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Politik Kann das Liebe sein?

Politik: Kann das Liebe sein?
Er ist 25. Sie kennt ihr Geburtsdatum nicht. Er ist Jurastudent aus der ­Hamburger Vorstadt, sie ist aus dem Südsudan geflohen. Max und Napuli sagen, sie seien verliebt. Können sie die deutschen Behörden überzeugen?

Text: Björn Stephan

An einem verregneten Julitag im Jahr 2014 öffnet Max Görlich ein neues Dokument auf seinem Laptop und denkt an die Zeit, als ihre Liebe noch zerbrechlich war. Max will genau berichten, was damals alles geschah. Es soll kein Liebesbrief werden, aber ein Text über die Liebe. Der Brief soll beweisen, dass ihre Geschichte keine Lüge ist. Er beginnt zu tippen: »Sehr geehrte Präsidentin des Kammergerichts, […] wir lernten uns am 15. 12. 2013 auf einer Demonstration […] kennen.«

Der 15. Dezember war ein Sonntag, einer dieser Berliner Winter­tage, die so kalt sind, dass die Haut an den Fingerknöcheln reißt. Max, ein Jurastudent mit Bäuchlein und Ansatz zum Doppelkinn, der davon träumt, ein großer Strafverteidiger zu werden, trug Schiebermütze und Wollmantel und setzte sich an ein Lagerfeuer, das zwischen den Zelten brannte. Es war sein erster Tag bei den Flüchtlingen auf dem Oranien­platz in Kreuzberg. Max, der aus der SPD wegen der Sache mit ­Sarrazin ausgetreten war, hatte in den Nachrichten von den Protesten erfahren, er wollte was tun. Deshalb hatte er den Flüchtlingen Lebensmittel beschafft: Äpfel, Kartoffeln, Hühnchen. Und er hatte mit ihnen für eine neue Asylpolitik demonstriert. Doch jetzt, am Lagerfeuer, ­fragte er sich, was er hier eigentlich machte: Max schaute sich um, das Camp war voller Menschen, er sah die Flüchtlinge, Marokkaner, Suda­nesen und Nigerianer, er sah die Unterstützer und Aktivisten – er kannte niemanden.

Politik: Max war einer von 400 Menschen, die im Dezember 2013 in dem Flüchtlingscamp in Berlin-Kreuzberg für eine andere Asylpolitik demonstrieren – auf dem Oranienplatz traf er auch Napuli.
Max war einer von 400 Menschen, die im Dezember 2013 in dem Flüchtlingscamp in Berlin-Kreuzberg für eine andere Asylpolitik demonstrieren – auf dem Oranienplatz traf er auch Napuli.

Max überlegte, aufzustehen und zurück in sein Studentenwohnheim nach Zehlendorf zu fahren, als auf einmal eine Frau ans Lagerfeuer trat. Alle schienen sie zu kennen. Alle außer ihm. Sie war groß, schlank, schwarz, trug eine enge Jeans, ihr dunkles Haar war über der hohen Stirn zu kleinen Knoten gedreht. Max erhob sich. Sie war wunderschön.

»Hallo, ich bin Max«, sagte er. Seine Stimme klang zaghaft. »Darf ich dich fragen, wie du heißt?« Die Frau sagte: »Ich bin Napuli«, drehte sich um und verschwand zwischen den Zelten. Und natürlich lief Max ihr hinterher.
So fing es an.

Politik: Im Jahr 2013 flogen 188 000 Menschen nach Deutschland – etwa ein Drittel der Asylanträge wird abgelehnt.
Im Jahr 2013 flogen 188 000 Menschen nach Deutschland – etwa ein Drittel der Asylanträge wird abgelehnt.

Er ist 25 Jahre alt und kommt aus Nienstedten, einem Hamburger Elbvorort mit Reihenhäusern und gestutzten Vorgärten, der Vater Juraprofessor, die Mutter Rechtspflegerin. Aus einer Welt, in der die Kinder zweisprachige Grundschulen besuchen und in der es nicht unwichtig ist, welchen Zweitwagen die Ehefrau fährt.

