Sexueller Missbrauch Porno-Aufnahmen in der Abstellkammer

  • von Uta Eisenhardt
Ein Ehepaar und dessen Freund hatten ausschweifenden Sex und fotografierten sich dabei regelmäßig. Auch die zwölfjährige Tochter wurde in die Praktiken einbezogen. Von sexuellem Missbrauch wollen die Eltern aber nichts wissen. Über den "Vorfall" urteilt jetzt das Berliner Landgericht.

"Fotostudio" nannte sich die kleine Abstellkammer in der Marzahner Plattenbauwohnung. Ein Doppelbett stand darin, auf dem rosafarbene Decken und Kissen lagen. Stoffe mit Leopardenfell-Muster und Palmen gaben dem kleinen Raum einen Hauch von Billig-Puff. Hier fertigten die beiden Freunde und Hobbyfotografen Günter K. und Valerij M. pornografische Aufnahmen von Bekannten an. Auch die heute 12-jährige Doreen K. war unter den Fotomodellen - sie ist die Tochter von Günter K. Darum müssen sich drei Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes vor dem Berliner Landgericht verantworten.

Dem Richtertisch am nächsten sitzt der Vater von Doreen, der arbeitslose Schlosser Günter K. (53) - ein selbstbewusster Mann mit Schnauzbart und Ohrring - einer, der weiße Socken mit glänzenden, schwarzen Lackschuhen kombiniert. Hinter ihm hockt mit krummem Rücken sein langjähriger Freund, der schmächtige Valerij M. Der 52-jährige Polizeikommissar ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Söhne. Er wurde vom Dienst suspendiert, als vor einem Jahr die Vorwürfe publik wurden. Nach dem Prozess erwartet ihn die Entlassung. Am Ende der Dreier-Reihe hat Doreens Mutter Petra K. Platz genommen. Die schmale 49-Jährige mit dem verlebtem Gesicht trägt einen weißen Kapuzen-Pullover - von hinten könnte man die arbeitslose Rettungssanitäterin für einen Teenager halten.

Heute Nachmittag wird nach drei Verhandlungstagen das Urteil in diesem bizarren Prozess gesprochen. Die Anklage listete zunächst mehr als 80 Handlungen auf, darunter ein obszönes Foto, das Petra K. im Jahr 2004 von der damals Achtjährigen und ihrem Vater aufnahm, als beide nackt auf dem Bett lagen. Günter K. hat dies im Prozess bestätigt. Weiterhin warf die Anklage Valerij M. vor, zwischen Sommer 2006 und Sommer 2007 Fotos von Doreen und ihrer zwei Jahre älteren Freundin Janine gefertigt zu haben.

80 Sitzungen hätte es gegeben, bei denen er den Mädchen zwischen die Beine gefasst und deren Schamlippen gespreizt habe, während er gleichzeitig auf den Auslöser seiner Kamera drückte. Vor Gericht gesteht der Ex-Kommissar zehn bis fünfzehn solcher Taten. Außerdem räumt er ein, Doreen in dieser Zeit einmal aufgefordert zu haben, seinen Penis zu berühren, was die damals Elfjährige auch tat.

Durch einen Sorgerechtsstreit kam alles ans Licht

Herausgekommen war das Ganze durch die Trennung der Eheleute K. im Sommer 2007. Den anschließenden Sorgerechtsstreit versuchte Petra K. für sich zu entscheiden, indem sie ihrem Rechtsanwalt einige Fotos übergab, die ihr Mann von ihrer Tochter gemacht hatte. Die Bilder gingen ans Jugendamt, das schaltete die Polizei ein. Der zuständige Ermittlungsbeamte schätzte die Fotos zunächst als nicht pornografisch ein, außerdem fürchtete man, als Werkzeug in einem Sorgerechtsstreit zu fungieren. Dennoch kamen die Beamten zu der Auffassung, "in der Familie kann etwas nicht stimmen".

Sie sprachen mit Doreen, die ihre Eltern in Schutz nahm. Isolierte Aufnahmen von ihrer Scham seien aus der Bewegung heraus entstanden, erklärte ihnen das Mädchen. Als der Polizei kurze Zeit später obszöne Nacktfotos von Doreen und ihrem Vater zugespielt wurden, gelangten die Beamten zu der Überzeugung, "dass mehr dahinter steckt". Die Beamten befragten die beiden Ex-Frauen von Günter K. und andere Menschen, die das Paar kannten - bis sie irgendwann auf Doreens Freundin Janine stießen. "Eine helle Berliner Göre", wie sie der Ermittlungsführer vor Gericht beschreibt.

Die Beamten finden CDs voller Fotos

Janines Schilderungen führten zu Hausdurchsuchungen bei dem Ehepaar K. und bei Valerij M. Die Beamten fanden Fotos, auf denen Doreen in Reizwäsche vor der Kamera posiert, doch Nacktfotos von den beiden Mädchen entdeckten sie nicht auf K.'s Computer. Das habe sie wegen des laufenden Sorgerechtsstreits auch nicht verwundert, sagt der Ermittler. Stattdessen stieß die Polizei auf "CDs über das mächtige Sexualleben der Beteiligten", so der Beamte vor Gericht. Das Paar habe öfter Sex mit Dritten gehabt und sich dabei fotografiert. Günter K. äußerte dazu, die freie Gestaltung der Sexualität sei völlig normal.

