In unserem aktuellen Heft sprechen die Opfer von Polizeigewalt über ihre Erlebnisse und die Schwierigkeiten, sich rechtlich zu wehren. Unabhängig von der Kritik an der Aufarbeitung der Polizeigewalt-Fälle begegnen auch Polizisten in ihrem täglichen Dienst gewaltbereiten Menschen. Mit diesen umzugehen, ist Teil ihrer Arbeit, auf die sie in der Ausbildung vorbereitet werden. Um einen Einblick in die Arbeit und den Alltag eines Polizisten zu erhalten, hat NEON mit dem Bereitschaftspolizisten Fabian Rockhausen gesprochen. Der 31-Jährige arbeitet seit zehn Jahren bei der Hamburger Polizei und ist Mitglied der Deutschen Polizeigewerkschaft. Herr Rockhausen, neben ihrer Funktion als Bereitschaftspolizist arbeiten Sie auch als Streifenpolizist in Hamburg. Reagieren die Menschen dann anders auf Sie?
Wenn wir auf Streife gehen oder zu Einsätzen gerufen werden, habe ich das Gefühl, dass wir immer noch häufig als Freund und Helfer gesehen werden. Viele sind froh, wenn wir kommen. Die Leute rufen ja an, weil sie in Straftaten verwickelt sind oder selbst Gewalt erleben. Es gibt aber auch Brennpunkte, an denen man angepöbelt und beleidigt wird, zum Beispiel nachts auf dem Kiez.
Was tun Sie dann?
Da ist jeder unterschiedlich, aber es bringt meist mehr, ein Gespräch zu suchen, als sich darüber aufzuregen und sofort rigoros einzuschreiten. Man eignet sich über die Jahre schon ein dickeres Fell an – obwohl ich auch nicht dazu bereit bin, mich beleidigen zu lassen. Ich nehme die Personalien auf, darauf folgt dann eine Anzeige.
2012 wurden 3.870 Polizeivollzugsbeamte schwer oder gefährlich im Dienst verletzt – das sind 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Merken Sie selbst einen Anstieg?
Inwieweit die Masse an Polizisten schwerere Verletzungen erleidet, kann ich nicht sagen. Ich habe nur einen Einblick, was meine Einheit angeht – da hatten wir bisher alles von leichten bis hin zu schweren Verletzungen. Es ist ja schlimm genug, dass wir überhaupt attackiert werden. Wir können uns nicht hundertprozentig davor schützen.
Und bei Ihnen?
Ich persönlich bin bisher mit blauen Flecken und leichten Blessuren davongekommen.
Als Bereitschaftspolizist werden Sie bei Demonstrationen, Fußballspielen oder anderen Großveranstaltungen eingesetzt. Wie gehen Sie dort vor, was sind Ihre Anweisungen?
Wir sind eigentlich immer darauf bedacht, deeskalierend zu wirken. Wir wollen nichts künstlich hochfahren. Aber es gibt auch Situationen, wo man diesen Spielraum nicht hat. Das war zum Beispiel bei den 1.Mai-Demonstrationen in Berlin so. Es gibt dann eine Ansage, dass der Zeitpunkt da ist.
Was heißt das?
Wenn man sich wie damals in Berlin in einem Steinhagel wiederfindet, Demonstranten mit Verkehrsschildern werfen, und ich links und rechts verletzte Kollegen sehe, nützt auch keine Deeskalation mehr. Wenn man so einer Masse gegenübersteht, muss man dementsprechend handeln – heißt, auch mit einer gewissen Stärke. Dabei bleibt nicht aus, dass man als Bereitschaftspolizist selbst körperliche Gewalt anwendet und Hilfsmittel wie der Schlagstock zum Einsatz kommen.
Was geht Ihnen in solchen Situationen durch den Kopf?