Sie kommt aus Chukudum, einem Dorf im Südsudan, und sagt, sie sei deutlich über dreißig, obwohl sie jünger aussieht. Ihr Geburtsdatum kenne sie nicht. Sie hat vier Schwestern und fünf Brüder und Narben auf den Fußsohlen, weil sie als Mädchen barfuß über Dornen in den Wald laufen musste, wenn wieder die Soldaten kamen. In der Welt, in der sie aufwuchs, können Männer mehrere Frauen heiraten und arbeiten als Maisbauern oder Rinderzüchter – zumindest solange gerade kein Bürgerkrieg herrscht. Eine Welt, in der eine Frau, die so selbstbewusst und charismatisch ist wie Napuli, nur schwer ihren Platz findet.

Heute, ein gutes Jahr nach ihrem ersten Treffen, sitzen Max und ­Napuli in der WG-Küche im Studentenwohnheim in Zehlendorf, in dem sie sich ein Zimmer teilen. Max hat Nudeln mit Lachs gekocht. Während sie ihre Geschichte erzählen, fallen sie sich manchmal ins Wort, so wie nur Paare es tun. Sie sprechen Englisch miteinander und nennen sich »Baby«. In drei Tagen werden sie heiraten.

Bei dem ersten Treffen, erzählt Napuli, habe Max ausgesehen wie ein Spion – und sich auch so benommen

Napuli: »Sorry, Baby, du hattest so eine komische Mütze auf.«
Max: »Eine Schiebermütze.«
Napuli: »Ja, mit der sahst du aus wie ein Spion. Und du hast dich auch wie einer benommen.«
Napuli sagt, an ihrem ersten Abend sei es ihr vorgekommen, als würde Max sie verfolgen. Max stand neben ihr, als sie Flyer verteilte. Max stand neben ihr, als sie »No one is illegal« ins Megafon schrie und als sie einem Fernsehteam ein Interview gab. Und weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte, sagte er irgendwann: »Ich bin Jurist. Bist du ein Flüchtling?«
»Ja.«
»Brauchst du einen Anwalt?«
»Nein.«
»Hast du eine Telefonnummer?«
»Nein.«

Es ist so: Wenn sie ihn umgeworfen hat, dann hat er sie überrascht. Mit seinem Interesse. Mit seiner Hartnäckigkeit. Irgendwie gelang es Max, Napulis Telefonnummer aufzutreiben, er schrieb ihr eine SMS nach der anderen, sie trafen sich in einem Café. Er erzählte ihr, dass er Hockey mag, Fußball und das Neue Testament. Am Ende ihres ­zweiten Treffens fragte er sie: »Bist du verheiratet?«

»Nein, aber ich habe einen Freund«, schwindelte sie. So wie sie immer schwindelte, wenn sie einen Mann abwimmeln wollte. Sie fand ihn ja charmant, diesen Deutschen, dessen Englisch klang wie eine ratternde Nähmaschine, sie lachte über seine Witze, aber verlieben wollte sie sich nicht.

Napuli war aus einem Asylbewerberheim in Hannover ausgerissen und eine der wenigen Frauen auf dem Oranienplatz, große Schwester und Anführerin zugleich. Sie organisierte das Leben im Camp, sie reiste verbotenerweise durch Deutschland und forderte andere Flüchtlinge auf, sich dem Protest anzuschließen, sie sprach vor dem UN-Flüchtlingsrat in Wien und sie besetzte eine Schule in Kreuzberg. Sie musste stark sein; nur manchmal, wenn sie sich einsam und schwach fühlte und da wieder dieses Ziehen in der Magengrube war, rief sie ihre Schwester im Südsudan an.

Aber einen Mann? Nein. Sie hatte viele Verehrer, aber in ihrem Leben, das nur aus Kampf zu bestehen schien, war kein Platz für die Liebe. Sie hätte ja jederzeit abgeschoben werden können. Und was ist schon eine Liebe ohne Zukunft?

