Politik Was ist nur aus dir geworden? (1/10)

Politik: Was ist nur aus dir geworden? (1/10)
In der ersten NEON-Ausgabe 2003 stellten wir

»Die 100 wichtigsten jungen Deutschen« vor. Zehn Jahre später haben wir uns wieder auf die Spur unserer »Top 100« gemacht und wollten wissen: Was ist aus dir geworden?

In Teil 1 unserer Serie starten wir mit einem ehemaligen Attac-Mitglied, das nun für die Grünen im Europäischen Parlament sitzt, einer Megabestsellerautorin, die immer noch überrascht, und einer Frau, die den ganzen lieben langen Tag nackte Körper begutachtet.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Sven Giegold, 33, Mitglied im Attac-Koordinierungskreis. Wirtschaftswissenschaftler, der seine Doktorarbeit über Steueroasen verschoben hat, um zu helfen, »die Globalisierung unter soziale und ökologische Kontrolle zu brin-gen«. Ernsthaft, moralisch unangreifbar. Oft mit Sakko und Ruck-sack unterwegs. Bei ihm passt das zusammen (Siehe Seite 56).

Heute: Sven Giegold, 43, Politiker und Globalisierungskritiker. Hat seine Doktorarbeit über Steueroasen einst zugunsten der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation Attac auf Eis gelegt und sie da auch liegen lassen. Bis 2008 war er im bundesweiten Koordinierungskreis von Attac, zum Schluss auch im Attac-Rat. 2008 trat Giegold den Grünen bei und sitzt seit 2009 im Europäischen Parlament, unter anderem im Ausschuss für Wirtschaft und Währung.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Charlotte Roche, 25, Moderatorin. Einer der wenigen aufrechten Menschen auf dieser Welt. Sie lässt sich nicht mal von ihrem Sender Viva zurechtbiegen. Sagt, was sie denkt – und anders als bei vielen ist das auch noch interessant.
Ziel: Ihrer Tochter Polly eine gute Mutter zu sein.

Heute: Charlotte Roche, 35, Moderatorin und Schriftstellerin. Hat den Bestseller »Feuchtgebiete« geschrieben, dessen Verfilmung aktuell im Kino läuft. »Feuchtgebiete« war das meistverkaufte Buch 2008. Roche routiert als Moderatorin durch verschiedene Sender und Formate, zuletzt zu sehen auf ZDFneo bei »Roche & Böhmermann«. Angeblich gab es dann Unstimmigkeiten mit Böhmermann und der Produktionsfirma. Jedenfalls wurde das tolle Format abgesetzt.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Christian Keysers, 29, Hirnforscher. Erforscht das »Mitgefühl« und fand heraus, dass unser Gehirn genau so reagiert, wenn wir etwas nur sehen, wie wenn es uns selbst passiert. Forscherkollegen sagen, diese Erkenntnis würde unser Weltbild revolutionieren. Keysers forscht ab Herbst am Max-Planck-Institut in Tübingen im Bereich biologischer Kybernetik.

Heute: Christian Keysers, 40, Hirnforscher. Gibt seine Erkenntnisse über Spiegelneuronen und Hirnströme seit 2004 als Professor an der Reichsuniversität Groningen weiter. Hat aber auch Lehrveranstaltungen an Universitäten in Amsterdam und Kalifornien. Gewann wichtige Forschungs- und Wissenschaftspreise und 2012 auch eine Auszeichnung für das beste wissenschaftliche Buch 2012 »Unser empathisches Gehirn«.
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NEON, Ausgabe 01, 2003: Anne Jung, 34, Lebensretterin. Arbeitet bei Medico International, einer Hilfsorganisation für Men-schen in der Dritten Welt. Motto: »Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit«. Kämpft gegen Ungerechtigkeit und Hunger, gegen Landminen und Blutdiamanten. Diesen Sommer schon wieder unterwegs in Sierra Leone. Träume? »Weiß nicht. Aber Geld und Karriere sind nicht wichtig.«

Heute: Anne Jung, 44, Vermittlerin zwischen den Welten. Ist bis heute in der Öffentlichkeitsarbeit der Hilfsorganisation »Medico International«. Fährt noch immer regelmäßig nach Afrika. Resümee nach 10 Jahren: „Ein Kontinent im Aufbruch. Noch immer gibt es Hunger und Krieg, aber auch Zukunftsmut.“ Ihre Arbeit ist erst vorbei, wenn unsere Welt besser geworden und auch für ihren Sohn ein guter Ort zum Leben ist.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Florian Illies, 32, Autor. War Chef der innovativen Berliner Seiten der FAZ. Gilt als Hoffnungsträger des deutschen Journalismus. Schrieb den Bestseller »Generation Golf«. Im Juli erscheint »Generation Golf zwei«: Was passiert nach Börsencrash, Kündigung und erster Scheidung? Psychotherapeut, Silikonsammelstelle und alles wird chinesisch.

