Der Roboter, der unser Leben für immer verändern wird, hat sich als niedliches Spielzeug verkleidet. Die »AR Drone 2.0«, die der Postbote ins Haus liefert, besteht aus Plastikteilen, Kunststoffbeinchen und vier Rotoren. Das Gerät ist mit neonbunten Aufklebern versehen, auf der Hersteller-Website sind lachende Kindergesichter zu sehen und eine strahlende Sonne. Ich bin dein Freund, soll das wohl heißen, ich bin ganz harmlos.
In Wahrheit hat die 300-Euro-Maschine, die jedermann im Internet bestellen kann, viel gemeinsam mit den Millionen Dollar teuren Drohnen, die die US-Armee über globalen Krisenherden kreisen lässt und mit denen sie in den vergangenen Jahren allein in Pakistan mehr als 3000 Menschen getötet hat, gut 300 davon Zivilisten: ein unbemanntes Flugobjekt, das von einem Computer aus gesteuert wird, das Livebilder liefert und das Sinnesorgane wie Kameras, ein Gleichgewichtsgefühl und einen Höhenmesser besitzt.
Die Billigdrohne aus dem Onlineshop hat natürlich eine vergleichsweise lächerliche Reichweite – fünfzig Meter – und auch keine Waffen an Bord. Trotzdem ist es ein heikler Gegenstand, jetzt, da man in den USA erregt darüber diskutiert, welchem Recht die Flugroboter eigentlich unterliegen, die Menschen aus großer Höhe verfolgen und töten. Bereits vor einiger Zeit hatte der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière angekündigt, Drohnen für die Bundeswehr bestellen zu wollen. Drohnen werden mehr verändern als nur die moderne Kriegsführung. In wenigen Jahren könnte der Anblick von fliegenden Robotern so alltäglich sein wie Taxis und die Straßenbahn. Möglich, dass uns bald die Polizei oder ein eifersüchtiger Lebenspartner mithilfe von Drohnen überwacht. Vielleicht liefert der japanische Sushi-Lieferservice das Sashimi per Drohne direkt auf den Balkontisch. Oder man bekommt Medikamente aufs Fensterbrett geflogen. Manche Möglichkeiten sind gruselig, andere verheißungsvoll, viele beides. So ist es ja oft mit technischen Neuheiten. Wir haben zwei Drohnen bestellt und Testpiloten ins Land geschickt: einen ins nach eigenen Angaben weltoffene Berlin, den anderen ins nach unseren Angaben konservative München.
Berlin – Take-off
Die Startvorbereitungen sind abgeschlossen: Nach einer Stunde ist der Akku geladen, ich habe währenddessen eine App auf mein Smartphone geladen, mit deren Hilfe ich die Drohne steuern kann. Ich drücke den Knopf »Take-off«, die Drohne hebt ab. Der größte Unterschied zu einem handelsüblichen Spielzeugflugobjekt ist, dass es, wenn ich keine Steuerungsbefehle schicke, stabil in der Luft stehen bleibt. Außerdem senden die zwei Kameras an der Schnauze und dem Bauch der Drohne Videobilder aufs Smartphone, die ich durch eine USB-Schnittstelle aufzeichnen kann. Ich versuche, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ich auf dem Bildschirm des Smartphones herumstreichen und ihn neigen muss, um die Drohne zu drehen, steigen und sinken zu lassen. Ich fliege meine Freundin an, die nebenan Wäsche aufhängt. Zum Anschleichen ist die Drohne ungeeignet, sie macht einen ziemlichen Lärm. Auf dem Bildschirm sehe ich, wie meine Freundin mir die Zunge rausstreckt.
In der Bedienungsanleitung weist mich der Hersteller darauf hin, bei »der Verwendung der AR Drone stets die Privatsphäre anderer zu achten«. Ein Appell, der mich an die Warnschilder auf den Zigarettenschachteln erinnert – ja, klar, morgen höre ich auf. Den zweiten Flugversuch starte ich auf meinem Balkon. Vergangenes Jahr wurde über uns eine Terrasse eingebaut, die ich mir schon länger mal ansehen wollte. »Google Earth« liefert leider nur unzureichendes Bildmaterial. Ich starte die Drohne, lasse sie drei Meter steigen und sehe die Blumendeko meiner Nachbarn, die Gartenmöbel, die geschlossene Terrassentür. Das Bildmaterial ist gut, ich könnte sogar die Sorten bestimmen, wenn ich Ahnung von Blumen hätte. »Was machst du eigentlich, wenn die Nachbarn da sind?«, fragt meine Freundin. Ja, was? Ich will sehen, was ich sonst nicht sähe. Andererseits will ich vieles, was ich nicht sehen soll, wohl wirklich nicht sehen.