Max hörte trotzdem nicht auf, Napuli anzurufen. Sie trafen sich immer häufiger, bis Max fast jeden Tag am Oranienplatz war, manchmal durfte er sogar die Nacht in Napulis Zelt verbringen, aber nicht in ihrem Bett. Die anderen Flüchtlinge fragten Napuli: Wer ist dieser Kerl? Was will der hier?
Heute sagt Napuli: »An Max mag ich am meisten, dass ich mich auf ihn verlassen kann.«

Max sagt: »An Napuli mag ich, dass sie so erwachsen ist, klug und mutig.« Er hatte seinen Freunden und seiner Mutter schon früh von dieser tollen Frau vorgeschwärmt, mit der alles anders war als zuvor. Er wollte mit ihr sein, aber er wusste nicht, was sie wollte.
Bis Max eines Abends, sie kannten sich seit etwa vier Wochen, vorschlug, vom Camp zum nahen Teich am Michaelkirchplatz zu spazieren. Es war eine dunkle Nacht, man konnte die Sterne kaum sehen. Sie setzten sich auf eine Parkbank. Max nahm seinen Mut zusammen und sagte das, was längst jeder sah, sogar Napuli, auch wenn sie es nicht sehen wollte: »Ich mag dich.«

Er küsste sie. Napuli hatte das nicht erwartet, aber es war gut. Sie fühlte sich aufgehoben bei Max. Ihr, die sich immer um alle kümmerte, gefiel es, dass sich endlich einmal jemand um sie kümmerte. Das Ziehen in ihrer Magengrube spürte sie nur noch selten. Von diesem Zeitpunkt an waren sie zusammen.

Max und Napuli sind eines von einem Dutzend Paaren, die sich auf dem Berliner Oranienplatz kennengelernt haben. Viele der Flüchtlinge haben geheiratet oder Kinder bekommen, meist ist es ihre einzige ­Chan­ce, in Deutschland bleiben zu dürfen. Denn knapp ein Drittel der Asylanträge wird abgelehnt. In der linken Szene gibt es die Tradition, Flüchtlinge zu heiraten, um die Abschiebung zu verhindern. Aktivisten sprechen nicht von Scheinehen, sondern von »Schutzehen«. Es gibt deshalb nicht wenige, die vermuten, die Beziehung von Max und Napuli existiere nur aus politischen Gründen und nur auf dem Papier. Diese verdächtige Liebe zwischen einem deutschen Jurastudenten und der »Frau im Baum«, wie die »Bild«-Zeitung Napuli nannte, weil sie vier Tage lang im Hungerstreik in einer Baumkrone ausharrte.

Max sagt: »Es machte mich echt fertig, dass einem das alle unterstellen. Ich verstehe nicht, warum man zwei Menschen, die sich lieben, solche Steine in den Weg legt!«

Der Abend des 18. Februar 2014, sie kannten sich seit zwei ­Monaten, es war schon dunkel, als Max und Napuli zu seiner Wohnung ­liefen, sie diskutierten über Politik. Während Napuli redete, schaute Max sie von der Seite an. Es war einer dieser stillen Momente, in denen die Liebe keine Worte kennt. Das ist die schönste Frau der Welt, dachte er, blieb stehen, kniete sich hin, nahm ihre Hand.

»Das ist ein Witz, oder?«, sagte sie.

Er schüttelte den Kopf. Dann stellte er ihr die Frage. Sie zögerte. Auf dem Oranienplatz hatte sie von deutschen Aktivisten einige Heiratsanträge bekommen und immer abgelehnt. Mit der Ehe spielt man nicht, die Ehe ist etwas Ernstes. Aber, so erzählt es Napuli, bei Max war es anders: Er fragte nicht aus Mitleid, sondern aus Liebe.

Sie sagte: »Was soll ich denn jetzt antworten? Gib mir Zeit, okay?«

Dann schaute sie zu ihm herunter, sah, wie er auf dem Weg kniete. Sie lächelte. Ein paar Wochen später zog Napuli zu Max. Und Max fuhr zum Standesamt, um ihre Hochzeit anzumelden.

Die Liebesprüfung
Die Liebesgeschichte von Max und Napuli zeigt: Heiraten Deutsche und Flüchtlinge, schauen die Behörden genau hin.

