Die US-Presse nennt Mark Kleiman gern »Marihuanamogul« und »Hanfzar«. Seine Visitenkarte bestätigt, dass es sich bei dem 62-jährigen Professor um einen Politikwissenschaftler der University of California in Los Angeles handelt – doch Kleiman gilt eben auch als der wichtigste Experte für Drogengesetzgebung. Er hat den weltweit ersten legalen Drogenmarkt entscheidend mitgestaltet: Seit Anfang 2014 ist es in den US-Bundesstaaten Colorado und Washington erlaubt, Cannabis anzupflanzen, zu verkaufen und zu konsumieren. Mark Kleiman formulierte die Gesetze und Richtlinien für den neuen Markt: Wie viele Cannabisläden braucht man pro 100 000 Einwohner? Wie wird die Qualität des Cannabis kontrolliert? Kleiman hat dreißig Jahre darauf gewartet, seine Ideen zu testen. Trotzdem wirkt er eher nachdenklich als hochgestimmt.
Am 1. Januar bildeten sich im Bundesstaat Colorado lange Warteschlangen vor den ersten Cannabisläden. Fernsehteams filmten Menschen, die vor Polizeistationen kifften und in die Kameras jubelten. Gibt es wirklich einen Grund zum Feiern?
Ich habe mich leider viel zu lange mit dem Thema beschäftigt, um anzunehmen, dass der Slogan »Legalize it!« alle Probleme löst. Klar ist, dass das alte System unserer Gesellschaft massiv schadet. Colorado und Washington führen ein einzigartiges Experiment durch, und wir wissen nicht, welche Welt wir erschaffen. Es gibt viele Unsicherheiten.
Zum Beispiel?
In Washington und Colorado werden Lizenzen vergeben, mit denen man Marihuana anbauen und verkaufen kann. In den Augen der Bundesbehörden und der Drogenpolizei DEA sind der Besitz und der Handel mit Cannabis aber nach wie vor illegal. Colorado und Washington vergeben also Lizenzen, die Bundesgesetze brechen. Es ist eine ziemlich surreale Situation – Cannabishändler können deshalb weder ein Bankkonto haben noch Kreditkarten akzeptieren. Und die Obama-Regierung hat zwar angekündigt, die Regelung zu tolerieren – was aber passiert, wenn zu viel Cannabis in andere Bundesstaaten geschmuggelt wird, kann ich Ihnen nicht sagen.
Sie haben die Regierung des Bundesstaates Washington beim Aufbau des Drogenmarktes beraten. Wie sah Ihr Arbeitsalltag aus?
Hektisch. Chaotisch. Frustrierend. Die Legalisierung von Cannabis wird in den USA gern mit der Aufhebung der Prohibitionsgesetze für Alkohol in den Dreißigern verglichen. Aber anders als damals, als die USA einfach Alkohol aus Europa und Kanada importieren konnte, gab es in unserem Fall keine etablierten Hersteller und Vertriebssysteme – die Einzigen, die wussten, wie man Drogen in großem Umfang herstellt und verkauft, waren Kriminelle. Und die wollten wir nicht um Rat fragen. Wir haben deshalb Straßenumfragen durchgeführt und so versucht, den Bedarf zu ermitteln. Im Bundesstaat Washington werden jedes Jahr etwa 65 Tonnen Cannabis im Wert von einer Milliarde Dollar konsumiert. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir um die 300 Lizenzen für Cannabisläden erteilen sollten. Und dann mussten wir auch noch Prozesse gestalten, die die Qualität des Cannabis garantieren.
Muss der Staat, der Kiffer lange verfolgt hat, nun sicherstellen, dass das legale Marihuana auch schön high macht?
Wenn man Gras auf dem illegalen Markt kauft, wissen weder der Kunde noch der Kleindealer noch der Zwischenhändler, woher das Zeug genau kommt und ob Pestizide und Schimmelpilze drinstecken. Wir wollten totale Transparenz schaffen. Und wir haben auch durchgesetzt, dass auf der Verpackung der THC- und Cannabinolwert angegeben wird.
Die modernen Cannabissorten, die beispielsweise in Kalifornien gezüchtet werden, sind mehr als tausendmal so potent wie das Zeug, das man in den Sechzigerjahren geraucht hat. Haben Sie über eine THC-Obergrenze nachgedacht?
Die Drogenmafia würde eine Party feiern, wenn wir den THC-Gehalt limitiert hätten.
Warum?
