Politik »Die Kampagne zeigt ein völlig überhöhtes Selbstbild«

Politik: »Die Kampagne zeigt ein völlig überhöhtes Selbstbild«
Ein Lob dem »Kameraden« und der »wahren Stärke«: Mit einer neuen, fast elf Millionen Euro teuren Kampagne buhlt die Bundeswehr um Nachwuchs. Gestern hat das Berliner Peng!-Kollektiv seine Gegenkampagne gestartet und nimmt in nahezu baugleichen Anzeigen die Slogans der Bundeswehr auf die Schippe. Kritik an der Bundeswehr-Werbung kommt auch von Dominik Brück, 30, Ex-Offizier der Bundeswehr. Im Interview erzählt Brück, was ihn an der Werbestrategie der Bundeswehr stört und wieso sie aber trotzdem auf Instagram und Facebook präsent sein darf.
Politik: »Die Kampagne zeigt ein völlig überhöhtes Selbstbild«

Foto: Screenshot Bundeswehr (oben)/Peng!-Kollektiv (unten)

Der alte Flecktarn sieht in der neuen Bundeswehr-Kampagne »Mach, was wirklich zählt« plötzlich irgendwie modern aus. Wie findest du die Werbebemühungen deines alten Arbeitgebers?

Ich finde, dass diese Werbung die Realität in der Bundeswehr verschweigt. Man macht da keinen Abenteuerurlaub. Es ist eine Ausbildung, bei der es in letzter Konsequenz darum geht, dass man lernt, andere zu töten – und vielleicht auch selbst getötet wird.

Was sagt eine solche Kampagne über die Bundeswehr aus?

Die Bundeswehr bezieht sich immer wieder auf sogenannte soldatische Werte und damit auf einen Wertekanon, der zum Teil noch aus der Wehrmachtszeit stammt. Der Soldat ist in dieser Vorstellung der körperlich und geistig starke Kämpfer, der zivilen Personen überlegen ist. Das ist eine klare Abgrenzung zwischen Militär und Gesellschaft. Das passt aber nicht zu unserer Vorstellung von einer modernen Parlamentsarmee, einer Friedensarmee, die Konflikte verhindern oder beenden soll. Wenn Soldaten als besonders gelten und Zivilisten ihnen besondere Wertschätzung entgegenbringen sollen, dann kann man so eine Armee nicht in die Gesellschaft integrieren.

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Ein aktueller Slogan heißt: »Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst«. Das hört sich doch gar nicht so schlecht an, oder?

Naja. Der Spruch drückt letztlich die Vorstellung einer geistig-moralischen Überlegenheit aus. Er vermittelt ein falsches Bild vom Soldaten. Der Soldat wird als jemand dargestellt, der die Freiheit verteidigt. In einer demokratischen Gesellschaft sollte das Militär aber nicht der Verteidiger der Demokratie sein. Wir brauchen das Militär nicht, um unsere Freiheit zu verteidigen. Das ist gefährlich, weil das Militär eine Rolle zugewiesen bekommt, die es heute nicht mehr haben sollte. Auch in meiner Masterarbeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie gesellschaftliche Werte innerhalb der Bundeswehr verankert sind. Da hat sich gezeigt, dass viele davon gar nicht so stark in die Truppe hineingetragen werden, es also wirklich eine Abgrenzung zur Zivilgesellschaft gibt.

Ein anderer der Werbesprüche lautet: »Was sind schon 1000 Freunde im Netz gegen einen Kameraden?« Warum siehst du solche Slogans besonders kritisch?

Dieser Spruch kommt besonders modern daher und spricht die Netzgeneration an. Freunde werden aber gegen sogenannte Kameraden aufgewogen. Solche Sätze zeigen eine Mystifizierung des soldatischen Kameraden, des angeblichen Kampfesbruders. Die Kampagne zeigt ein völlig überhöhtes Selbstbild, das nicht in unsere heutige Zeit passt.

