Politik Die Glutbürger

Politik: Die Glutbürger
Der Grillwahn im Stadtpark zeigt: Wir reden dauernd über gute Ernährung und Nach­haltigkeit, wollen uns aber gar nicht ethisch verhalten. Wir wollen der Zivilisation entfliehen.

Neulich haben sie einem befreundeten Paar den teuren Weber-Grill aus dem Hinterhof geklaut. Vermutlich haben inzwischen auch die Diebesbanden gemerkt, dass der Grill das neue ­Vintage­-Rennrad ist – zumindest, wenn es sich um das Modell »Master-Touch GBS« in der Trendfarbe »Smoke Grey« handelt. Der Aufschrei im Freundeskreis war groß. Nur ich konnte meine heimliche Freude schwer verbergen. Nur ein verschwundener Grill ist ein guter Grill! Vielleicht baut ja ein Schrotthändler daraus etwas Sinnvolles, einen Rollator oder so. Der Irrsinn, zu dem unsere obsessive Beschäftigung mit Ernährung führt, ist selten so sichtbar wie bei »Grillwetter« (in Deutschland alles über zehn Grad). Wie Steinzeitmenschen rotten sich die Leute im Park zusammen und halten ihre hässlichen Pappteller in ihren Papphänden, um sich Pappessen in die Pappköpfe zu schieben.

Es macht da auch nur einen rein kosmetischen Unterschied, ob die Feueraktivisten nun Einweggrills aus dem Ein-Euro-Shop nutzen oder doch den Gasgrill im Gegenwert eines Kleinwagens; ob das Fleisch vom regionalen Bioschlachter kommt, den man mit blutigem Handschlag begrüßt, oder aus dem Tankstellenkühlregal, wo es in orangefarbener Dingsbumssoße herumschwimmt. Beim Grillen zeigt sich die Unzurechnungsfähigkeit des modernen Menschen: Obwohl wir Ernährung in den vergangenen Jahren zum Fetisch gemacht haben, von »Farm-to-Table« schwärmen und via Food-Blogs und Instagram-Fotos ein Fern­studium in Ökotrophologie absolvieren, haben wir nichts verstanden. Denn wenn gegrillt wird, schmeißt sich auch der Typ ein saftiges Steak auf den Rost, der seine Freunde sonst mit Horrorgeschichten aus ­Jonathan ­Safran ­Foers Vegetarierbibel »Tiere essen« nervt. Die endlosen Debatten um Nachhaltigkeit und ­Klimawandel und Konsumentenmoral sind absolut folgenlos geblieben. Kein Zufall, dass die Grillwiesen mit den unzähligen Rauchsäulen aussehen wie Bitterfeld in den 70er Jahren.

Der fiebrige Glanz in den Augen der Grill-Fans verrät im Gegenteil, dass hinter unserem Gerede vom bewussten, ethischen Lebenswandel ein ganz anderes Motiv steckt: die Flucht zurück zur Pseudonatur. Wie echt und authentisch sich alle fühlen, wenn sie Essen über dem offenen Feuer und unter freiem Himmel zubereiten. Wie lächerlich und naiv.

Zum Grillschwachsinn passt auch der Ernährungstrend »Paleo-Diät«, bei der man ­essen soll wie Neandertaler, also nichts anrühren darf, was mit Ackerbau und gesellschaftlichem Fortschritt im Allgemeinen zu tun hat. Stattdessen mampft man Beeren und Fleisch. »Das Beste ist der große Anteil Fleisch!«, schwärmt »Hubert K., Zahntechniker«, in einem Internetforum (»Erfahrungen mit der Paleo-Diät«). Da müsse man keine Biokörner knabbern, sondern könne sich beim Grillen austoben. Ich kenne Hubert K. nicht persönlich, aber ich habe da so eine Vorstellung: Beim Austoben über dem offenen Feuer sind Männer noch ganz bei sich, mit ihrem widerlichen Auskennertum, das sie fachmännisch über die Glut wachen und gutsherrenhaft über die hungrigen Gäste blicken lässt. Insgeheim macht ihnen der Siegeszug von Feuerstelle und Nahrung made im Neandertal doch Hoffnung, dass auch andere Dinge zurückkehren, die bereits als überwunden galten: Mackertum und Patriarchat zum Beispiel. »Im tiefsten Grund zivilisationsfeindlich« nennt der Essayist Stefan Gärtner die ­Paleo-Diät – und für das Grillen gilt dasselbe.

Wenn wieder alle für fettig-rußige ­Rippchen anstehen, wird unser organisch-moralisches Ernährungsgetue entzaubert: Es geht keineswegs darum, irgendwelche Tiere, die Umwelt oder gar irgendwelche Mitmenschen zu retten, hier geht es um das Ressentiment gegenüber jeder Technologie, die über einen Supergrill oder ein Superrad hinausgeht. Und weil man die Fortschrittsgläubigen heute nicht mehr auf dem Scheiterhaufen verbrennen darf, muss jetzt eben stellvertretend ein Biowürstchen brutzeln. Nicht umsonst er­innern die teuersten der Grillgeräte an metallische Kampfmaschinen für die ­Postapokalypse, in der statt Zivilisation dann endlich wieder das Archaische herrscht. Schaut her, rufen die Grüppchen im Stadtpark: Wir haben Feuer gemacht, zünden fossile Brennstoffe an und legen totes Tier drauf, wie sind wir doch mit der Natur im Einklang! Ja, das seid ihr – genauso brutal, wie es sonst nur die Natur sein kann.

Dieser Text ist in der Ausgabe 08/15von NEON erschienen. Hier können Einzelhefte der NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es auch digital in der NEON-App.