Politik Facebooks 60 Geschlechteroptionen

Politik: Facebooks 60 Geschlechteroptionen
In den USA gibt es sie schon, jetzt zieht Deutschland nach: Ab sofort können Facebook-Nutzer nicht nur zwischen den Kategorien »Mann« und »Frau« entscheiden, sondern haben die Wahl zwischen 60 Bezeichnungen für ihre Geschlechtszugehörigkeit. Warum das so viele sind, hat uns Axel M. Hochrein, Vorsitzender des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) erklärt.

Herr Hochrein, Facebook hat für deutsche Nutzer eine neue Funktion eingeführt: Jetzt kann man in seinem Profil nicht mehr nur zwischen männlich und weiblich wählen, sondern unter anderem »androgyn«, »intersexuell« oder »Femme« sowie »Trans* Mann« oder »Trans* Frau«. Insgesamt sind es 60 neue Bezeichnungen. Warum so viele?

Weil es für ähnliche geschlechtliche Identitäten unterschiedliche Worte gibt, je nach Herkunftsland, Sprache oder Community. Die Verschiedenheit im Gender-Ausdruck braucht angemessene Begriffe. Es geht nicht darum, Leute in Schubladen einzusortieren, sondern Bezeichnungen aufzulisten, die das Selbstverständnis der Menschen treffen. Erst in den letzten Jahren haben sich viele dieser Begriffe entwickelt. Der Prozess der sprachlichen Definition ist noch nicht abgeschlossen. Bis dahin müssen wir den Menschen Bezeichnungen zur Verfügung stellen, die ihrer Wahrnehmung von sich selbst entsprechen.

Es geht also nicht um 60 Geschlechter, sondern nur um 60 Begriffe.

Genau. Eine Tageszeitung hatte vor kurzem geschrieben: »Deutschland hat zwei Geschlechter mehr als Amerika«. Das ist falsch. Nur weil es bei Facebook USA 58 Begriffe zur Auswahl gibt, und im deutschen Facebook 60, haben wir nicht automatisch mehr Geschlechter. Nur mehr Bezeichnungen. Es geht nicht mehr nur um biologische Geschlechtlichkeit, sondern um Selbstempfindung und Identifikation.

Nun scheint es ja so, als seien sehr viele dieser Identitäten sich ähnlich: »trans* weiblich« und »Trans* Frau«, zum Beispiel. Ist das nicht dasselbe?

Für Außenstehende scheinen diese beiden Worte synonym, ja. Es ist ja wirklich erst einmal eine Auswahl. Ein Experiment, wenn man so will. Wie sich diese Liste noch entwickelt, werden wir sehen. Vielleicht reduziert sie sich, vielleicht kommen aber auch neue Bezeichnungen hinzu. Wenn ich Vielfalt zulassen will, muss ich erst einmal auch alle sprachlichen Nuancen zulassen. Es wäre falsch, sofort wieder auszugrenzen und zu sagen: »Das klingt ähnlich, ich fasse das zusammen«, wenn doch beide Bezeichnungen in Communities genutzt werden.

Warum hat Facebook nicht ein leeres Feld zur Verfügung gestellt, in das jeder einfach die Identität hineinschreiben kann, die zu ihm passt?

Das wird wohl technische Gründe haben, ich bin in der Softwareentwicklung nicht drin. Außerdem werden ja die Nutzer, denen »männlich« oder »weiblich« als Identität reicht, mit diesen 60 Begriffen gar nicht belästigt. Die haben immer noch ihre zwei Auswahlmöglichkeiten. Erst, wenn man das Feld »benutzerdefiniert« darunter anklickt, kann man etwas anderes wählen. Facebook selbst hat gesagt, dass sie diese Liste nicht als endgültig ansehen, sondern als »work in progress«. Anhand der 60 Begriffe will das Unternehmen wahrscheinlich auch sehen, wie die Nutzer darauf reagieren: Was wird angenommen, welche Begriffe sind noch wünschenswert, was wird eher ignoriert?

Politik: Facebooks 60 Geschlechteroptionen

Von diesen 60 Bezeichnungen gibt es viele, die ich nicht verstehe. Was ist zum Beispiel das »Two Spirit Dritte Geschlecht«?

