Es ist – und das sagt schon viel – das Thema des Wochenendes gewesen: Uli Hoeneß hat Selbstanzeige bei den Finanzbehörden gestellt. Er hat Steuern nicht gezahlt, die er hätte abführen müssen.
Punkt. Das ist der aktuelle Kenntnisstand. Und wirklich nur: das. Darüber hinaus geistern weitere Meldungen durch die Medien. Im Januar schrieb der „stern“ von hunderten Millionen Euro eines „Spitzenvertreters der Bundesliga“, die in der Schweiz auf einem Konto lägen, die „Abendzeitung“ beruft sich auf eine Quelle und ordnet diesen Betrag Hoeneß zu (was dieser dementierte). Der „Focus“ berichtet von einer Hausdurchsuchung im privaten Anwesen von Hoeneß. Eine Abschlagszahlung von sechs Millionen Euro soll Hoeneß schon jetzt an die Steuerbehörden laut „Bild am Sonntag“ geleistet haben, die „Süddeutsche Zeitung“ spricht dagegen von 3 Millionen Euro.
All das ist weder von Uli Hoeneß noch von den ermittelnden Behörden bestätigt. Der Kenntnisstand ist (für ein laufendes Verfahren typisch) dürftig. Worüber diskutiert werden kann, ist die enorme Fallhöhe von Hoeneß. Wer sich selbst als moralische Instanz geriert, sollte dem auch gerecht werden. Aber alles andere ist pure Spekulation.
Die Medien bewegen sich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite gibt es kaum bestätigte Erkenntnisse. Auf der anderen Seite aber eine extrem hohe Nachfrage nach Informationen. Durch das Internet wird dieser Wunsch ebenso schnell zu den Medien transportiert wie er auch von diesen befriedigt werden kann. Die Versuchung, auch diffuse oder nicht bestätigte Informationsschnipsel zu veröffentlichen, ist groß.
Das für sich genommen ist oft genug ein Problem. Geradezu absurd wird es dann aber, wenn auf Grundlage dieser vielen nicht verifizierten Informationen über den Sachverhalt diskutiert werden soll. So geschehen gestern Abend bei Günther Jauch, der eilig sein ursprüngliches Thema aufgab und sich eine Runde zum „Fall Hoeneß“ zusammenstellte.
Titel der – auch im Tatort vorangekündigten – Sendung: „Der Fall Uli Hoeneß – vom Saubermann zum Steuersünder“. Besser wäre gewesen: „Der Fall Uli Hoeneß – eine Reise ins Land der Konjunktive mit inhaltlich randomisierter Gästerunde“. Denn wer diskutierte all jene Informationen, deren Wahrheitsgehalt man höchstens erahnen kann? Norbert Walter-Borjans (Finanzminister NRW), Wolfang Kubicki (FDP, vertritt als Anwalt „Steuersünder“), Jörg Quoos (Chefredakteur „Focus“, dessen Blatt das Thema ins Rollen brachte) und Dieter Ondracek (ehemaliger Steuerfahnder).
Bis hierhin ist die Gästewahl inhaltlich noch begründbar. Doch wer die Rundengestaltung in deutschen Talkshows kennt, kann schon erahnen, was ihr noch fehlt: die „Stimme des kleinen Mannes“ und natürlich „die gefühlige Plaudertasche“. Hier vertreten durch: Ex-Sportmoderator Dieter Kürten (Kompetenz: hat schon privat mit Hoeneß gesprochen) und Witzchenmacher Oli Pocher (Kompetenz: Andrea Kaiser – weiblich, gut aussehend, hat Ahnung von Fußball, macht gerne die Quotenfrau – konnte vermutlich nicht).
Solche Blüten treibt die beschriebene Hektik in den deutschen Medien. Erstens: Es wird ein Thema diskutiert, dessen Informationsdichte irgendwo zwischen porös und luftig liegt. In einer Woche, in der die Frauenquote abgelehnt (inklusive Rücktrittsankündigung der zuständigen Ministerin), der Ruf nach Videoüberwachung nach neuen Terrorvorfällen wieder laut und die Bundesregierung von der UNO gerügt wurde, das Ermittlungsverfahren wegen rassistischer Äußerungen von Thilo Sarrazin eingestellt zu haben. Zweitens: Ist ein Thema von öffentlichem Interesse, muss es diskutiert werden. Sofort und ohne Rücksicht darauf, ob die Informationslage eine sinnvolle Diskussion zulässt. Sollte die Runde nach fünf Minuten nichts mehr zu besprechen haben, garniert man die Sendestunde im Notfall eben mit Witzchen, Spekulationen und Meinung.
Anstatt das eigentliche Problem zu besprechen (Warum gelten Steuervergehen als Kavaliersdelikte? Tut die Regierung genug gegen Steuerhinterziehung? Welche Auswirkungen hat ihr Vorgehen auf die Finanzgestaltung des deutschen Staates?) stürzt man sich auf einen prominenten Einzelfall. Welches Ergebnis die eigentlichen Ermittlungen tatsächlich bringen werden? Irrelevant. Es geht um Aufregung um der Aufregung willen.
Auf dem Gipfel dieser Medien-Hyperventilation thront im aktuellen Fall Oliver Pocher. Warum er in der wichtigsten deutschen Politik-Talkshow saß, weiß er vermutlich selbst nicht. Und was er eigentlich zu sagen hatte, wohl ebenfalls. Und so versuchte er es eben mit Witzchen und ein bisschen Populismus für den Beifall. Man gewann dabei ungefähr so viel Erkenntnis wie beim Studium einer klingonischen Steuererklärung.
Ich prangere das an! Und mache euch damit automatisch den Pocher: Jemand, dessen Meinung nun wirklich nicht von nationalem Belang ist, urteilt über ein Thema, bei dem er notgedrungen auch nur an der Oberfläche kratzen kann. Ich sag’s ja: Es ist absurd.
Mit seiner Gesprächsrunde erreichte Jauch übrigens die beste Quote seit Start seiner Sendung. Und noch während die Nicht-Erkenntnisse zwischen seinen Gästen hin- und hergeschoben wurden, blendete der Sender einen TV-Tipp ein. „Hart aber fair“ am Montag Abend mit dem Thema: „Ausgerechnet Hoeneß – wem kann man jetzt noch trauen?“