Vater gesteht Flammentod zweier Mädchen "Was habe ich bloß getan?"

  • von Uta Eisenhardt
Zunächst wollte er einen Unfall vortäuschen. Vor Gericht gestand ein 40-jährige Däne jetzt, seine beiden Töchter erst betäubt und dann in seinem Auto verbrannt zu haben. Sein Motiv bleibt rätselhaft.

Es war im August, mitten in der Nacht, als Peter R. eine Tasche aus dem Kofferraum seines Autos holte, seine "Notfall-Tasche", wie er sie nennt. In ihr befanden sich eine Decke und zwei Kanister mit je fünf Litern Benzin. Er stellte sie ins Auto, setzte sich selbst auf den Fahrersitz und vergoss den Treibstoff auf dem Beifahrersitz, auf den Bodenmatten und der Rückbank zwischen den beiden Sitzen, auf denen die zehnjährige Marlene und die neunjährige Line angegurtet schliefen.

"Gleich ist alles vorbei", habe er gedacht, als er das Feuerzeug entzündete und an den Beifahrersitz hielt. Er habe auf eine Explosion gehofft, stattdessen entwickelten sich Flammen. "Meine Instinkte haben mich aus dem Auto herausgetrieben", sagte der Angeklagte nun vor dem Potsdamer Landgericht. Um seine brennende Kleidung zu löschen, habe er sich auf dem Boden gewälzt. Bei seiner Vernehmung sagte er der Polizei: "Dabei hörte ich die schreienden Mädchen im Auto." Vor Gericht will er sich an diesen Umstand nicht mehr erinnern. Er spricht von einem "großen Flammenmeer", das er gesehen habe, als er zu seinem Auto sah. "Was ist passiert, was habe ich bloß getan", habe er sich damals gefragt.

Hat R. den Tod seiner Töchter geplant?

Genau um diese Fragen wird es in den kommenden Wochen vor dem Potsdamer Landgericht gehen. Plante der 40-jährige Däne schon vor seiner Fahrt nach Deutschland, seine beiden Kinder umzubringen? Besorgte er darum ein Schlafmittel, das er den Mädchen kurz vor der Tat verabreichte? Gurtete er sie deshalb fest, bevor er das Auto in Brand steckte? Die Staatsanwaltschaft verfasste jedenfalls eine Mordanklage gegen Peter R. Er soll seine beiden Töchter aus niedrigen Beweggründen getötet haben, weil er verhindern wollte, dass diese bei ihrer Mutter leben. Der Angeklagte dagegen spricht von einem spontanen, gescheiterten Selbstmordversuch. Er habe gemeinsam mit Marlene und Line sterben wollen.

Der kleine, blasse Mann äußerte sich vor Gericht detailliert zu den Motiven seiner Tat - mit vor der Brust verschränkten Armen und in dänischer Sprache; eine Dolmetscherin übersetzte. Der 12. August 2011, berichtete er, sei ein sehr schöner Tag gewesen, der erste schöne Tag, den er gemeinsam mit seinen beiden Töchtern in den gesamten Sommerferien verbracht habe. Doch was sei ein schöner Tag im Vergleich zu den vielen Wochen davor, in denen er sich ständig mit seiner Ex-Frau um den zukünftigen Wohnort der gemeinsamen Kinder gestritten habe?

"Warum muss mein Leben so schwierig sein?"

Bis Juli 2011 lebten die Kinder grundsätzlich beim Vater im norddänischen Öster-Hurup. Dennoch pendelten Marlene und Line wochenweise zwischen den Wohnungen des Vaters und der Mutter. Der Wechsel zwischen zwei verschiedenen Haushalten habe ihnen nicht gut getan, meinte Peter R. Sie hätten sich zerrissen gefühlt. Ihn habe auch bedrückt, dass seine jüngere Tochter in den Sommerferien nicht zu einer bereits geplanten Reise nach Paris mitkommen durfte: Seine Ex-Frau habe ihm das Kind "nicht ausgehändigt", obwohl dies ein Richter zuvor angeordnet hatte. "Warum muss mein Leben so schwierig sein?", habe Line einmal gefragt. Die Sorgerechts-Streitereien der Eltern machten ihr zu schaffen. Die Stadtverwaltung kam dagegen mit Hilfe einer Sachverständigen zu dem Schluss, dass die Kinder beide Eltern lieben und die Regelung mit dem wochenweisen Wechsel in Ordnung fänden.

