Wissen Einstellungssache: »Es hat nichts mit Dir zu tun!«

Wissen: Einstellungssache: »Es hat nichts mit Dir zu tun!«
Das zarteste unter den Büropflänzchen ist die Mimose. Sie fühlt sich durch alles angegriffen: zu viel Arbeit, zu wenig Arbeit, Fragen, Antworten, Luft. Wie geht man mit diesen Dauergeplagten um?

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Mir ist natürlich bewusst, dass man einen Menschen nicht nur mit Hieb-, Stich- und Schusswaffen verletzen kann, sondern auch mit Worten. Trotzdem war ich überrascht, dass sich manche Menschen auch von der harmlosesten aller Fragen gekränkt fühlen, von einer Phrase, die wir Dutzende Male am Tag benutzen.

Ich war für zwei Coachingtage bei einem Automobilzulieferer gebucht. Am zweiten Morgen begegnete ich auf dem Flur zufällig Oliver, einem meiner Kunden. »Na, wie geht’s ­Ihnen?«, sagte ich im Vorbeigehen. Oliver starrte mich zwei, drei ­Sekunden lang an. Dann ging er kommentarlos weiter, hielt aber schon bald inne und stürmte zurück. Mit knallrotem Gesicht baute er sich vor mir auf. »Fangen Sie also auch noch damit an? Bravo, bravo«, rief er wütend. Dann lief er in sein Büro und knallte die Tür zu.

Ich war eigentlich in der Firma, weil die ­Chefin wünschte, besser mit ihrem Team zu kommunizieren. Nebenbei erfuhr ich auch von den Problemen mit Oliver, der Mimose der Abteilung. Oliver, Anfang 30, hatte von Anfang an als fähiger Verkäufer gegolten – allerdings auch als sensibel. Kritik wurde ihm nur sehr schonend beigebracht, verbunden mit viel Lob, wertschätzender Kommunikation und jeder Menge Ich-Botschaften. Trotzdem war ­Oliver mit der Zeit, so schien es, immer empfindlicher geworden. Einmal hatte er sich geweigert, die Einführung einer neuen Software in seiner Abteilung zu organisieren – das sei unter seiner Würde. Als das Projekt dann eine jüngere Kollegin übernahm, beschwerte sich Oliver da­rüber, dass ihm wegen seines Alters wohl ­keine digitale Kompetenz mehr zugetraut werde. Ein anderes Mal waren ihm für eine eingereichte ­Taxirechnung irrtümlich nur zwölf von siebzehn Euro überwiesen worden. ­Oliver ­hatte den Fehler nicht einfach nur moniert, sondern eine E-Mail geschrieben, in der er der zuständigen Buchhalterin unterstellte, sie würde ihn für einen Spesenbetrüger halten, der den ­Taxifahrer veranlasst hätte, eine zu hohe Quittung auszustellen: »Wie können Sie einen solchen Verdacht hegen gegen einen Menschen wie mich, der zwölf Jahre lang ohne Fehl und Tadel gearbeitet hat?«

Wie geht man mit so jemandem um? Immer wieder stellten mir die Teammitglieder diese Frage. Natürlich ist es überhaupt nicht gut, auf Büro­mimosen aggressiv oder herablassend zu reagieren. Wer demonstrativ die Augen verdreht, bestätigt ja nur den Eindruck des Überempfindlichen, dass ihm alle bloß Böses wollen. Ihn ändern zu wollen, ist aber auch keine gute Idee. Man kann einer Mimose nicht ausreden, dass ihr Glas immer halb leer ist.

Manchmal hilft Ignorieren. Oder man probiert immer wieder, das Berufsopfer ganz sanft in eine sachliche Auseinandersetzung zu zwingen: Judo statt Boxen. Das kann anstrengend sein, doch es gibt keine Alternative dazu. Es wäre falsch, die Mimose nur noch mit Samthandschuhen anzufassen und ihr alles zu geben, was sie fordert. Das ist unfair gegenüber den Kollegen. Und auch die Mimosen bemerken es, wenn sie wie Kinder behandelt werden. Oliver hatte so aggressiv auf meine ­harmlose Frage reagiert, weil ihm schon aufgefallen war, dass ihn alle überaufmerksam behandelten. Er war gekränkt, weil man ihn für leicht kränkbar hielt.

Dieser Text ist in der Ausgabe 08/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte nachbestellt werden. NEON gibt es auch als eMagazine für Apple & Android. Auf Blendle könnt ihr die Artikel außerdem einzeln kaufen. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.