In Deutschland heiraten etwa 370 000 Paare pro Jahr. In sieben Prozent der Fälle hat einer der ­Ehepartner keine deutsche Staats­bürgerschaft. Kommen der Aus­länder­be­hörde oder den Standes­beamten Zweifel an den Moti­ven des Paares, haben sie die Möglichkeit, die ­Verbindung prüfen zu ­lassen (die ­Prozessdetails unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland).
Für eine Prüfung muss der ­Verdacht einer Straftat bestehen. Denn es ist ­natürlich nicht verboten, einen Menschen zu heiraten, den man nicht liebt. Eine Scheinehe ist nur ­illegal, wenn sie dazu dient, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten (nach § 95 Abs. 2 Nr. 2).
Die Behörden können dann unterschiedliche Maßnahmen ergreifen: So werden von dem Paar oft Zeug­nisse oder ein Begründungsschreiben verlangt oder ein Gesprächs­termin an­beraumt. Es kann aber auch ein Überraschungsbesuch durch ­Ordnungsbeamte angeordnet werden, die etwa die Zahl der Zahn­bürsten im Haushalt überprüfen. Die Behörden gehen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich aggressiv vor. 2013 erfasste die Polizei 651 Verdachtsfälle, bei der sich eine Person durch eine »Scheinehe« ein Visum, eine Niederlassungsbe­fugnis oder eine Aufenthaltserlaubnis erschlichen haben soll. Fast in 100 Prozent dieser Fälle sahen die Behörden den Verdacht bestätigt. In diesem Fall werden die Scheinehen ­aufgelöst und die Täter bestraft: Die Sanktionen reichen von Geldstrafen bis zu drei Jahren Haft.
2013 flohen 188 000 Menschen aus Krisengebieten nach Deutschland.
Es gibt keine offizielle Statistik darüber, wie viele Deutsche jedes Jahr die Ehe mit Asylbewerbern eingehen. Die »Schutzehe«, mit der Flüchtlinge vor Abschiebung geschützt werden sollen, hat vor allem in der linken Szene zwar Tradition, ist aber kein Massenphänomen. Laut dem Statistischen Bundesamt wurden 2013 zum Beispiel nur 114 deutsch-afghanische Ehen geschlossen, 163 deutsch-­irakische oder 169 deutsch-syrische Ehen. Bei den Menschen handelt es sich aber nicht zwingend um ­Flüchtlinge.

Der Standesbeamte gab Max eine Liste mit Dokumenten, die man vorlegen muss, wenn man heiraten will. Wenn zwei Deutsche in Deutsch­land heiraten, genügen Pass und Geburtsurkunde. Aber schon wenn zwei EU-Bürger heiraten, wird es kompliziert. Napuli aber musste eine Melde­bescheinigung von der Ausländerbehörde vorlegen, dazu eine Kopie der Aufenthaltsgestattung, ein »Ehefähigkeitszeugnis« aus dem Süd­sudan, das beweisen sollte, dass sie nicht in einem anderen Land bereits verheiratet war, und einen Brief, in dem sie begründen musste, wieso sie Max heiraten möchte, und dass sie nicht nur heiratet, damit sie in Deutschland bleiben darf.

Es ist keine einfache Aufgabe für eine Behörde, die Wahrhaftigkeit einer Liebe zu überprüfen. Weniger als zwei Prozent der in Deutschland geschlossenen Ehen stehen unter Scheinehe-Verdacht (siehe Kasten). Die Beamten schöpfen Verdacht, wenn der Mann nicht weiß, wann die Frau Geburtstag hat, wenn Mann und Frau keine gemeinsame Sprache sprechen, wenn der Mann deutlich jünger ist als die Frau (der umgekehrte Fall, wenn die Frau jünger ist als der Mann, gilt übrigens nicht als verdächtig). Die Behörden können dann sogar die Polizei beauftragen, die Paare getrennt voneinander zu befragen und ihre Wohnungen zu durchsuchen. Aber Max und Napuli hatten nichts zu verbergen. Weil es im Sudan kein Ehefähigkeitszeugnis gibt, stellte Max beim Kammergericht einen »Antrag auf Befreiung«. Die Liebe von Max und Napuli bekam das Aktenzeichen 3462 E-D 982/14.

Dann schrieb Max den Brief an das Kammergericht. Er schrieb ihn in Napulis Namen, weil sie nur wenig Deutsch spricht: »Seit dem Kennenlernen übernachte ich so oft wie möglich bei meinem Verlobten. Dies können auch seine Mitbewohner bezeugen. Wir kochen, essen und verbringen so viel wie möglich gemeinsame Zeit […]. Ich hoffe, diese Angaben machen glaubhaft, dass wir uns vom ganzen Herzen lieben und daher die Ehe miteinander eingehen wollen.« Max legte dem Brief Fotos bei: eines von ihm und Napuli, eines von ihm, Napuli und seiner Mutter, eines von einem Ausflug nach Hamburg.

