Politik »Die Leute sind zu Recht angepisst!«

Politik: »Die Leute sind zu Recht angepisst!«
Die Bestsellerautorin Laurie Penny kämpft für Feminismus und gegen Kapitalismus. Sie findet: Um eine gerechtere Welt zu schaffen, brauchen wir nichts weniger als eine Revolution. Was macht ihr Hoffnung?

Interview: Meredith Haaf | Artwork: James Lite

»Ich kann euch sagen, was wir wollen sollen: schwere Arbeit, schale Schönheit und romantische Liebe, gefolgt von Geld, Ehe und Kindern: Diese Definition von völliger Freiheit hat Besitz von unserer Fantasie ergriffen und lässt keinen Raum für andere Lebensweisen. Aber was ist, wenn wir etwas anderes wollen? Ist das überhaupt noch erlaubt? Was, wenn wir Freiheit wollen?«

Diese Sätze schreibt die 28-jährige Laurie Penny in »Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution«, einem Buch, in dem die britische Feministin und Aktivistin ziemlich hart und oft auch ziemlich lustig auf die modernen Geschlechterverhältnisse eindrischt und auf das System insgesamt. Ihrem Manifest merkt man auf jeder Seite an, dass sie nicht nur, wie es heißt, die Aufmerksamkeit auf einen Missstand lenken oder eine dringend notwendige Debatte führen will, sondern wirklich daran glaubt, dieWelt verändern zu können. NEON traf Laurie Penny in Frankfurt während ihrer ausverkauften Lesereise durch Deutschland.

Laurie, kann es sein, dass Feministinnen zu viel zeit damit verbringen, sich auf Twitter mit anderen Feministinnen zu streiten? Das wirft man ihnen in Deutschland gerne vor.

Das ist Unsinn. Politik muss heute online genauso stattfinden wie auf der Straße. Man muss sich mal überlegen, wie viel Zeit die Menschen heute im Internet verbringen. Da ist es doch Unsinn zu glauben, Debatten im »echten Leben« seien wertvoller als Debatten, die überwiegend im Netz geführt werden.

Während deiner Deutschlandreise hast du getwittert: »Meistgestellte Frage in Deutschland: Warum sind Sie so wütend?« Irritiert dich das?

Ich frage dann immer zurück: »Warum bist du denn nicht wütend? Was ermöglicht es dir, die Unterdrückung und das Leid so vieler Menschen völlig okay zu finden?« In Deutschland habe ich erlebt, dass die Menschen zwar viel über Gefühle reden, aber dabei keine Gefühle zum Ausdruck bringen. Sie sagen: »Das macht mich wütend«,sind aber eigentlich ganz entspannt.

Ist das in England anders?

Bei uns wird immer sehr zornig debattiert, aber das ist alles nur Show. In den Talkshows schlagen sich politische Gegner die Köpfe ein und danach gehen alle gemeinsam was trinken. Für mich ist das immer noch eine seltsame Erfahrung, weil ich ja als linksradikale Bloggerin angefangen habe, weit entfernt vom Establishment. Heute schreibe ich für Medienhäuser wie den »Guardian« und mache manches Spielchen mit. Bekannte aus anarchistischen Kreisen haben mir das auch schon vorgeworfen. Aber ich finde beide Methoden nützlich: Meine Meinung einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Und mit radikalen Protestaktionen für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen.

In deinem Buch »Unsagbare Dinge« forderst du eine Meuterei der Frauen, Queers und all derjenigen, die unter den Gender- und Machtstrukturen leiden. Was ist denn mit den anderen, den Männern und Hetero-Frauen, haben die nichts zu schaffen mit gesellschaftlichem Fortschritt?

Ich glaube, wenn wir eine bessere Welt schaffen wollen, wird es darum gehen, dass Menschen, die bisher zu wenig Rechte haben, die an den Rand gedrängt werden wie queere Frauen und Männer, wie Trans-Menschen, wie Migranten , dass diese Menschen mehr Raum bekommen. In der Revolution, die mir vorschwebt, kann aber jeder seinen Teil beitragen: Das Tolle am Feminismus ist ja, dass er auch die Männer aus patriarchalen Zwängen befreien will. Viele Männer leiden schließlich auch unter den Erwartungen, die die Gesellschaft an sie stellt. Es geht mir nicht da rum, zusagen, dass durchschnittliche Mittelschichtler bei diesem Prozess nicht mitmachen dürfen. Aber natürlich muss der Mainstream die Macht mit bisherigen Randgruppen teilen. Das ist alles. Der Feminismus will ja auch nicht alle Männer ausrotten. Wir wollen nur, dass sie nicht die Einzigen sind, deren Stimme zählt.

Werden Männer im Kapitalismus nicht ebenfalls unterdrückt als Arbeitstiere?