Vor Gericht sagt auch eine 22-jährige Bekannte der Eheleute K. aus, die vor drei Jahren für ein paar Monate bei den K.'s wohnte. Verlegen berichtet die mädchenhaft wirkende Frau von den erotischen Fotos, die Günter K. von ihr im Fotostudio angefertigt habe. Die Unterwäsche-Aufnahmen habe sie für sich und ihren Freund machen lassen, erklärt sie den Richtern. Einmal sei Günter K. mit laufender Videokamera ins Badezimmer gekommen, als sie gerade geduscht habe. "K. wollte, dass ich mich befummele. Ich wollte das nicht, hab ´s dann aber trotzdem gemacht", sagt die Zeugin. Auch Valerij M. wird von der zierlichen Frau als übergriffig beschrieben: Er habe sie an Po und Busen begrapscht. Sie habe sich nicht getraut, dagegen zu opponieren, "weil er Polizist war". Nacktaufnahmen von Doreen konnte die junge Frau nicht mit Sicherheit bestätigen. "Aber 'ne familiäre Wohnart war es nicht, wenn jeder sein eigenes Ding macht", meint die Zeugin. "Herr K. saß nur am Rechner, Frau K. war immer unterwegs und Doreen war mit dem Hund draußen oder bei Freunden."

Vor Gericht sind die Angeklagten minimal geständig. Petra K. macht den Anfang. Es trifft zu", trägt ihre Verteidigerin vor, "dass ich Kenntnisse von diesen Vorgängen hatte". Sie mache sich Vorwürfe, ihre Tochter nicht beschützt zu haben. Sie kann bis heute nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte. Seit November 2007 sei sie in psychologischer Betreuung, "um die Sache für mich und meine Tochter zu verarbeiten".

Sexuelle Fotos der achtjährigen Tochter

Günter K. will im Gerichtssaal kein Geständnis abgeben. Darum werden die Aussagen verlesen, die er nach einem Monat Untersuchungshaft abgegeben hatte. Damals sagte der Beschuldigte, seine Frau habe ein Foto von ihm und seiner Tochter angefertigt, bei dem er seine Schultern in den nackten Schritt der damals 8-Jährigen gedrückt hatte. Das Foto sei sexuell motiviert gewesen. Außerdem habe er die Foto-Sitzungen des Polizisten mit seiner Tochter und deren zwei Jahre älterer Freundin Janine mitbekommen. Er will den Freund aufgefordert haben, dies zu unterlassen. Der versprach ihm, die Fotos nicht ins Internet zu stellen. Dann habe er sich "nicht mehr um die Angelegenheit gekümmert." Er habe den Freund nicht verprellen wollen, begründete er sein Verhalten gegenüber den Ermittlern. Damals sagte er auch: "Ich habe ja nicht geahnt, dass es sich bei den erotischen Fotos von meiner kleinen Tochter um sexuellen Missbrauch handelt." Noch heute bezeichnet er seine Taten wertfrei als "Vorfall".

Valerij M. sagt über seinen Anwalt, "Ich empfinde große Scham darüber, dass ich es nicht geschafft habe, die Grenzen des moralisch und rechtlich Zulässigen gegenüber den Kindern einzuhalten." Zum Schluss seines Geständnisses möchte sein Verteidiger noch einen Satz für den Ex-Polizisten ergänzen: "Ich kann nicht ausschließen, dass es im Zusammenhang mit der Entstehung der Bilder zu körperlichen Berührungen gekommen ist."

Das späte Geständnis

Der gebürtige Jenaer hat ebenfalls die Hilfe von Psychotherapeuten in Anspruch genommen. "Um zu verarbeiten, wie es dazu kommen konnte, dass ich solche Handlungen getätigt habe", sagt der Angeklagte. Er begreife seine Taten als Fehlverhalten, sie seien nicht wieder gut zu machen. "Was der Auslöser war, da sind wir noch dabei, das herauszuarbeiten." Vor dem Haftrichter konnte Valerij M. das Geschehen noch plausibler erklären: "Es fing mit eher harmlosen Fotos an", hatte er vor einem halben Jahr geäußert. Später sei es "schleichend zu den erotischen Schnappschüssen" gekommen. Es sei nur ein kleiner Schritt zum Missbrauch gewesen, denn "Doreen hielt sich ohnehin für ein Fotomodell". Regelmäßig sei im Hause K. fotografiert worden, die eigens für Aufnahmen eingerichtete Abstellkammer befand sich in der elterlichen Wohnung.

Tochter hat Angst vor dem Vater

Das Geständnis ist dünn, doch es räumt einen Teil der ursprünglich über 80 angeklagten Fälle sexuellen Missbrauchs ein. Um den beiden Mädchen die Aussage zu ersparen, gibt sich das Gericht mit diesen Angaben zufrieden und kürzt einvernehmlich die Anklage um 70 Fälle. Das Strafmaß würde sich nur geringfügig erhöhen, wenn noch weitere Sitzungen verurteilt werden könnten, der seelische Schaden für die beiden Minderjährigen wäre jedoch ungleich höher, argumentiert der Staatsanwalt. Doreen K. lebt derzeit in einer vom Jugendamt betreuten Wohnung. Vor ihrem Vater, der sich einen normalen Umgang mit seiner Tochter "wie jeder Vater" wünscht, habe sie Angst, so ihre Betreuerin vor Gericht. Einmal in der Woche bekommt sie Besuch von ihrer Mutter. Petra K. hat noch immer keine klare Vorstellung davon, was sie ihrer Tochter angetan haben könnte. Sie weiß nur, "dass es abgearbeitet" werden muss, "dass es nicht wieder passieren" soll. Das ist für eine Rückkehr ihrer Tochter höchstwahrscheinlich zu wenig.

PRODUKTE & TIPPS