Erst einmal fragt man sich selbst: Warum läuft das hier so aus dem Ufer? Hat man selber etwas falsch gemacht? Viel Zeit bleibt aber nicht. Wenn dann Steine fliegen, dann bekommen wir ja die Vorgabe, dagegen vorzugehen, die Gewalt einzudämmen. In der Situation geht es oft so schnell, da agiert und funktioniert man nur. Die Gedanken, Fragen kommen im Nachhinein – deshalb ist es auch so wichtig, dass man mit seinen Kollegen darüber spricht und den Einsatz nachbereitet.
Haben Sie Angst?
Ich versuche, sie zu unterdrücken, Ich bin ja jetzt auch schon seit zehn Jahren dabei. .Aber ein Stück Angst bleibt immer vorhanden – und ich denke, dass es auch wichtig ist, dieses Gefühl nicht zu verlieren.
Was spüren Sie denn durch Ihre Schutzmontur?
Man merkt, wenn man von einem Stein getroffen wird – das ist zwar kein Schmerzgefühl, aber man erschrickt. Ich habe mal eine Bierflasche auf den Kopf geschmissen bekommen – so etwas ist ein negatives Erlebnis, weil man nicht weiß, woher es kommt, weil man sich fragt, wie es wohl gewesen wäre, hätte man keinen Helm auf.
Im vergangenen Jahr wurde das Thema Polizeigewalt immer wieder kritisch in den Medien beleuchtet. Merken Sie, dass Sie seitdem anders wahrgenommen werden, kritischer beäugt werden?
Eigentlich nicht. Das ist ja nichts Neues – ich merke schon seit ganz langer Zeit, dass der Polizei kritisch gegenübergestanden wird. Zu dem Thema an sich: Wenn Polizeibeamte zu Einsätzen gerufen werden, wo es allgemein um Gewalt geht, ist es nicht immer möglich, die Situation mit einfachen Worten oder Kommunikation zu klären. Da sind uns zum Teil die Hände gebunden. Einige Situationen kann man einfach nur mit einfacher körperlicher Gewalt bewältigen. Dass dass nicht immer ein glückliches Bild abgibt, ist klar. Aber muss man immer den Kontext, die Gesamtsituation betrachten.
Wie ist das bei Demonstrationen?
Bei größeren Einsätzen wie Demonstrationen haben wir immer das Problem, dass sich das Publikum mischt, es sind Familien, friedfertige Demonstranten, aber auch gewaltbereite Leute. Es ist für uns ganz schwer, dort immer eine hundertprozentige Trennung zu finden.
Warum? Diese Gruppen unterscheiden sich ja durchaus in Ihrem Auftreten.
Aber es ist ja nicht so, dass auf einmal die Gewaltbereiten auf die rechte Seite gehen und alle anderen, die damit nichts dazu tun haben wollen, auf die linke. Wir haben die Vorgabe, dass wir mindestens drei Ansagen machen, »Verlassen Sie die Örtlichkeit« »Unterlassen Sie das Werfen von Steinen« oder wie auch immer. Wir drohen die nächsten Schritte an, dass wird auch so durchgeführt. Wer nach einem bestimmten Zeitpunkt immer noch so schaulustig ist, wer da unbedingt neben dem Steinewerfer stehen muss, der geht das Risiko ein, auch die Maßnahmen der Polizei zu merken.
Wie erklären sie sich selbst die Gewaltbereitschaft bei einigen Demonstrationen?
Man stellt uns als Polizei natürlich gleich mit dem Staat und auch mit der Politik. Aber keiner sagt, auf den Fabian Rockhausen habe ich es abgesehen – der Frust richtet sich nicht gegen uns Einzelne. Das merke ich, wenn man die Chance bekommt, sich mit den Demonstranten zu unterhalten. Viele sind erstaunt, dass man mit einem Polizeibeamten in Montur, mit Helm und Einsatzstock, auch ganz normal reden kann. Aber es gibt halt Probleme, die in den größeren Bereich gehen – Kritik an der Politik, an Europa, Jugendarbeitslosigkeit. Wir sind vor allem dazu da, die Versammlungsfreiheit zu gewährleisten.
Herr Rockhausen, ich danke Ihnen für das Gespräch.