Wissen Einstellungssache: Führen und feiern

Wissen: Einstellungssache: Führen und feiern
Haudrauf, Zeitbombe, Schluckspecht – man muss kein Gutmensch sein, um als Chef zu funktionieren.

Text: Charlotte Schiller | Illustration: Jan Robert Dünnweller

Es ist schon komisch, dass es so viele schlechte Chefs gibt. Denn eigentlich ist es doch ganz einfach. Um eine gute Führungskraft zu sein, glaubt der Management-Guru Fredmund Malik, müsse man eine Vorbildfunktion ausüben und über persönliche Integrität verfügen. Ein guter Chef muss also authentisch und berechenbar sein und seine Stärken und Schwächen kennen.

Bis ich selbst eine gute Vorgesetzte wurde, habe ich unter vielen guten und einigen schlechten Chefs gearbeitet, von denen ich viel gelernt habe. Auch Gustav Wendt werde ich nie vergessen, der gleichzeitig ein sehr guter und sehr schlechter Chef war. Wendt war Personalleiter in der ­ersten­ Firma, in der ich nach der Uni anfing. In den ersten Wochen bekam ich ihn kaum zu Gesicht. Unsere erste persönliche Begegnung fand erst nach ein paar Wochen statt, und man kann nicht sagen, es sei eine Begegnung auf Augenhöhe gewesen. Eine Kollegin hatte zu sich nach Hause eingeladen, eine große Party. Ich war auf der Suche nach der Toilette und wollte gerade in die obere Etage gehen. Plötzlich ein Grunzen, ein Rumpeln: Wendt rutschte bäuchlings die Treppe hinunter, die Fersen angezogen, die Hände nach vorne gestreckt. Er kam im Erdgeschoss zum Liegen, drehte sich auf den Rücken, probierte kurz, mir unter den Rock zu schauen, stand auf und sagte: »Kaum zu glauben, was man mit seinem ­Körper alles anstellen kann, oder?«

Der Vorfall blieb keine Ausnahme. Bei Firmenfeiern war Wendt schon betrunken, bevor die Party überhaupt begann (er meldete sich immer freiwillig für das Schleppen der Bierkisten). Während der Rede des Vorstandsvorsitzenden krähte er dann fröhlich dazwischen, sorgte für die größten Lacher. Sein Flirtstil hätte sogar Rainer Brüderle zum Erröten gebracht. Und nach Fortbildungsreisen fuhr Wendt nicht so schnell wie möglich nach Hause, sondern reizte das Spesenkonto aus und buchte eine weitere Nacht im Hotel dazu: »Ich kann Erwachsene, die abends nüchtern genug zum Autofahren sind, nicht richtig ernst nehmen.«

Eigentlich hätte ihm seine Abteilung, immerhin achtzig Leute, um die Ohren fliegen müssen. Wie soll man einem Chef vertrauen, der sich als Witzfigur präsentiert? Wie kann man Entscheidungen von einem Typen res­pektieren, der nur begrenzt zurechnungsfähig ist? Das Verrückte aber war: Wendt hatte den Laden komplett im Griff und war immer für jeden seiner Mitarbeiter da. Als ich einmal einen ziemlich dummen Fehler machte und das Budget für eine Fortbildungsreise, für die ich verantwortlich war, explodierte, stellte sich Wendt kommentar- und kompromisslos vor mich. Er wollte sich nicht einmal mein Dankesgestotter anhören. Da verstand ich, zwischen dem Team und Gustav Wendt bestand ein funktionaler Pakt: »Solange du zu uns hältst, sind wir loyal und schweigen über deine Ausraster.«

Gustav Wendt hatte zweifellos persönliche Probleme, und ich habe ihn, nachdem ich den schweren Mann mal wieder auf sein Hotelzimmer eskortieren musste, auch einmal gefragt, ob er das Thema nicht mal angehen wolle. Dieser zaghafte Versuch blieb leider ohne Wirkung. Gustav Wendt hatte wahrscheinlich auch deshalb Erfolg, weil er mindestens eine der Chefregeln von Fredmund Malik perfekt umsetzte. Er war zwar kein Vorbild, jedoch absolut ­authentisch. Er bemühte sich überhaupt nicht, seine Schwächen zu verheimlichen. In ­gewisser Weise war das dann schon wieder vorbildlich und auf alle Fälle berechenbar.

Gustav Wendt ist längst in Rente. Ich habe gehört, dass er gerade Präsident seines Golfclubs wurde. Er macht also weiterhin das, was er am besten kann: führen und feiern.

Dieser Text ist in der Ausgabe 11/14 von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben seit September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App. Eine Übersicht aller »Einstellungssachen« findet ihr hier.