Die Familie von Max war anfangs skeptisch. Bist du dir sicher, fragten sie. Das ist eine große Entscheidung! Dann stellte er ihnen Napuli vor. Sie spazierten durch den Grunewald, trafen sich bei Vapiano und waren mit der Oma im Steakhaus essen. Hinterher waren sich alle einig, dass Napuli Max guttue. Er sei erwachsener geworden und verantwortungsbewusster, sagten sie. Sei ein bisschen geworden wie Napuli. Es fehlte nur noch das Einverständnis von Napulis Vater, ein, so sagt sie, ein strenger Mann, einer, der weiß, was man sagen will, bevor man es selbst weiß. Sie war aufgeregt, als sie ihn anrief: »Hier ist jemand, der mit dir reden will«, sagte sie zu ihrem Vater und reichte Max das Telefon. ­»Here is Max. I would like to marry your daughter«, sagte Max. Erst war Stille am anderen Ende der Leitung, dann hörte Max ein Brummen: »Wenn ihr euch von Herzen liebt, dann möchte ich mich nicht in den Weg stellen.« Napuli schickte ihren Eltern ein Foto aufs Handy; ihre Mutter fand, sie habe sich einen sehr hübschen Mann ausgesucht. Zwischen dem Glück von Napuli und Max stand jetzt nur noch das Kammer­gericht. Max wusste, dass die Erfolgsaussichten gering waren. Denn Napuli hatte schon einmal eine deutsche Behörde belogen.

Politik: Napuli mag an Max, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Max mag an Napuli, dass sie so erwachsen ist.
Napuli mag an Max, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Max mag an Napuli, dass sie so erwachsen ist.

Napuli erzählt die Geschichte so: Während ihres Studiums im damaligen Sudan hatte sie sich in einer Menschenrechtsorganisation engagiert und gegen den Diktator Omar al-Baschir und sein islamistisches Regime protestiert. Der sudanesische Geheimdienst sperrte sie vier ­Tage ein, folterte sie. Im April 2011 floh Napuli nach Kampala in Uganda. Weil sie sich dort auch nicht sicher fühlte, beantragte sie ein Visum bei der Deutschen Botschaft und flog nach Hannover. Ein niedersächsischer Beamter erklärte ihr, dass sie Asyl beantragen müsse, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Bei der Ausländerbehörde machte ­Napuli jedoch falsche Angaben, sagte, dass sie weder lesen noch schreiben könne, dass sie ihren Pass verloren habe. Sie dachte sich ein Geburtsdatum aus und verschwieg ihren Vornamen »Priscilla«. Sie misstraute dem Staat. Das Formular unterschrieb sie mit zwei Krakeln.

Falsche Angaben, keine Belege – es war keine Überraschung, als das Kammergericht bezweifelte, dass Napuli noch ledig war, und den beiden empfahl, den Antrag auf Befreiung zurückzunehmen. Die Situation schien aussichtslos. Napulis Aufenthaltsgenehmigung war zwar gerade um ein halbes Jahr verlängert worden. Aber was dann?

Max hatte zu diesem Zeitpunkt neun Semester Jura studiert und auch gelernt, dass es einen Unterschied gibt zwischen Recht und Gerechtigkeit. Er setzte sich in die Bibliothek und wühlte sich durch die Paragrafen. Er dachte nach. Er wusste, dass sie den Antrag nicht zurückziehen konnte, denn sonst würde man Napuli abschieben und er sie verlieren. Aber was, wenn das Kammergericht doch recht hatte? Was, wenn Napuli wirklich schon einen anderen Mann geheiratet hatte?

