Schaden anzurichten. Oft jedoch auch: ohne viel zu helfen. Jedenfalls lässt sich die Wirkung vieler Nahrungsergänzungsmittel, Therapien und Naturprodukte nur schwer nachweisen – wenn überhaupt. Es gibt weder Knochen, die zusammenwachsen müssen, noch Fieber, das sinken soll, noch Blutwerte, die sich verbessern können. Nur Mitochondrien- und Nitrostresswerte. Und auf die kann man sich offenbar auch nicht verlassen.

Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom Mai 2013 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in derNEON-App.