Wen will die Bundeswehr ansprechen?

Ich glaube, dass diese Kampagne Menschen anspricht, die traditionelle, eher konservative Werte haben. Das finde ich besonders problematisch. Wenn man von vornherein nur eine sehr kleine, ideell abgegrenzte Zielgruppe anspricht, muss man sich auch nicht wundern, dass die Bundeswehr kein Spiegel der Gesamtgesellschaft ist. Die Werte der Mehrheitsgesellschaft können so umso schwerer in die Bundeswehr getragen werden. Da hatte die Wehrpflicht natürlich ihre Vorteile: Sie hat eine diversere Gruppe in Kontakt mit der Bundeswehr gebracht.

Sollte die Bundeswehr überhaupt auf Instagram oder Facebook für ihre Truppe werben dürfen bei jungen Menschen?

Wenn man davon ausgeht, dass man ein demokratisches Militär benötigt und ich glaube, wir benötigen es noch: Ja, dann muss das gehen. Die Werbung muss aber transparent sein. Man muss klipp und klar sagen: Du wirst Auslandseinsätze mitmachen. Du wirst ausgebildet, um zu töten. Du wirst vielleicht auch selbst getötet.

Nach deiner Bundeswehr-Karriere bist du Journalist geworden. Wie findest du es, wenn Medien mit jungen Menschen als Zielgruppe Anzeigen der Bundeswehr schalten? Das ist etwas, was auch die NEON macht.

Wenn es klar als Anzeige gekennzeichnet ist, ist es ok. Die Bundeswehr ist laut Grundgesetz ein Teil unserer Demokratie und darf auch für sich werben. Nur ehrlich muss es sein.

Du bist mit 19 Jahren aber selbst erst mal zur Bundeswehr. Was fandest du damals toll an der Bundeswehr?

Ich wollte etwas Sinnvolles machen und fand die Geschichte von »Wir bauen Schulen und graben Brunnen« ganz gut. Ich komme aus einem ganz kleinen Dorf, ich hatte die Hoffnung, dass ich bei der Bundeswehr was sehe von der Welt. Dass mir mein Arbeitgeber ein Studium finanziert, hat für mich auch eine wichtige Rolle gespielt.

Und wie war deine Bundeswehr-Zeit dann wirklich?

Ich bin neun Jahre dabei gewesen und habe auch über die Bundeswehr studiert. In Auslandseinsätzen war ich nicht. Ich habe eine Truppe erlebt, in der das Ideal des starken Kämpfers eine sehr große Rolle spielt. Man ist Teil einer Gruppe, die das toll findet und einen in seiner Weltsicht bekräftigt. Irgendwie musste ich ja auch mein eigenes Selbstbild aufrecht erhalten. Dieses Weltbild hat sich aber immer mehr gewandelt, bis ich gesagt habe: Ich kann das nicht mehr. Ich habe Ende 2012 einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gestellt und der wurde anerkannt. Dann wurde ich entlassen. Eigentlich wäre ich auf 13 Jahre verpflichtet gewesen.

Die Bundeswehr umfasste Ende Oktober 2015 169.172 Berufs- und Zeitsoldaten. Weil die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, sind die aktuell 9.657 Wehrdienstleistenden alle Freiwillige. Das Verteidigungsministerium muss also jetzt mit der freien Wirtschaft um Nachwuchskräfte konkurrieren. Weil nicht jeder Bewerber geeignet ist, wünscht sich die Bundeswehr 60.000 Bewerbungen im Jahr, auch wenn weniger Stellen besetzt werden müssen. Damit das klappt, setzt man verstärkt auf Werbung. Neben einer ziemlich peinlichen Frauenkampagne gab es auch Kritik an »Adventure Camps« für Teenager auf Militärstützpunkten. Nach der »Wir.dienen.Deutschland«-Kampagne hat die Bundewswehr jetzt 10,6 Millionen Euro in ihre neue Kampagne »Mach, was wirklich zählt« investiert.