Die legalen Cannabisgeschäfte befinden sich in einem knallharten Wettbewerb mit den etablierten Strukturen des illegalen Marktes und dem Graubereich des medizinischen Marihuanas. Es gibt viele Leute, die sehr zufrieden sind mit der Service- und Produktqualität ihres Dealers. Sobald das legale Cannabis also teurer oder schwächer ist als die Produkte auf dem illegalen Markt, verlieren wir Kunden an die dunkle Seite. Die Drogenmafia ist ein gnadenloser Wettbewerber. Sie wird die kleinste Schwäche ausnutzen. Erst wenn wir mithilfe der Polizei den Schwarzmarkt ausradiert haben, bekommen wir mehr Spielraum bei der Regulierung.
Aber die Legalisierung von Cannabis soll die Polizei doch entlasten und die Szene entkriminalisieren.
Eines der Argumente, das die »Legalize it«-Bewegung getragen hat, war, dass die Polizei andere Probleme hat, als Kleindealer und Kiffer zu verfolgen. Das stimmt natürlich auch. Aber die Einführung eines legalen Drogenmarktes bedeutet nicht, dass man die Verfolgung von illegalem Cannabis einstellen kann. Im Gegenteil: Um den legalen Markt zu unterstützen, muss man den Fahndungsdruck auf Dealer erhöhen, sie verhaften und hoffen, dass ihre Klienten in den legalen Markt abwandern.
Wichtige Politiker und die Organisation amerikanischer Staaten fordern seit einiger Zeit die flächendeckende Legalisierung von Cannabis, um die Drogenkartelle unter Kontrolle zu bekommen.
Hier kommt die schlechte Nachricht: Cannabis ist nur für gut zwanzig Prozent der Umsätze der Kartelle verantwortlich. In den USA werden jedes Jahr 750 000 Menschen wegen Cannabisbesitzes verhaftet, aber nur zehn Prozent der Menschen, die wegen Drogendelikten im Knast sitzen, hatten mit Cannabis zu tun. Wer denkt, dass er den Krieg gegen Drogen befriedet, weil er sich legal einen Joint anstecken kann, liegt leider ziemlich falsch. Das hier ist erst der Anfang.
Auf Youtube findet man ein Video von Mark Kleiman, das ihn Anfang der Neunzigerjahre auf einem Kongress der Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies zeigt. Mark Kleiman trägt Vollbart und ein buntes Batikshirt und redet auffällig langsam über »Drogen, die die kreative und kognitive Leistung steigern«. Vor ihm sprachen dort die LSD-Gurus Timothy Leary und Ram Dass. Wenn man das Video sieht, ahnt man, warum konservative Medien den (immer noch vollbärtigen) Professor gern als verantwortungslosen Hippie schmähen. Gleichzeitig wird Kleiman von radikalen Linken und der Hanflobby aber als Law-and-order-Mann betrachtet.
Kleiman hat wenig Verbündete, weil er den Graubereich der Schwarz-Weiß-Zeichnung vorzieht; er interessiert sich auch weniger für moralische oder ideologische Probleme des Drogenkonsums, sondern analysiert lieber den Markt, den Drogen bilden und den er als »dynamisch und anpassungsfähig« bezeichnet. Es macht ihn wahnsinnig, dass die Leute nicht über empirische Daten reden wollen, sondern Fragen stellen wie:
Wie stehen Sie eigentlich persönlich zu Drogen? Konsumieren Sie auch Cannabis?
Ich bin ein Kind der Sechzigerjahre und halte mich für einen relativ liberalen Menschen. Aber wenn man als Berater für Drogenpolitik arbeitet und gefragt wird, ob man Drogen konsumiert, hat man zwei Möglichkeiten. Entweder sagt man: »Ja, ich bin ein Gesetzesbrecher. Bitte kommt doch vorbei, verhaftet mich und ignoriert alles, was ich sage.« Oder man sagt: »Nein, ich habe keine Ahnung, über was ich verdammt noch mal spreche.« Da beide Möglichkeiten für mich wenig vorteilhaft sind, beantworte ich die Frage nicht.
Sie haben schon in den frühen Achtzigerjahren für einen Kurswechsel in der Drogenpolitik plädiert und zeitweise auch für die US-Regierung gearbeitet. Ronald Reagan bezeichnete Cannabis 1984 als »die gefährlichste Droge Amerikas«. Sind Sie überrascht, dass die USA nun dreißig Jahre später auf eine breite Legalisierung zusteuern?
