Politik Nicht wählen bringt auch nichts

Politik: Nicht wählen bringt auch nichts
Neulich habe ich diesen Kampagnenfilm gesehen, mit dem mich der Bundestag dazu bringen will, meine Abgeordneten zu wählen und da ist mir die Lust gleich wieder vergangen. »Wer auch mal rischtisch austeilen will«, sagt mir da ein prolliger, aber natürlich sympathischer Boxer, »der geht wählen.«

Ernsthaft? Als wäre Politik irgendeine Funsportart. Wenn ich mal richtig austeilen wollen würde, lieber Bundestag, dann würde ich mir dafür eine andere Methode überlegen, als in die Grundschule meines Sprengels zu latschen und ein paar Kreuze hinter ein paar Namen zu setzen

Trotzdem: Die Behauptung, es würde sich nicht lohnen zu wählen, kann ich nicht mehr hören. Sicher ärgere ich mich auch über die Parteien, die mir eigentlich am nächsten stehen. Natürlich macht es – zum Beispiel in außenpolitischer Hinsicht – keinen fundamentalen Unterschied, ob eine schwarz-gelbe, schwarz-rote oder grün-orangene Regierung an der Macht ist.

Ganz offensichtlich ist keine der Parteien bestrebt, die Bürger darüber zu informieren, wie sehr sie von Geheimdiensten überwachbar sind, schließlich stellen die Parteien ja den Staat, der seine Bürger überwachen will.

Aber zum einen unterscheiden sich die Parteien in vielerlei Hinsicht sehr wohl: Die Linkspartei war zum Beispiel die einzige Partei, die sich ausdrücklich gegen die Wasserprivatisierungspläne gestellt hat. Die Grünen sind die einzige Partei, die wirklich etwas gegen Massentierhaltung tun will, die so viele Bürger aufbringt.

Beliebig sind in der deutschen Demokratie vor allem die größte Volkspartei – und das Volk selbst.

Wer sagt, es gebe keinen Unterschied zwischen den Parteien verschleiert nur, dass er selbst keinen Unterschied mehr zwischen ihnen macht. Keine Partei wird ihr Programm Eins zu Eins umsetzen, wenn sie in der Regierung ist. Aber man kann eine Partei auch wählen, weil sie für die Prinzipien steht, die man für richtig hält – nur muss man sich dafür eben auch überlegen, welche politischen Prinzipien man überhaupt hat.

Zum anderen ist Nicht-Wählen eine deprimierende und perspektivlose Strategie, mit der – zugegebenermaßen deprimierenden und perspektivlosen – politischen Situation umzugehen. Wenn Wählen nichts bringt, dann bringt Nich-Wählen nämlich erst recht nichts.

Anders als einen Konzern kann man eine Demokratie nicht ärgern, indem man sie boykottiert. Die Demokratie wird nicht neue Parteien hervorbringen oder ein besseres System werden, um neue Wähler zu locken. Sie wird einfach weiter machen wie gehabt, und die Parteien werden sich noch weniger Menschen verpflichtet fühlen. Das sieht man daran, wie die Parteien schon jetzt mit jenen umgehen, die den größten Anteil der Nicht-Wähler ausmachen:

Wer keinen oder einen niedrigen Schulabschluss und sonst auch wenige Ressourcen zur Verfügung hat, geht meist nicht wählen und ist deswegen nicht nur den meisten Politikern, sondern mittlerweile auch einem großen Teil der Öffentlichkeit herzlich egal.

Ich gehe nicht zur Wahl, weil ich Angst habe, dass ich mein Wahlrecht sonst verliere, wie Kollege Alard unterstellt. Sondern weil ich, wenn ich mich schon über alles ärgere, mich wenigstens in Beziehung setzen will zu denen, die im Bundestag und in den Ministerien sitzen.

Ich will sagen können, ob das meine Regierung ist oder nicht, und wenn es nicht meine Regierung ist, dann will ich wenigstens dazu beitragen, dass genügend Leute in der Opposition sind.

Der Philosoph Theodor W. Adorno hat einmal über das Nicht-Mitmachen geschrieben: »Die eigene Distanz vom Betrieb ist ein Luxus, den einzig der Betrieb abwirft.«

Ich würde von all denen, die öffentlich über die Beliebigkeit der Parteien und die Sinnlosigkeit der Wahlen schimpfen, gerne einmal hören, was noch möglich wäre, außer nichts. Solange das nicht klar ist, werde ich wählen gehen. Wer nicht wählt, richtet sich auch nur auf der Zuschauerposition ein und genau da – schön bequem und möglichst weit weg – wollen uns diejenigen, die uns regieren, ja auch haben.

Die Gegenmeinung zu Meredith findet ihr in der Oktober-Ausgabe von NEON.