Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller
Zu Beginn ein Geständnis: Ich spreche nicht sonderlich gut Englisch. Vor internationalen Telefonaten bin ich deshalb immer etwas aufgeregt und neige dazu, übertrieben förmlich zu sprechen. Als einmal die Vorzimmerdame eines englischen Kunden ans Telefon ging, sagte ich mit meinem besten TV-Oxford-Akzent: »Would you please be so kind to check if there is any opportunity to have a conversation with Mr. Richmond soon?« Die Vorzimmerdame machte eine Pause, dann sagte sie stockend: »Oh my, Mr. Richmond has passed away.« Ich verstand, dass unser Kunde nur kurz vor die Tür gegangen sei und fragte, wann er denn wohl zurückkäme. Am anderen Ende der Leitung schnappte die Sekretärin nach Luft, schluchzte und rief: »He will never come back, never ever, he is dead.«
In diesem Moment verstand ich, dass die Internationalisierung der Arbeitswelt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist. Viele Leute machen sich über Denglisch und Business-Deutsch und Wörter wie Briefing oder highlighten lustig. Aber das Gejammer geht am Kern der Sache vorbei. In Konzernen sehen die Meetings aus wie UN-Vollversammlungen und kleine Handwerksbetriebe unterhalten Kontakt zu Zulieferfirmen in Hanoi. Wir erleben eine echte Revolution, eine globale Anglifizierung, von der keine Branche ausgenommen bleibt. Und wie bei jeder Revolution gibt es Sieger – und Verlierer.
Carsten Mitteldorp zum Beispiel, Anfang dreißig, smart, motiviert, kam auf Empfehlung seines Chefs zum Coaching zu mir. Der Vorgesetzte machte sich Sorgen, weil die, ja genau, Performance von Carsten abgefallen war. Im Gespräch mit Carsten kam dann heraus, dass er weder eine Depression noch eine Ehekrise hatte, sondern ein viel banaleres Problem: Seine Firma hatte einen Mitbewerber in Norwegen geschluckt, Carsten musste plötzlich viele Telefonate auf Englisch führen und schämte sich für seinen Akzent: »Alle meine Kollegen haben ein Highschool-Jahr gemacht, nur ich stelle mich an wie ein Dorftrottel.« Carsten ging deshalb nie ans Telefon, wenn auf dem Display die norwegische Vorwahl auftauchte. In dem Englischkurs, in den ich Carsten natürlich schickte, lernte er neben Vokabeln auch, seinen deutschen Akzent zu akzeptieren. Es ist nicht schlimm, wenn man am Telefon klingt wie ein Nazi-Schurke in einem Hollywoodfilm. Hauptsache, die Leute verstehen, was man von ihnen will.
Englisch ist die Weltsprache. Aber das heißt nicht, dass die ganze Welt diese Sprache perfekt beherrscht. Im Gegenteil: Englisch ist nur der kleinste gemeinsame Nenner. Der »Global Summit« eines Konzerns ist der Albtraum jedes Englischlehrers. Um in dem globalen Kauderwelsch nicht den Verstand zu verlieren, braucht man ein paar Tricks: Man darf sich nicht zu schade sein, öfter nachzufragen, wenn man bei einem internationalen Meeting kurz verwirrt ist. Die Kollegen werden nicht genervt aufseufzen, sondern eher dankbar sein, weil sie selbst kein Wort verstanden haben. Man kann auch vor einer Telefonkonferenz vereinbaren, dass ein Protokoll erstellt wird. Oder man nimmt das ganze Telefongespräch auf Tonband auf und hört es später noch einmal an.
Im Zweifel muss man dann halt auch einmal über sich selbst lachen können. Meine gute Freundin Tina trug beispielsweise auf einem internationalen Führungskräfteseminar bei der morgendlichen Joggingrunde drei T-Shirts übereinander. Als eine indische Kollegin sie darauf ansprach, antwortete Tina, die ein bisschen moppelig ist, stotternd: »I want to hide my … äh, I want to hide my dick.« •
Dieser Text ist in der Ausgabe 03/15 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.