Als die Leiche meines Vaters an die Wände des Gerichtssaals projiziert wurde, bin ich nicht hingegangen. Ich hatte es mir fest vorgenommen, jedes Mal in München zu sein, wenn der Fall meines Vaters verhandelt wird. Ich wollte ihn nicht wieder im Stich lassen, wollte zeigen, dass ich als Tochter zu ihm stehe. Aber ich konnte es einfach nicht. Die Fotos von der Obduktion, das Blut, das zerschossene Gesicht. Diese Brutalität. Ich hatte wirklich Angst vor diesem Moment. Und ich will nicht, dass sich diese Bilder meines Vaters in mein Gedächtnis brennen.
Es ist ohnehin schwierig genug, nach München zu fahren. Ich schaffe es nur noch selten, auch weil ich immer jemanden finden muss, der sich um die Kinder kümmert. Mein Mann liest alles über den Prozess, er erzählt mir immer, was gerade passiert, aber ich halte das nicht aus. Jedes Mal, wenn ich etwas lese kommt es immer wieder hoch.
Dann weine ich viel, weil ich mir Vorwürfe mache. Meine Tochter kommt oft zu mir, auch mein Sohn, sie umarmen mich. Aber es tröstet mich nicht. Sie haben ihren Großvater nie kennengelernt. Das tut mir so leid. Warum habe ich so lange nicht mehr mit ihm telefoniert nach der Scheidung meiner Eltern? Warum habe ich ihn nicht viel früher besucht in Nürnberg? Nun ist es zu spät. Das denke ich jedes Mal, wenn ich Bilder von Beate Zschäpe sehe. Jedes Mal stürzt es dann wieder auf mich ein. Warum habe ich nicht Kontakt zu ihm gehalten? Es tut so weh. Ich werde wahnsinnig, weil ich nicht früher hingefahren bin.
Die Hinterbliebenen von NSU-Opfern waren letztens zu Angela Merkel ins Kanzleramt eingeladen. Die Bundeskanzlerin hat sich bei uns entschuldigt. Danach saß sie mit mir eine halbe Stunde allein am Tisch, wir waren direkt nebeneinander. Dabei hat sie mich so komisch angeguckt. Von der Seite hat sie geschaut, fast gestarrt, ich wusste gar nicht, was ich tun soll. Sie hat gefragt, wie es mir geht. Nicht so gut, habe ich ihr gesagt, und dass mich das alles so mitnimmt. Sie wollte wissen, was für Probleme wir haben. Was hätte ich ihr sagen sollen? Wie schwer es ist von Hartz 4 zu leben? Was erzählt man bloß einer Angela Merkel? Ich kam mir blöd vor. Dass ich einen Arzt brauche, habe ich ihr dann gesagt. Die Bundeskanzlerin versprach, dass sie sich darum kümmern wird. Als ich nichts mehr sagte, starrte sie mich nur noch an.
Die Entschuldigung habe ich ihr aber abgenommen. Ich habe ihr mehr geglaubt, als Carsten S.. Der Mitangeklagte von Beate Zschäpe hat sich im Gerichtssaal entschuldigt, als ich das letzte Mal da war. Er hat dem Trio die Waffe gebracht, mit der mein Vater ermordet wurde. Tagelang wurde er vorher befragt, die Entschuldigung kam ganz am Ende. Er hat sie hervorgewürgt. Mich hat das eigentlich eher wütend gemacht. Es würde uns mehr helfen, wenn er die Wahrheit herauswürgen würde, statt ein »Entschuldigung« zu stammeln.
Einen Arzt hat mir Angela Merkel aber dann doch nicht besorgt. Bisher habe ich von ihr nichts wieder gehört.
Protokoll: Lena Kampf
Foto: Franz Bischof