NEON is watching you I: Die ersten Flugversuche übernahmen wir im Englischen Garten.
München – Erstkontakt
Die Bayern loben sich gern dafür, dass sie Lederhosen und Laptops unter einen (Trachten-)Hut bekommen. Aber wie verhält es sich mit Dirndln und Drohnen? Wie reagieren sie, wenn sie sich einer Überwachungsmaschine gegenübersehen? Ich starte die Drohne in einem Biergarten im Englischen Garten. Nach wenigen Minuten schwankt ein älterer Herr auf mich zu und fragt, was ich da eigentlich vorhabe. »Ich mache mir ein Bild von der Welt«, antworte ich. Der Mann lacht und fragt, wo er denn »so ein tolles Ding« kaufen könne. Von Empörung keine Spur.
Ich ziehe weiter zur Liegewiese des Parks. Durch das Kameraauge beobachte ich Bongotrommler, Hackysackspieler und Leute, die in der Sonne dösen. Die Drohne wird so wenig beachtet wie ein streunender Hund. Ein Bikinimädchen fühlt sich noch nicht einmal belästigt, als ihr die Drohne gegen die nackte Schulter fliegt. Warum sind alle so entspannt? Denken sie, ich wäre ein Nerd, der seine Freizeit mit einem Hightechfrisbee vergeudet? Merken sie nicht, dass ich sie beobachte? Oder haben sich die Menschen so sehr an Überwachungskameras und Verhaltensmonitoring gewöhnt, dass sie die Drohne alltäglich finden? Vielleicht freuen sie sich ja sogar über das Interesse der Kamera: Der Soziologe Ronald Hitzler glaubt, dass der Voyeurismus der Privatwirtschaft und des Staates mit einem Exhibitionismus der Bürger korreliert.
Nach wenigen Minuten Flugzeit höre ich auf, die Drohne mit den Augen zu verfolgen, und blicke nur noch auf den Bildschirm, also durch die Kameraaugen der Drohne. Die WLAN-Verbindung, die die Drohne überall aufbaut, und der permanente Informationsaustausch führen zu einer Verschmelzung zwischen Pilot und Flugobjekt, die Drohne wird zum Körperteil. Mehr noch, es ist fast Esoterik: Man sitzt auf der Wohnzimmercouch und guckt sich gleichzeitig in der Küche um. Man versteckt sich hinter einem Baum und schwebt gleichzeitig über einer Badewiese. Als hätte das Bewusstsein den Körper verlassen und schwebte frei durch die Welt. Als wäre man zwei.
Die spielerische, unbeholfene Anmutung der AR Drone, die billigen Materialien und lustigen Geschicklichkeitstests (Schaffe ich einen Salto? Nein. Schaffe ich es, auf den Baum zu klettern, um die Drohne aus den Ästen zu holen? Muss ich wohl.) lassen einen vergessen, dass ein alter Traum und Alptraum der Menschheit in Erfüllung geht – die Welt zu erobern, ohne sich vom Fleck zu bewegen. Der griechische Universalgelehrte Archytas von Tarent zeichnete bereits vor rund 2400 Jahren Baupläne für eine mechanische Taube. Die technischen Fortschritte der vergangenen zwanzig Jahre, die Einführung von GPS, Computerchips, die immer kleiner, und Algorithmen, die immer smarter werden, haben den Einstieg ins Drohnenzeitalter möglich gemacht. Erst für Militär und Industrie, dann für Bastler und Hobbypiloten wie mich.
Verführerisch ist das auf jeden Fall. Solange man der ist, der die Drohne lenkt.