Als der Agrarökonom 2010 wegen schwindender Schülerzahlen seinen Job an einer Internatsschule verlor und zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten geriet, beschloss er im Frühjahr 2011 nach Fredericia, in die Mitte des Landes, zu ziehen. Hier wollte er eine fundierte pädagogische Ausbildung machen und anschließend leichter einen Job finden. Fredericia hatte auch bessere Ausbildungs- und Freizeitangebote für seine Töchter, so die Überlegung. Doch die Mädchen waren sich alles andere als sicher, ob sie Mutter und Freunde verlassen und mit dem Vater umziehen sollten. Sie hatten Angst vor der Zukunft, litten unter der Ungewissheit und unter dem Streit ihrer Eltern, die dieses Problem gerichtlich klären lassen wollten.

Dem guten Willen seiner Frau ausgeliefert

Im Juli 2011 verlegte die Staatsverwaltung dann den Wohnort der Kinder zur Mutter - vorübergehend, bis "die Entscheidung abgeschlossen" sei, so geht es aus einem behördlichen Schreiben hervor. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass die Kinder nicht aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen werden sollten. Für Peter R. brachen damit sämtliche Zukunftspläne zusammen. Denn ohne seine Kinder wollte er nicht umziehen.

Seine Situation war deprimierend: Er konnte seinen Hof nicht mehr halten - und verlor damit seine Wohnung. Er hatte keinen Job und keine Aussicht auf einen neuen. Und nun besaß er nicht einmal das Recht, den Wohnort der Kinder bestimmen zu dürfen. Er fühlte sich auf den guten Willen seiner Ex-Frau angewiesen. Mit dieser Erkenntnis brach er an jenem Augusttag nach Hamburg auf. Am nächsten Tag sollte er die Kinder wieder zurück zu ihrer Mutter bringen. Dies habe für ihn eine Symbolik gehabt, sagt Peter R.: Er habe das Gefühl gehabt, von nun an seine Kinder nur noch sehr selten zu sehen, eben nur, wenn seine Ex-Frau damit einverstanden gewesen wäre.

Immer wieder an Selbstmord gedacht

Als Marlene unter Reiseübelkeit litt, habe er ihr eine der Schlaftabletten gegeben, die ihm der Arzt gegen seine eigenen Schlafstörungen verschrieben hatte. Wie unter Kindern üblich, wollte ihre Schwester ebenfalls eine solche Tablette bekommen. Er gab sie den Mädchen, den Beipackzettel mit der Warnung, dass diese Tabletten für Kinder ungeeignet seien, will er nicht gelesen haben. Dann sei er in Richtung Hamburg gefahren. "Plötzlich stand da 'Berlin'", sagte Peter R. Kurzzeitig habe er überlegt, den Kindern die Mauer zu zeigen, aber dann das Fahrzeug wieder gewendet. Er war unentschieden, die Zeit schien ihm davon zu laufen. Für sein Empfinden entwickelte sich eine dramatische Situation.

Seit seiner Scheidung habe er immer wieder an Selbstmord gedacht. Doch habe er geglaubt, dass die beiden Mädchen nicht ohne ihn leben könnten. Das habe ihn davon abgehalten. "Zwischen Berlin und Hamburg kam mir dann die Idee, wir könnten einfach alle sterben", berichtete der Angeklagte. In diesem Moment sei ihm das Reserve-Benzin eingefallen, dass er immer im Kofferraum mit sich führte. Er sei dann von der Autobahn 24 abgefahren. In einem Waldstück bei Börnicke habe er auf einem Reitweg angehalten und sein Auto mitsamt seinen schlafenden Töchtern in Brand gesteckt.

"Plötzlich eine andere Situation"

Dann erst ließ ihn sein Überlebenswille "aufwachen": Mit starken Verbrennungen im Gesicht und an den Händen sei zur Hauptstraße gelaufen. Irgendwann stieß er auf einen Lkw-Fahrer, der die Polizei rief. Dort sprach er von einem Unfall mit einer brennenden Zigarette, sein Auto sei plötzlich explodiert. Der Vorsitzende Richter kann dieses Verhalten nicht nachvollziehen: "Eben waren Sie noch völlig verzweifelt und kurz darauf schauen Sie schon wieder, wie Sie aus der Sache herauskommen?"

Peter R. versucht sich an einer Antwort: "Es war plötzlich eine andere Situation." Marlene und Line waren tot. Er selbst war noch am Leben.

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