Pelicot wehrte sich dagegen, als "Ikone" bezeichnet zu werden. "Hören Sie auf, mich Ikone zu nennen. Ich bin eine ganz normale Frau, die sich gegen einen Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgesprochen hat", erklärte sie.
"Opfer sollen sich niemals für etwas schämen, das ihnen mit Gewalt aufgezwungen wurde", sagte sie. "Wenn ich anderen Kraft gegeben habe, dann ist das schon etwas Gutes", fügte sie hinzu. Sie wünsche sich, nie mehr im Leben ein Gericht betreten zu müssen. Und sie sei zuversichtlich, dass sie ihr Leben wieder aufbauen werde.
Auf ihr Verhältnis zu ihrem ehemaligen Mann angesprochen sagte sie: "Ich versuche, zu vergessen. Er hat alle verraten." Nichts könne seine Taten entschuldigen. "Ich werde ihn nie verstehen", betonte sie.
Zuvor waren im Gerichtssaal 14 Videos gezeigt worden, auf denen zu sehen war, wie der Angeklagte Gisèle Pelicot mehrfach sexuell missbraucht, während diese komplett reglos ist und zeitweise laut hörbar schnarcht. Der Vorsitzende Richter hatte das Publikum zuvor gewarnt und sensible und jungen Menschen gebeten, den Saal zu verlassen.
"Die Frau ist niemals aufgewacht. Reagieren Frauen so? Sieht es so aus, wenn eine Frau Lust empfindet", fragte der Richter den Angeklagten. Dieser räumte ein, dass er sich am Ende geschämt habe, blieb aber bei seiner Aussage, dass er Gisèle Pelicot nicht habe vergewaltigen wollen und er von ihrem Mann Dominique Pelicot manipuliert worden sei.
Dominique Pelicot, der im Dezember zur Höchststrafe von 20 Jahren Haft verurteilt worden war, hatte am Dienstag als Zeuge ausgesagt. Er habe dem Angeklagten und den 49 übrigen bereits verurteilten Männern in einem Internetforum das eindeutige Angebot unterbreitet: "Ich suche jemanden, der meine schlafende Frau ohne ihr Wissen vergewaltigt."
Der im Dezember zu neun Jahren Haft verurteilte Husamettin D. hatte als einziger der Verurteilten auf einem Berufungsverfahren bestanden. Ihm drohen nun erneut bis zu 20 Jahre Gefängnis.
Das Berufungsverfahren in Nîmes soll bis Donnerstag dauern. Wegen ihres Muts während des ersten Prozesses im vergangenen Jahr war Gisèle Pelicot weltweit bekannt geworden. Sie hatte sich für ein öffentliches Verfahren eingesetzt, "damit die Scham die Seite wechselt".