Berlin- Technikprobleme
So faszinierend die Drohne ist, so viel Ärger macht sie auch. Die Akkulaufzeit reicht nur für acht Minuten Flug. Danach muss ich sie wieder für anderthalb Stunden an der Steckdose aufladen. Als ich die Drohne über eine Wiese jage, wird sie von einer Windbö erfasst, gleichzeitig bricht der WLAN-Kontakt ab, sie bleibt in der Luft stehen, etwa einen Meter über dem Boden, wo sie einen Liegeradfahrer fixiert. Der Mann bekommt gerade noch rechtzeitig sein Bein auf den Boden, als er vor dem riesigen, zornigen Insekt stoppen muss, das vor ihm hängt. Dann empfängt die Drohne irgendein Signal, von mir ist es nicht, sie rast in einen Lieferwagen und crasht dann auf dem Platz der Republik. Der Liegeradfahrer grinst, als ich an ihm vorbeihetze und »Tut mir wirklich sehr leid!« rufe. Solidarität unter Sonderlingen.
Unter einer Drohne verstand man mal so etwa das Harmloseste, was das Tierreich hervorgebracht hatte. Unter den Bienen sind Drohnen mitleiderregende Männchen – nur dazu geboren, die Königin zu begatten und direkt im Anschluss zu sterben. Sie haben nicht mal einen Stachel. Die bekannteste Drohne der Kulturgeschichte, der tumbe, lispelnde Willi aus der Serie »Biene Maja«, ist so bedrohlich wie ein Löschblatt. Das hat sich natürlich geändert, seitdem Krieg mit Drohnen geführt wird. Meine kleine Parrot-Drohne ist wohl etwas dazwischen: harmlos, weil laut und kurzatmig; gefährlich, weil durchaus fähig, die Privatsphäre zu zerbröseln.
Mal Freunde ausspionieren. Dazu fahre ich zum Prenzlauer Berg. Dort fällt die Drohne erst mal nicht auf, da sie so sehr einem Spielzeug ähnelt, und das ganze Viertel sieht ja aus wie eine Hüpfburg. Ich fliege hoch ans Fenster meiner Freunde. Die Kamera zeigt mir, dass die Fenster mal wieder geputzt werden sollten. Doch nach einer Weile wundert sich die Frau meines Freundes, was da vor ihrem Fenster brummt, und öffnet es. Als ich näher ranfliege, erschrickt sie höllisch, immerhin wehen ihre Haare dabei spektakulär, weil die vier Rotoren so einen Wind machen. »Sag mal, geht’s dir noch ganz gut?«, fragt sie. Schon. Wenn nur der Akku nicht immer gleich leer wäre.

NEON is watching you II: Der FKK-Fan merkt nicht, wie schamlos unsere Flugroboter ist.
München – Streitsuche
Eine Drohne lässt einen Dinge sehen, die man nicht unbedingt sehen soll, und bringt einen an Orte, die man lieber nicht betritt. Vielleicht, denke ich, war der Stadtpark ein zu offener, sonniger Platz, um die dunklen Seiten dieser neuen Technik auszuloten. Ich besuche mit der Drohne deshalb eine Gewerkschaftskundgebung in München (»5,5 Prozent – wir haben’s verdient.«). Ich sehe durch die Kamera rote Fahnen, Protestschilder und gereckte Fäuste. Ich denke, dass man doch wenigstens in dieser aufgeheizten Atmosphäre eine Reaktion provozieren müsste, also lasse ich die Drohne über den Gewerkschaftern schweben. Zwei IG-Metall-Jungs rufen mir zu: »So was hab ich auch zu Hause!« Ein Polizist nickt mir wohlwollend zu.
Mir selbst wäre es ja extrem unrecht, auf einer Demonstration zu merken, wie eine Drohne über mir herumschwirrt. Wo noch würde ich nie von einer Kamera gesehen werden wollen? Also: Wo besteht noch die Chance, dass ich heute mit meiner AR Drone auf echten Widerstand stoße? Genau. Ich lasse die AR Drone über einem Bordell in die Luft gehen, das ganz in der Nähe der NEON-Redaktion liegt, mitten in einem Gewerbegebiet. Es ist 17 Uhr, Feierabendzeit, aber niemand betritt das Bordell, niemand verlässt es. Nach einer Weile sehe ich ein paar Kollegen die Straße entlanglaufen. Treffen sie sich mit der Konkurrenz und verraten Betriebsgeheimnisse? Drehen sie eine Runde um den Block und gehen in den Puff? Kann ich mit den Aufnahmen, die die Drohne macht, bald ordentlich Geld verdienen? Nein. Die Kollegen verschwinden in der Straßenbahn, es ist 18 Uhr, das Bordell hat immer noch keinen Kunden. Vielleicht die Krise.