Heute: Florian Illies. 42, Autor, Journalist. Blieb nach dem Buch »Generation Golf« weiter auf Erfolgskurs. Gründete 2006 mit seiner Ehefrau »Monopol«, ein Magazin für Kunst, Literatur und Lifestyle und wurde Ressortleiter bei der ZEIT. Seit 2011 handelt Illies mit Kunst: Er ist einer der vier Gesellschafter des Berliner Auktionshauses Villa Grisebach. Zwischendurch schreibt er weiter Bücher. 2012 erschien »1913: Der Sommer des Jahrhunderts« und landete am der Spitze der Spiegel-Bestsellerliste.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Benjamin Quabeck, 27, Regisseur. Schenkte uns mit »Nichts Bereuen« den wahrhaftigsten Film über das Erwachsenwerden seit »Crazy«. Von seinem Honorar hat er sich einen schwarzen Lotus Esprit gekauft, »mit beigen Ledersitzen«. Jetzt der zweite große Film: »Verschwende Deine Jugend.« Wird ein Regie-Star.

Heute: Benjamin Quabeck, 37, Regisseur. Führte Regie für Musikvideos von Virginia Jetzt!, Klee, Tele und 2007 in der TV-Serie »Unschuldig« auf Prosieben. In diesem Jahr entwickelt er mit einem Team den Film zum 75. Stadtgeburtstag von Wolfsburg.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Saskia Strasse, 29, Fotochefin des Playboy. Sie entscheidet, welche Prominente sexy genug ist, um sich nackt ausziehen zu dürfen. Für Strasses Adressbuch würde mancher Junge seiner Oma ihr klein Häuschen verjuxen. Ihr egal, die Glamourwelt interessiert sie nicht, ihre Abende verbringt sie vor dem Fernseher. Schlafend.

Heute: Saskia Strasse, 39. Fotochefin des Playboy. Hat ihren Job noch immer. Strasses Überzeugungsarbeit bringt halbe Familien dazu, sich für das Magazin auszuziehen. Unter den prominenten Frauen vor Strasses Linse war nicht nur Simone Thomalla, sondern auch Tochter Sophia.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Franka Potente, 28, Schauspielerin. Berühmteste Deutsche unter 30. Und nach »Lola rennt« und »Der Krieger und die Kaiserin«, nach »Blow« und »The Bourne Identity« sagen wir: Zu Recht. Wohnt jetzt in einer Zweizimmerwohnung in Hollywood. Hat keinen neuen Partner, aber einen tollen Hund: Pelle (wie der Eroberer). Neues Tattoo auf dem rechten Oberarm: Ein chinesischer Drache. Die Lady ist ein Punk (Siehe Seite 86).

Heute: Franka Potente, 38, Schauspielerin. Hat einen Mann, eine kleine Tochter und ein Haus in L.A.. Ist immer mal wieder Besetzung in amerikanischen Produktionen, zum Beispiel 2013 als Puffmutter in der amerikanischen Serie »Copper«. Sie veröffentlichte ein Buch über »Alternatives Workout« mit ihrem Personal Trainer. Titel: »Kick ass«. 2010 erschien Potentes Erzählband »Zehn«.

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NEON, Ausgabe 01, 2003: Dirk Nowitzki, 25, Basketballer. The Flying Deutschman: Der beste deutsche NBA-Spieler aller Zeiten. Spielt zur Entspannung Gitarre oder geht mit Heidi Klum essen. Wird in Zukunft der kompletteste Spieler der amerikanischen Liga sein.

Heute: Dirk Nowitzki, 35, Basketballer. Hat so ziemlich alles erreicht, was man als riesiger, deutscher Mann im amerikanischen Basketball erreichen kann. Als erster Europäer bekam er 2007 die Auszeichnung zum wertvollster Spieler der Saison verliehen. 2011 gewann er mit den Dallas Mavericks die NBA-Meisterschaft und lief nach den letzten Spielsekunden des Finals sympathisch heulend über das Spielfeld. Dass er in der Saison 2012/2013 wegen einer Verletzung zum ersten Mal seit 2001 nicht für das All-Star- Game nominiert wurde, ist uns wurscht. Auch dass er in Banken-Werbespots Wurst geschenkt bekommt. Nowitzki ist der Größte. Er ist verheiratet und gerade Vater geworden.

10.
NEON, Ausgabe 01, 2003: Wolfgang Tillmans, 34, Fotograf. Einer der ersten, der Bilder machte, die einem vertraut waren. Wie Schnappschüsse aus unserem Alltag. Das machten dann viele Hobbyfotografen nach – allerdings bekam nur Tillmans den begehrten Turner-Preis der Tate-Gallery. Wird sicher noch Professor für neue Bildsprache. Wenn er will.

Heute: Wolfgang Tillmans, 45, Fotograf. Gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter zeitgenössischer Fotografie und Kunst. Internationale Pop-Kultur Magazine wie i-D, Interview oder Spex drucken seine Fotos und große Museen in London, New York und München stellen sie aus. 2009 erhielt Tillmans in Mannheim den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie. Besonderes Highlight 2010: Ein mehrstündiges Shooting mit Lady Gaga im Duisburger Lehmbruck Museum. Als Ziel galt es, die natürliche Seite der Sängerin zu zeigen. Hat geklappt. Sie sieht aus wie das Mädchen von nebenan in Nietenweste.

Fotos: Getty Images