Der Mann da drüben guckt merkwürdig, als würde er gleich jemanden angreifen. Und die Frau da hinten wirkt hektisch, vielleicht ist sie eine Taschendiebin? Beschleicht Sie während einer Fahrt mit der Bahn manchmal so ein Verdacht? Trösten Sie sich, Sie sind mit diesen paranoiden Anwandlungen nicht allein: Rund 40 Prozent der Menschen gehen bisweilen paranoide Gedanken durch den Kopf, Gedanken also, in denen sie unbegründetes Misstrauen gegen andere hegen. Dies berichten Psychologen im "British Journal of Psychiatry".
Für ihre Untersuchung schickten Forscher des King's College London 200 Probanden auf eine virtuelle Bahnfahrt. Mit einem Headset versetzen sie die Teilnehmer in ein Zugabteil, in dem Avatare - per Computer erzeugte Personen - saßen. Die Avatare waren neutral programmiert. Sie schauten sich um, bisweilen kreuzte sich ihr Blick mit dem des Probanden. Ein Avatar lächelte manchmal, wenn man ihn ansah, ein anderer las Zeitung. Besonders bedrohlich sollte keiner von ihnen wirken.
"Als würde er etwas planen"
Die Mehrheit empfand die virtuellen Mitreisenden als neutral oder freundlich. Doch 40 Prozent der Versuchsteilnehmer berichteten, dass ihnen während der vier Minuten dauernden Fahrt Unangenehmes an den Avataren auffiel. Ein Teilnehmer schilderte es so: "Ein Mann wirkte zwielichtig. Als würde er planen jemanden anzugreifen, eine Bombe zu zünden, aggressiv zu werden." Eine Frau erzählte: "Ich fühlte mich im Türbereich zwischen zwei Männern eingeschlossen. Ich mag es nicht, wenn Männer so dicht neben mir stehen. Der eine hatte möglicherweise sexuelle Absichten."
Daniel Freeman, Leiter der Studie, nimmt an, dass derartige Gedanken Menschen häufiger durch den Kopf gehen, wenn sie sich beobachtet und eingeengt fühlen - wie eben bei einer Fahrt mit der Bahn. Ein weiterer Faktor: Wenn sich andere in der Nähe unterhalten, man die Worte aber nicht versteht, weckt dies das Misstrauen. Menschen, die sich generell mehr Sorgen um einen möglichen Terroranschlag machten, entwickelten eher paranoide Gedanken - immerhin fand die Untersuchung ein Jahr nach dem Anschlag auf die Londoner U-Bahn statt.
Freeman hat das Ergebnis der Untersuchung kaum überrascht. "Die Basis aller sozialen Interaktionen ist die grundlegende Entscheidung, ob wir jemandem trauen oder nicht - aber dieses Urteil kann falsch sein. Wer grübelt, oder schon schlechte Erfahrungen gemacht hat, neige eher zu Fehlentscheidungen. "Es kommt einem manchmal so vor, als wäre die Furcht voreinander etwas, das alle Menschen auf der Welt eint. Diese Ängste sind so häufig, dass sie einen entscheidenden - wenn auch unwillkommenen - Teil dessen darstellen, was den Menschen ausmacht", urteilt Freeman sogar.