Misstrauen ist wie Gift. Sickert es in eine Beziehung ein, ätzt es alles weg. Das Vertrauen und die Leichtigkeit. Es ist schwer, ein Gegenmittel zu finden. Besonders wenn eine Behörde das Misstrauen per Post in die Beziehung schickt, mit Aktenzeichen und pompösen Stempeln. Max sagt, er habe nie gezweifelt. Es klingt, als wollte er nicht zweifeln. Er liebte Napuli ja. Er glaubte ihr und ihrer Geschichte. Sie hatte es ihm geschworen. Max schob den Gedanken beiseite und entschied sich, zu kämpfen. Falls der Antrag abgelehnt werden würde, wollte er klagen. Er bat Napulis Vater, eine Geburtsurkunde und eine Ledigkeitsbescheinigung aus dem Südsudan zu schicken, was dieser auch tat. Max ­wandte sich an den deutschen Botschafter und bat ihn, die Unterlagen zu beglaubigen. Und er schrieb einen zweiten Brief ans Kammergericht, hand­schriftlich, mit Kugelschreiber, gezackte Buchstaben auf liniertem Papier.

Er schrieb, dass Napuli ganzganzsicher nie verheiratet gewesen sei, dass sie beim Asylantrag gelogen habe, weil sie im Sudan gefoltert worden war. Sie sei traumatisiert (sie selbst würde das nie zugeben). Max beschrieb, wie sie die Geheimdienstagenten in eine Zelle sperrten, sie vier Tage lang hungern, nachts nicht schlafen ließen, wie sie ihr ins Gesicht schlugen und auf die Knie, wie sie ihr Wasser über den Kopf ­gossen und ihr drohten, dass man fünf Hinrichtungsarten beherrsche: »Wir können dich erhängen, erschießen, steinigen, erwürgen oder ertränken.«

Wochen vergingen, Max und Napuli warteten, die Ungewissheit drohte, sie aufzufressen. Eine Liebe ohne Zukunft ist keine Liebe.

Max rief Napuli an und brüllte ins Telefon: »Wir dürfen heiraten! Wir dürfen heiraten!«

Erst Mitte November 2014 kam wieder ein Brief vom Kammergericht in der Post. Max war allein zu Hause, er öffnete den Brief. Sein Blick flog über die Zeilen. Dann schrie er auf vor Freude.

»Sehr geehrte Frau Respico Lojanamoi, in der vorbezeichneten Angelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich zwischenzeitlich auch die Antragsunterlagen von Ihrem Visum aus dem Jahr 2012 bei der Botschaft in Kampala angefordert hatte. Diese Unterlagen liegen mir nun vor. […] Ich bitte Sie daher, sich in den nächsten Tagen mit dem Standesamt in Verbindung zu setzen.«

Max hatte keine Ahnung, warum das Kammergericht sich umentschieden hatte, aber spielte das noch eine Rolle? Er rief Napuli an und brüllte ins Telefon: »Wir dürfen heiraten! Wir dürfen heiraten!«
Der 30. Januar 2015, vor dem Zehlendorfer Standesamt liegt Schnee. Drinnen bittet die Standesbeamtin Max und Napuli, sich zu erheben. Max trägt ein gutes Hemd und Napuli ein weißes, schulterfreies Brautkleid mit Tüllrock. Ihre Augen, verborgen hinter einem weißen Schleier, hat sie niedergeschlagen, als würde sie sich schämen, dass alle sie anschauen. Napulis Onkel sitzt neben ihr. Max’ Mutter klammert sich an ein zerknülltes Taschentuch. Max’ Vater hat den Rücken durchgedrückt. »Ja, ich will«, sagt Max. »Yes, I will«, sagt Napuli.

Am nächsten Tag fahren Max und Napuli zum Oranienplatz in Kreuzberg, wo das Protestcamp stand, und feiern mit ihren Freunden. Max sagt, am Wichtigsten sei, dass Napuli nun Deutsch lerne. Sie engagiert sich schließlich weiter für Frauenrechte und gibt Seminare für Flüchtlinge. Den Asylantrag hat sie zurückgezogen. Weil sie jetzt verheiratet ist, bekommt sie voraussichtlich ein einjähriges Aufenthaltsrecht, das in drei Jahren entfristet werden kann. Und wer weiß, sagt Max, »vielleicht haben wir dann ja schon Kinder«.

Napuli Görlich, geborene Respico Lojanamoi, sagt, in Deutschland fühle sie sich noch nicht wirklich zu Hause. Aber bei Max.

Dieser Text ist in der Ausgabe 05/15 von NEON und auch digital für das Tablet auf iOS und Android erschienen. Hier können Einzelhefte des Magazins nachbestellt werden.

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