Es ist schon so: Die Drohne macht ihren Steuermann zu einem Voyeur. Während ich mich einem älteren Herrn nähere, der am Bankautomaten Geld abheben möchte, und auf dem Bildschirm sehe, wie er erschrickt, bekomme ich eine Ahnung davon, wie sich die Drohnenpiloten der US-Armee in der Wüste von Nevada fühlen, die Finger auf dem Joystick, den Blick auf eine Hütte in Waziristan gerichtet: allmächtig.
Das Problem mit Drohnen ist ja, dass sie sich nicht dafür interessieren, wer sie steuert. Privatmenschen, Polizei, Kriminelle, Terroristen, Paparazzi. »Es liegt im Wesen jeder Technik, dass ihr ein anderer Zweck zufällt als der, für den sie ursprünglich erfunden wurde«, schreibt Peter W. Singer, der Autor des Buches »Wired for War«. Singer glaubt, dass Drohnen die Gesellschaft so sehr verändern werden wie das Schießpulver oder die Dampfmaschine. Selbst die AR Drone ist in der Lage, mit dem Kameraauge ein buntes Ziel zu finden und anzusteuern oder anhand von GPS-Daten eine vorgegebene Route zu fliegen. Drohnen werden in den kommenden Jahren schneller, smarter und billiger werden. In den USA wird die mexikanische Grenze schon heute mit Drohnen überwacht, Sheriffs setzen sie bei der Verbrecherjagd ein. Umgekehrt haben Occupy-Aktivisten in Warschau das korrekte Verhalten der Polizei auf einer Demonstration per Drohne geprüft. Umweltschützer wollen mit Hilfe von Drohnen kriminelle Baumfäller in Indonesien überführen. Auch in Deutschland sind Drohnen im alltäglichen Einsatz (siehe Kasten). Wer ein paar Tage eine Drohne durch die Welt gelenkt hat, versteht nicht, dass es keine Debatte gibt – keine Forderung nach Drohnenführerscheinen und Lizenzen. Die Luft wird bald erfüllt sein vom Flügelschlag der Roboter, warum ist es so furchtbar leise?

NEON is watching you III: Vor dem Bankbesuch sollte man sich in Zukunft nach Drohnen umsehen.
Berlin – Spionageabwehr
Wenn sich die Politiker nicht für die Drohnen interessieren, müssen sich eben die Drohnen für die Politiker interessieren. Ich mache mich auf zum Bundeskanzleramt. Als ich hoch zu den Büros fliegen will, sind erstaunlich schnell Polizisten zur Stelle. »Wenn Sie über den Zaun fliegen, dann wird es ungemütlich, das ist Ihnen klar, oder?« Erst mal blöd stellen. »Nee, wieso? Ist doch nur ein Spielzeug.« Die Polizisten bleiben freundlich. »Da oben arbeiten 400 Leute, und wir wissen ja nicht, was an dem Ding dranhängt.«
Ich warte, bis die Polizisten in die andere Richtung sehen, aber die Drohne bekommt wieder Wind oder Fehlsignale, beschleunigt in die falsche Richtung, ich renne hinter ihr her über die Wasserspeier auf das Kanzleramt zu und hämmere auf den »Landing«-Knopf, dann verliert die Drohne den Sendekontakt und stürzt ab. Das Zahnrad an einem Rotor bricht.
Bin ich zu ungeschickt? Hat die Technik versagt? Der Taxifahrer, der mich und mein Drohnenwrack nach Hause bringt, hat eine andere These. Wie es sich für Berliner Taxifahrer gehört, ist er ein Verschwörungstheoretiker: Im Regierungsviertel seien Funk und GPS gestört, »da geht auch mein Navi nicht«, erklärt er. Spionage erfordert Spionageabwehr. Als Nächstes werde ich also im Internet nach einem Störsender suchen, mit dem ich Drohnen ablenken könnte.
Dieser Text ist in der NEON-Ausgabe vom Juni 2013 erschienen. Hier können Einzelhefte des NEON-Magazins nachbestellt werden. Alle Ausgaben ab September 2013 gibt es außerdem auch digital in der NEON-App.