Was tun mit einem Achtjährigen, der ein Doppelmörder sein soll? Diese Frage treibt derzeit im Osten des US-Bundesstaats Arizona Richter, Anklage und Verteidigung, aber auch Sachverständige um. Der Junge wird verdächtigt, Anfang vergangenen Monats seinen Vater und dessen Freund und Kollegen erschossen zu haben.
In Arizona können schon Achtjährige für strafmündig erachtet und nach Erwachsenenstrafrecht angeklagt werden. Fachleute wenden dagegen ein, Kinder dieses Alters seien geistig noch längst nicht so weit und könnten zumeist die Endgültigkeit des Todes und die Konsequenzen des Tötens gar nicht erfassen. "Was auch immer man tut, es muss genau auf seine individuellen Bedürfnisse zugeschnitten sein. Nichts mit: 'Oh, da haben wir genau das richtige Programm für den jungen Mann, wir schicken ihn dahin oder dorthin.' Das funktioniert nicht", erklärt der Psychologe und Juraprofessor Charles Ewing von der Universität Buffalo.
Die Staatsanwaltschaft in der kleinen Gemeinde St. Johns steckt in der Klemme. Sie räumt in Gerichtsakten ein, dass das Jugendstrafsystem nur schlecht auf einen Drittklässler eingerichtet ist. Die Strafverfolger wollen nicht ein Kind verfolgen, dass vielleicht nicht in den normalen Rahmen passt. Sie wollen aber auch, dass den Opfern Gerechtigkeit zuteil wird. Und dass das "zarte Alter" des Jungen berücksichtigt wird.
Geständnis ohne Rechtsbeistand
Der Polizei zufolge soll das Kind geplant und wohl überlegt mit einem Kleinkalibergewehr auf seinen 29-jährigen Vater und dessen zehn Jahre älteren Kollegen geschossen haben, als diese am 5. November von der Arbeit heimkamen. In einer Vernehmung gab der Junge zu, mindestens zwei Schuss auf jeden abgefeuert zu haben. Sein Anwalt hält das Geständnis aber nicht für gerichtsverwertbar, weil kein Elternteil oder Rechtsbeistand anwesend war.
Außerdem sagte der Junge bei der Polizei aus, dass seine Stiefmutter ihn am Abend vor den Schüssen fünf mal verhauen habe, weil er Papiere aus der Schule nicht mit heimgebracht hatte. Laut Unterlagen der Staatsanwaltschaft hatte er auf einer Strichliste gezählt, wie oft er versohlt wurde, und geschworen, das tausendste Mal solle das letzte mal sein. Richter Michael Roca hat kürzlich das Verfahren so lange ausgesetzt, bis Sachverständigengutachten vorliegen. Die Staatsanwaltschaft hat einen Deal vorgeschlagen, dem zufolge der Fall nicht vor ein Erwachsenengericht käme. Anwalt Benjamin Brewer denkt darüber nach. Über Einzelheiten wollten sich beide Seiten nicht äußern.
"Vollkommen unangemessen"
Der Fall bewegt viele Menschen, die sich fragen, wie ein Achtjähriger für ein solches Verbrechen verantwortlich sein kann. Die Juristin Marsha Levick vom Juvenile Law Center in Philadelphia will nicht von Verbrechen im herkömmlichen Sinne sprechen, "weil ihm schlicht die Absicht fehlt, ein Verbrechen zu begehen". Sie bezweifelt, ob das Kind überhaupt schuldig zu machen ist. "Selbst wenn er tatsächlich den Abzug durchgezogen hat, wäre es vollkommen unangemessen, ihn als Erwachsenen zu behandeln und zur Verantwortung zu ziehen."
Ein vergleichbarer Fall ist in den USA in den vergangenen Jahren nicht vorgekommen. 2000 hatte ein Sechsjähriger in Michigan mit einer Waffe, die er zu Hause gefunden hatte, in der Schule auf einen Erstklässler geschossen. Die Staatsanwaltschaft sah von einer Anklage ab, weil er jünger als sieben Jahre und damit nicht strafmündig sei. Andere Staaten setzen die Altersgrenze bei sechs, bei acht oder bei zehn Jahren.
Zwischen zehn Jahren und lebenslanger Haft
Wird der Junge in Arizona von einem Jugendgericht verurteilt, könnte er bis zum Alter von 18 Jahren eingesperrt werden. Brewer fürchtet, dass es nach Erwachsenenstrafrecht lebenslänglich sein könnte. Seit seiner Festnahme befindet sich der Achtjährige im Jugendgewahrsam. Nach Auskunft seiner Mutter, die er über Thanksgiving für 48 Stunden besuchen durfte, ist er getrennt von den anderen untergebracht. In den Jugendstrafanstalten Arizonas ist der jüngste Insasse derzeit elf Jahre alt. Das Durchschnittsalter liegt bei 15 Jahren.