Grund für die erneute Zinspause ist nach Angaben der EZB-Präsidentin, dass sich die Inflation im Euroraum in den vergangenen Monaten nahe des von der Zentralbank gesteckten Zwei-Prozent-Ziels einpendelte. Zugleich habe sich die Wirtschaft als "widerstandsfähig" erwiesen und sei - gestützt von einem stärkeren Konsum und höheren Investitionen - im dritten Quartal um 0,3 Prozent gewachsen.
Allerdings gibt es nach Einschätzung der EZB wegen des "volatilen internationalen Umfelds" weiter Risiken, die beispielweise Lieferketten stören, Exporte dämpfen und Konsum oder Investitionen belasten könnten. Deshalb will die EZB auch künftig ihre Zinsentscheidungen von Sitzung zu Sitzung treffen und dabei einem datenbasierten Ansatz folgen, wie Lagarde hervorhob. Eine Vorfestlegung auf einen bestimmten Zinspfad gibt es demnach ausdrücklich nicht.
Mit Blick auf die Inflation bedeuten die derzeitigen Unsicherheiten nach Angaben Lagardes, dass die Teuerung in der Zukunft auch niedriger ausfallen könnte als derzeit angenommen - etwa falls wegen höherer US-Zölle Länder mit Überkapazitäten ihre Exporte in den Euroraum erhöhen. Die Inflation könnte der EZB-Präsidentin zufolge aber auch höher ausfallen als derzeit vorhergesagt, beispielsweise wenn "extreme Wetterereignisse" im Zuge der Klimakrise die Lebensmittelpreise stärker als erwartet in die Höhe treiben.
Aktuell erwartet die EZB bei der Inflation eine Rate von 2,1 Prozent in diesem Jahr und 1,9 Prozent 2026. Im September hatte die EZB für das kommende Jahr noch 1,7 Prozent angenommen. Grund für die nun nach oben angehobene Inflationserwartung für 2026 ist Lagarde zufolge insbesondere, dass sich der Rückgang der Teuerung bei Dienstleistungen verlangsamte.
Ihre Erwartungen zur Konjunktur hob die Zentralbank indes an: "Das Wirtschaftswachstum dürfte höher ausfallen als in den September-Projektionen angenommen, getragen vor allem durch die Binnennachfrage", erklärte die EZB. Für 2025 wird nun ein Wachstum von 1,4 Prozent angenommen und für 2026 von 1,2 Prozent.
Neben dem zentralen Leitzins bleiben auch die beiden anderen wichtigen Zinssätze unverändert, wie die Zentralbank weiter mitteilte. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld von der EZB leihen können, verharrt bei 2,15 Prozent, und der Leitzinssatz zur kurzfristigen Beschaffung von Geld, der Spitzenrefinanzierungssatz, bei 2,40 Prozent.
Bereits bei ihren vorangegangenen Zinsentscheidungen im Juli, im September und Ende Oktober hatte die EZB eine Zinspause eingelegt. Zuvor hatte sie in den vergangenen Jahren wegen des zeitweilig starken Anstiegs der Verbraucherpreise infolge der Corona-Pandemie und des russischen Angriffs auf die Ukraine die Zinsen erst deutlich angehoben, um die Inflation einzudämmen. Im Juni 2024 hatte sie dann eine Zinswende eingeläutet und mit Abklingen der Inflation die Zinsen wieder gesenkt, bis sie schließlich auf den aktuell abwartenden Kurs einschwenkte.
Mit dem unveränderten Leitzinsniveau setze die EZB ihren Kurs fort und befinde sich damit "in einer komfortablen Ausgangsposition für das Jahr 2026, in dem die Kapitalmärkte auf Grund der bestehenden wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten erneut volatil bleiben dürften", kommentierte Finanzexperte Felix Schindler von HIH Invest Real Estate.
Die Geldpolitik-Expertin des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Silke Tober, kritisierte hingegen, dass eine Zinssenkung bei der Sitzung am Donnerstag zwar nicht zu erwarten, aber dennoch "überfällig" gewesen sei. Ohne Investitionen und Innovationen könne der Euroraum "die vielfältigen aktuellen Herausforderungen nicht bewältigen", erklärte sie.