Eine Kritik der Wirtschaft ist meiner Meinung nach nur sinnvoll, wenn sie feministische Grundlagen hat. Ich sage nicht, dass Männer es einfach haben. Aber für sie reicht es in der Regel, auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein. Frauen aber sollen auf mehreren Ebenen funktionieren, sollen dem Ernährer in der Paarbeziehung einen Rückzugsort bieten, ihn regelmäßig sexuell befriedigen, seine Kinder bekommen und nebenbei selbst beruflich erfolgreich sein. Frauen werden im Kapitalismus in dem Glauben gehalten, das Leben bestünde darin, sehr viel zu arbeiten, damit sie sich alles Mögliche kaufen können, um attraktiv für einen Partner zu sein: Kosmetika, Fitnessstudiomitgliedschaft, die richtigen Schuhe.

Der Untertitel deines Buchs heißt »Sex, Lügen und Revolution«. »Revolution« ist ein ziemlich großes Wort. geht es nicht auch eine Nummer kleiner?

Bei dem Wort denken viele Leute an die Französische Revolution, an Blut in den Straßen, an die völlige Umkehr der politischen Verhältnisse. Für mich ist Revolution eher ein stetiger Prozess der Veränderung, der auf vielen unterschiedlichen Ebenen abläuft.

Du hast 2011 in New York viele Monate lang über »Occupy Wall Street« berichtet.Die Bewegung gilt als gescheitert. Was hast du dabei über Revolutionen gelernt?

Mich ärgert es immer, wenn Leute sagen: Ach, Occupy hat sich in Luft aufgelöst.Die Bewegung hat sich nicht aufgelöst, sie wurde durch Polizeieinsätze auf der ganzen Welt zerschlagen. Trotzdem hat Occupy das Bewusstsein von Millionen Menschen in aller Welt verändert. Wir reden endlich darüber, wie ungerecht der Wohlstand global verteilt wird. Wir stellen den Kapitalismus infrage.

Aber wird bei Kapitalismuskritik nicht einfach wahnsinnig viel geredet und wenig getan?

Ja, ich würde auch gerne mehr Aktionen sehen! Aber ich glaube, wenn immer mehr Menschen das System, in dem wir leben, infrage stellen, dann wird das auch Folgen haben.

Was ist mit schnöden politischen Reformen? In Deutschland zum Beispiel wurde kürzlich eine Frauenquote für Aufsichtsräte beschlossen was von vielen als großer Schritt für die Gleichberechtigung begrüßt wurde.

Es ist ein Mythos, dass man nur den Frauen an der Spitze der Gesellschaft helfen muss und damit automatisch alle Frauen mit hochzieht. Genauso wenig profitiert dieganze Gesellschaft davon, wenn reiche Leute noch mehr Geld verdienen dürfen. Im politischen System also etwa in Parteien sind Quoten aber enorm wichtig, finde ich. Und natürlich dienen weibliche Führungskräfte und Leader am Ende auch als Vorbilder für andere Frauen.

Würdest du jemandem, der die Welt verändern will, raten, in eine Partei einzutreten? Wir sind ja bekanntlich eher schwer für eine solche Basisarbeit zumobilisieren.

DieLeutesindzuRechtangepisst vom politischen Betrieb. Ich kenne einige Menschen, die in linken Parteien aktiv sind. Gerade Parteien wie die Piraten oder dieSchottische Nationalpartei finde ich superaufregend, weil sie versuchen, sich nicht in das System einzugliedern, sondern es zu verändern.

Hast du jemals selbst in Erwägung gezogen, in eine Partei einzutreten?

Als ich anfing, mich für Politik zu interessieren, machte ich ein Praktikum bei einer NGO, die eng mit der sozialdemokratischen Labour-Partei zusammenarbeitete. Ich habe damals aber schnell gemerkt, dass das für mich nicht geht. Die redeten über soziale Gerechtigkeit, während Freunde von mir unter der Sozialpolitik von Tony Blair litten. Meiner Meinung nach ist die Macht in westlichen Demokratien zu eng mit finanziellen Ressourcen verknüpft, als dass es möglich wäre, über Parteipolitik wirklich für Veränderung zu sorgen.

Verlierst du nicht manchmal die Hoffnung?

Ich glaube, dass Veränderung möglich ist und finde deshalb feministischen Aktivismus auch so unfassbar aufregend.

Warum genau?

Das, was Feministinnen erreichen wollen, betrifft ja nur zum Teil den Gesetzgebungsprozess. Kein Gesetz schreibt vor, dass Frauen den Hauptanteil der Hausarbeit machen müssen oder dass sie Schlampen sind, wenn sie die falschen Klamotten tragen. Das kann man nur über soziale und kulturelle Arbeit ändern: durch Kunst, Bücher, Bildung, nicht über Gesetze. Ich will, dass sich die Verhältnisse zwischen Männern und Frauen drastisch ändern. Die Revolution muss auf der intimsten, persönlichsten Ebene stattfinden: wie wir uns als Menschen gegenüberstehen.

Laurie Penny,geboren 1986 in London, England, arbeitet als Buchautorin und Journalistin unter anderem für »Vice«, den »Guardian« und die linke Zeitschrift »New Statesman«. Sie studierte als Stipendiatin der Nieman Foundation für Journalisten in Harvard und lebt derzeit in Seattle, USA. Sie betreibt einen Blog und twittert unter @PennyRed.

Dieser Text ist in der Ausgabe 08/15von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte der NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.