"Wendemanöver"
16-Jähriger stürzt in Drogensumpf – Mutter hat mutige Idee, um ihn zu retten
Was macht eine Mutter mit ihrem drogenabhängigen Sohn, dem der Jugendknast droht?
In Franziska Kraffts Fall heißt die Antwort: neun Wochen Segeln auf der Ostsee.
Die Mutter von drei Jungs greift zu einer ungewöhnlichen Rettungsaktion und erzählt davon in ihrem Buch „Wendemanöver“.
Jonas ist der älteste Sohn von Franziska Krafft und hat seit seiner Kindheit ADHS. Mit 13 Jahren hat er genug vom Landleben im österreichischen Bergdorf und zieht zu seinem Vater nach Frankfurt.
„Und dann ist er eigentlich abgestürzt. Mit den Gegebenheiten und den Voraussetzungen, die er dort vorgefunden hat, ist das ganz schnell ganz schlecht geworden. Er hat die Schule geschwänzt, hat Drogen genommen, hat mit Drogen gedealt, er ist straffällig geworden.“
Krafft hört nur ganz sporadisch von ihrem Sohn, Emails an den Vater bleiben unbeantwortet. Lange meldet sich Jonas fast gar nicht und ist auch nicht erreichbar. Dann gibt es Nachricht von der Polizei.
Min. 2:35 „Ich hatte einen Anruf bekommen. Er sitzt in Untersuchungshaft, gegen ihn liegen Anschuldigungen vor wegen Einbruchs und Diebstahls, und Drogen. Im März ist dann Verhandlung. Er war eigentlich ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, danach war die Verhandlung. Dann war er für ein paar Monate auf klinischem Drogenentzug, stationär. Und direkt danach sollte er eigentlich in eine Einrichtung kommen, um das zu behandeln. Aber es gab keinen Platz, also drohte ihm eine Haftstrafe. Dann hätte er antreten müssen. Und da habe ich gedacht, mir muss irgendetwas Besseres einfallen. Weil in Haft wird man nicht besser mit Drogen.“
Krafft gelingt es, das Gericht, das Jugendamt und vor allem die Ärzte zu überzeugen, dass ein Segeltörn eine gute Therapie für ihren Sohn sei. Dafür muss sie einige Bedingungen erfüllen: Regelmäßige Berichte ans Jugendamt und ein Arzt an Bord gehören dazu.
„Die Idee von mir, ihn auf ein Segelschiff mitzunehmen, war darin begründet, dass ich es im Sommer davor schon einmal mit den anderen beiden Jungs ausprobiert hatte. Und die Voraussetzungen sind super: Wir erleben jede Menge Abenteuer, wir haben auch trotzdem jede Menge Spaß. Es ist weg von der Zivilisation, wir haben unser eigenes kleines Universum. Keiner kann abhauen, jeder muss sich mit dem anderen auseinandersetzen. Man kann viel mithelfen, wenn man will. Man kann aber auch den ganzen Tag schlafen.“
Die Route führt von Fehmarn an einigen Inseln vorbei bis zur dänischen Südsee. Nach einem Stopp in Kopenhagen geht es weiter nach Göteborg in Schweden, zurück nach Dänemark und durch den Nord-Ostsee-Kanal. Schließlich erreichen Mutter und Sohn den Hafen von Amsterdam. Jonas geht es auf dem Segelschiff immer besser.
„Am Anfang war er total lethargisch und weiß im Gesicht, er hatte immer noch ganz viel von diesen Medikamenten intus. Er war wie ruhig gestellt. Er war gar nicht richtig da. Er hatte die Augen nicht richtig offen, hatte keinen Appetit, er hat den ganzen Tag nur geschlafen. An Abhauen war nicht zu denken, die Gefahr gab es überhaupt nicht. Gewalttätig war er auch nicht, er hat kaum etwas geredet und hing wie ein Schluck Wasser in der Kurve.“
Nach wenigen Wochen gibt Mutter Krafft ihrem Sohn eine geringere Dosis an Medikamenten. Die Folge: Er isst wieder mehr, nimmt am Leben an Bord teil, lernt wichtige Seemannsknoten, lenkt das Boot und legt sogar mal alleine an.
„Er hat eine Art Perspektive zurückbekommen. Nicht einfach nur: Wir sind jetzt hier und warten bis Abend ist, sondern wir haben eine Aufgabe. Wir wollen irgendwohin, wir haben eine Aufgabe, jetzt kommt Wind, jetzt müssen wir Segel setzen. Jetzt kommt viel Wind, jetzt müssen wir die Segel wieder herunter tun. Das sind alles Dinge, die kommen von außen, die eine Aufgabe für uns alle als Team sind. Und ich glaube, dass er dort seine Rolle bekommen hat, dass er wichtig ist, dass er gebraucht wird, dass er sich einbringen kann. Das ist natürlich schon ein ganz anderes Lebensgefühl, als in der Ecke eingesperrt zu warten, bis Abend ist.“ 11:03
Der Segeltörn über die Ostsee ist mittlerweile etwas mehr als ein Jahr her. Jonas lebt wieder mit seiner Mutter und den Brüdern in den Bergen und besucht eine Handelsschule. Die Haftstrafe kann Jonas tatsächlich umgehen.
„Irgendwann haben sie seine Haftstrafe tatsächlich in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Da war ich heilfroh drüber. Das hat Jonas gar nicht so richtig mitbekommen, aber mir ist da ein riesen Stein von meinem Herzen gefallen. Jetzt sind wir wie alle anderen auch, die alleinerziehend einen Haushalt mit drei pubertären Jungs haben. Das ganz normale Chaos und der ganz normale Wahnsinn im Alltag.“
Die Schule sei immer noch eine Herausforderung für Jonas. Krafft weiß nicht, was sein wird, wenn er 18 wird und vielleicht alles hinschmeißt. Dass ihr Sohn nun die zentrale Figur ihres Buches ist, störe ihn nicht, sagt Krafft.
„Ihm ist das herzlich egal. Für ihn ist das Vergangenheit, er hat damit abgeschlossen. Er lebt im Hier und Jetzt, natürlich auch durch das ADHS. Er ordnet das nicht so groß ein.“
„Ich finde es wichtig, die Geschichte zu erzählen, weil es unsere Geschichte ist. Es ist die Wahrheit – ungeschönt. Und falls wir anderen Leuten Mut machen können, die vielleicht ähnliche Probleme haben oder die sich denken: „Boah, das ist so schwierig, hier gibt es keinen Weg mehr raus“ Dann ist es wichtig das zu erzählen.“
Ein Segeltörn sei natürlich kein Patentrezept für Eltern in ähnlicher Situation, sagt Krafft, aber nicht aufzugeben schon.