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich hätte den Prozess vorhergesehen. Ich denke, wir haben es mit einem Generationeneffekt zu tun. 1990 waren nur achtzehn Prozent der Menschen für eine Legalisierung. Heute sind es mehr als fünfzig Prozent. Jeder Mensch, der heute unter 65 Jahre alt ist, hat Cannabis als Teil des Lebens akzeptiert – ich glaube, wir werden schon vor dem Jahr 2030 eine landesweite Legalisierung erleben.
Sollte man in Cannabisaktien investieren?
Cannabis wird voraussichtlich ein normales, sehr billiges Gebrauchsgut mit sehr niedrigen Gewinnmargen werden. Ich glaube, es ist gefährlicher, in Cannabis zu investieren, als Cannabis zu rauchen.
Was wäre der ideale Preis für ein Gramm Cannabis?
Fünfzig Dollar? Hundert? Ich bin der Meinung, dass alle Drogen, und dazu zählen für mich auch Alkohol und Tabak, massiv besteuert werden sollten. Leider können wir den Preis nicht einfach festlegen, sondern müssen uns an dem Schwarzmarktpreis orientieren. Zurzeit bezahlen die Menschen an der Westküste zwischen sieben und neun Dollar für ein Gramm hochpotentes Gras. Ich glaube aber, dass wir schon 2015 einen Preis von drei Dollar pro Gramm sehen werden.
Warum?
Ich gehe davon aus, dass die Agrarindustrie eine große Rolle spielen wird. Den Konzernen ist es herzlich egal, ob sie Weizen, Brokkoli, Mais für Biodiesel oder Cannabis auf ihren Feldern anpflanzen und in den angeschlossenen Fabriken verarbeiten. Sie richten sich nach den Markttrends und haben natürlich ganz andere Möglichkeiten als die »Home Grower« oder die illegalen Cannabisfarmer im mexikanischen Hinterland. Fünfzig Prozent der aktiven Wirkstoffe stecken nicht in den Blüten, sondern in den Blättern und Wurzeln der Pflanze. Mit industriellen Mitteln können so unschlagbar günstig hochkonzentrierte Cannabisprodukte hergestellt werden.
Passt die Agrarindustrie zu der alternativen Haltung vieler Cannabiskonsumenten?
Viel wird davon abhängen, welche Konsumkultur sich in den kommenden Jahren durchsetzen wird. Traditionsbewusste Kiffer und die umweltbewusste Westküstenschickeria interessieren sich vielleicht wirklich für die Herkunft und Geschmacksnote von Cannabis, aber immer mehr Menschen konsumieren Cannabis als Nahrungsmittelzusatz und chemische Essenz: Es gibt Kekse, Schokolade, Eiscreme, Bonbons, Gesichtscreme, Raumsprays und Tabletten, alle mit psychoaktiver Wirkung. Wir wissen nicht, welche Produkte den Markt dominieren werden.
Wird es Cannabisgiganten wie Coca-Cola oder Starbucks geben?
Wir haben festgelegt, dass Cannabishersteller nur eine begrenzte Fläche bewirtschaften dürfen und dass sie nicht gleichzeitig auch Cannabisläden betreiben dürfen. Wir wollten verhindern, dass ein einzelner Konzern ein Monopol errichtet. Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass der Cannabismarkt in einigen Jahren aussieht wie der Biermarkt, auf dem Budweiser, Heineken und Amstel neunzig Prozent des Marktes dominieren.
Führt die Legalisierung einer Ware nicht zwangsläufig zu ihrer Kommerzialisierung?
Nein. Es gibt sogar einen großen Unterschied zwischen Legalisierung und Kommerzialisierung. Ich persönlich hätte es vorgezogen, wenn wir ein staatliches Monopol auf den Cannabisverkauf errichtet hätten, das keine Profite erwirtschaften muss und die Gesundheitspolitik im Blick hat. Ich bin der Meinung, dass Cannabis kein Produkt ist, das man bewerben und verkaufen sollte wie Cornflakes. Aber das ist Amerika – das Land der Freiheit und vor allem des freien Marktes. Wir werden in Kürze viele Werbespots und Anzeigen für Cannabisprodukte sehen: »Smoke this. Be happy.« Mir gefällt diese Entwicklung nicht. Mit Cannabiskonsum verhält es sich nicht anders als mit Tabak, Alkohol oder Spielbanken: Richtig viel Geld verdienen die Firmen nur, wenn sie viele Menschen süchtig machen.
Dieser Text ist in der März-Ausgabe erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.