Das »Dritte Geschlecht«, oder auch »Spirit Gender«, kommt aus dem Indischen. Es bedeutet, dass man sich mit einem anderen Geschlecht identifiziert, als die biologischen Geschlechtsmerkmale sozusagen »vorgeben«. Hierzulande ist diese Identität auch eher als »Trans Gender« bekannt.

Und was heißt »Pan Gender« oder »Inter«?

Intersexuelle hatten es lange sehr schwer. Das sind Menschen, die mit beiden biologischen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden: Sowohl Penis als auch Vagina. In Deutschland mussten Eltern noch bis Anfang der 2000er bei der Anmeldung ihres neugeborenen Kindes beim Standesamt auch dessen Geschlechtszugehörigkeit – Junge oder Mädchen – angeben. Deswegen wurde intersexuellen Babys schon sehr früh eines der Geschlechtsmerkmale wegoperiert, um ein Geschlecht festlegen zu können. Das führt später zu großen Identitätskrisen, weil oft das eigene Geschlechtsempfinden anders ist, als von Ärzten und Eltern festgelegt.
Es gibt auch Menschen, die fühlen sich in den Kategorien »Mann« oder »Frau« nicht wohl. Oder sie wollen ihr Geschlecht wechseln. Oder ihnen ist die Geschlechtsdefinition egal, sie fühlen sich einfach als »Mensch«. Das ist dann die Pansexualität.

Warum muss man denn unbedingt in sozialen Netzwerken sein Geschlecht angeben?

Jeder Nutzer kann ja wählen, ob andere seine Angaben sehen können oder nicht. Das fängt beim Profilfoto an und geht über Telefonnummer, Geburtsdatum bis hin zum Geschlecht. Im Prinzip kann man alles vor der Öffentlichkeit verbergen. Der Grundgedanke hinter der neuen Gender-Liste ist aber: Menschen sollen sich authentisch selbst darstellen dürfen, wenn sie das möchten. Auf Plattformen wie Facebook öffnen sich die Leute ja und geben auch viel Persönliches von sich preis. Diversität in der Geschlechtlichkeit soll auch dazugehören.

Was meinen Sie, wird der nächste Schritt sein, dass wir in unseren Facebook-Profilen auch ein Feld für unsere sexuelle Orientierung bekommen?

Ich denke, das eine hat mit dem anderen nicht viel zu tun. Es ist richtig und wichtig, dass wir eine Vielfalt an Möglichkeiten haben, unsere geschlechtliche Wahrnehmung zu bezeichnen. Aber warum sollten wir eine Zwangsbenennung unserer sexuellen Orientierung einführen? Ein Heterosexueller wird nicht so zum Outing gedrängt wie ein Homosexueller oder ein Bisexueller. Wenn es das bei Facebook gäbe, würde es zu einer Ghettoisierung führen.

Facebook hat einen immensen Einfluss auf die Gesellschaft. Allein in Deutschland gibt es 30 Millionen aktive Nutzer. Kann so eine Änderung zu mehr Offenheit und Toleranz beitragen?

Das hoffe ich. Die gesellschaftliche Toleranz gegenüber geschlechtlicher Vielfalt ist ein wichtiger Effekt, den ich mir von dieser Liste verspreche. Wenn Menschen auf diese verschiedenen Bezeichnungen stoßen und sich damit beschäftigen, trägt das natürlich zum Diskurs bei und regt zum Nachdenken an. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Was würden Sie jemandem antworten, der sagt: »60 Geschlechterbegriffe? Das ist doch übertrieben! So viele braucht doch kein Mensch!«?

Dass er das sehr egoistisch und nur aus seiner Perspektive betrachtet. Natürlich gibt es Menschen, die ganz klar sagen »Ich bin ein Mann« oder »Ich bin eine Frau«. Ihnen reichen diese zwei Begriffe, und das ist in Ordnung. Es gibt aber auch Menschen – und das sind nicht wenige – die sich anders definieren. Die brauchen diese Zwischenstufen, diese feinen Nuancen. Wem tun wir denn weh, wenn wir ihnen diese Auswahl zugestehen?

Politik: Facebooks 60 Geschlechteroptionen

Facebook hat die 60 Geschlechteroptionen gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) ausgearbeitet. Der Verband hat bei der Übersetzung der englischen Begriffe geholfen und über neue deutsche Begriffe beraten. Axel M. Hochrein (51) gehört zum Bundesvorstand des LSVD und freut sich, dass geschlechtliche Vielfalt auch in den sozialen Netzwerken ankommt.