auch dann, wenn der seine Methode als "sanft" oder "ganzheitlich" bewirbt. Denn bei vielen esoterischen Psychotechniken liegt der Fehler bereits in der Methode - etwa, weil sie körperlich riskant sind oder massive Grenzüberschreitungen als notwendig darstellen. stern GESUND LEBEN stellt Modetherapien vor, die für ihre Teilnehmer gefährlich werden können - und erklärt, warum.
Ursprung:
Der Hoffman-Quadrinity-Prozess wurde 1967 vom US-Amerikaner Bob Hoffman, einem Schneider, erfunden. Der Name Quadrinity (Vierheit) leitet sich aus den vier Aspekten ab, die angeblich im Prozess bearbeitet werden: Körper, "Erwachsenen-Intellekt", "emotionales Kind" und "spirituelles Selbst", eine Art Super-Ich. Heute wird die Methode in 13 Ländern angeboten.
Methode:
Hoffman geht davon aus, dass die Mehrheit der Menschen von ihren Eltern nicht bedingungslose Liebe erfahren hat, sondern "negative Liebe". Die zeige sich beispielsweise in Vernachlässigung, mangelndem Mitgefühl und Lob, Vermeidung von Gefühlen und Nähe, eiserner Disziplin, aber auch in einem "laschen Erziehungsstil".
Die Menschen übernähmen zwangsläufig dieses Verhalten ihrer Eltern. Mögliche Folgen seien Beziehungsprobleme, Suchtverhalten, Depressionen, ein Gefühl der Sinnlosigkeit. Ziel des Quadrinity-Prozesses ist es, sich die Verletzungen durch die Eltern bewusst zu machen und damals verdrängte negative Gefühle nachzuholen. Das ermögliche es, den Eltern zu vergeben, sich von ihnen zu lösen und eigene positive Verhaltensmuster zu entwickeln.
Der Prozess findet in einem Tagungshaus oder Hotel statt und dauert acht Tage mit jeweils zwölf oder mehr Stunden Programm. Am ersten Tag sollen die Teilnehmer vor der Gruppe "aufrichtig" ihre Probleme benennen. Wenn sie sich dabei "zu sehr etwas vormachen, müssen die Trainer auch mal deutlich werden", sagt die Diplompsychologin Christiane Windhausen, Geschäftsführerin und Trainerin des Hoffman-Quadrinity-Institutes in Düsseldorf. Der zweite und dritte Tag dienen dazu, sich in die Kindheit zurückzuversetzen. In "Wutsitzungen" sollen die verdrängten Gefühle nacherlebt und ausgedrückt werden. Dazu schlagen die Teilnehmer in der Runde mit Stöcken auf Kissen ein und schreiben "Anklagebriefe" an ihre Eltern.
Am vierten Tag schwenkt die Stimmung um 180 Grad. Die Teilnehmer verfassen einen schriftlichen Dialog mit ihren Eltern, als diese selbst Kind waren. Dieser Perspektivwechsel soll es ermöglichen, das Verhalten der Eltern zu verstehen, weil diese selbst nur Opfer ihrer Eltern waren. "Nachdem Wut und Ärger ausgedrückt worden sind, gelingt der Wechsel ins Mitgefühl relativ mühelos", sagt Windhausen - selbst bei schweren Verletzungen wie Missbrauch. Um sich vom Elternbild zu lösen, gehen die Teilnehmer am fünften Tag gemeinsam auf einen Friedhof und stellen sich deren Beerdigung vor.
"Am sechsten Tag sollen die Teilnehmer die Welt so erleben wie damals, als sie noch Kind waren", sagt Windhausen, "unbekümmert, neugierig, ausgelassen." Es wird gemeinsam gefeiert - mit Geburtstagstisch und Kuchen. Der Nikolaus kommt, verteilt Geschenke und nimmt jeden einmal auf den Schoß.
Der siebte und achte Tag dienen dazu, die Aspekte zu integrieren: Die Kontrahenten "Erwachsenen-Intellekt" und "emotionales Kind" schließen Waffenstillstand, dann feiern alle Aspekte eine "innere Hochzeit". Das Programm wird ergänzt durch Rituale, zum Beispiel am Lagerfeuer. "Längere Pausen gibt es bewusst nicht, damit alle ganz im Prozess bleiben", sagt Windhausen. Deshalb sollen die Teilnehmer während der acht Tage auch nicht telefonieren oder spazieren gehen. Zigaretten, CDs, Bücher und Süßigkeiten sind unerwünscht und werden gleich am Anfang in eine große Kiste geworfen.
Heilsversprechen:
Die Anbieter empfehlen den Quadrinity-Prozess für unterschiedliche Probleme: bei Abhängigkeit und Sucht, Missbrauchserfahrungen, Essstörungen, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden. Auch wird er als Training für Führungskräfte beworben.
Windhausen sieht in dem Prozess mehr als eine Therapie, "weil er gefühlsmäßig viel tiefer geht". Teilnehmer mit schweren Störungen würden aber nicht angenommen: "Ich wähle sehr genau aus, ob jemand bereit ist für diesen Quantensprung." In der Information für Auszubildende spricht das Düsseldorfer Institut allerdings eindeutig von "Klienten mit klinischen Diagnosen". Das Berliner Institut wirbt offen auch um Teilnehmer, denen es "sehr schlecht" geht und die eine Therapie brauchen. Ungeeignet sei die Methode für Menschen mit schwerer Suchtproblematik oder psychotischen Erlebnissen. Die Teilnehmer, versichern die Berliner, bräuchten "im Allgemeinen" nach den acht Tagen keine weitere Hilfe.
Ausbildung:
Der Prozess darf nur von Lizenznehmern des International Hoffman Institute USA angeboten werden. In Deutschland sind das zwei Institute in Berlin und Düsseldorf, das Düsseldorfer Institut bildet auch aus. Feste Voraussetzungen dafür gibt es nicht. Die Ausbildung sei zwar in erster Linie eine Fortbildung für psychosoziale Berufe, sagt Windhausen. "Wichtiger ist jedoch eine große Herzenskraft und ein Interesse an anderen Menschen", sagt Windhausen. Die Ausbildung erstreckt sich über zwei bis drei Jahre und besteht im Wesentlichen aus der Teilnahme an 12 bis 18 Prozessen.
Kosten:
Der achttägige Prozess kostet inklusive Unterkunft und Verpflegung rund 2500 Euro.
Seelisches Risiko:
Das Versprechen, in acht Tagen schwere seelische Verletzungen zu heilen, ist psychologisch nicht erfüllbar, sagt Dr. Michael Utsch, der als Psychologe bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin die Psychoszene beobachtet: "Die Seele braucht genau wie der Körper immer Zeit, um Wunden zu schließen."
Auch die Devise "Je heftiger, desto besser" sei für eine Psychotherapie unseriös. Der Psychologe warnt davor, dass der Quadrinity-Prozess in kurzer Zeit völlig unkontrolliert die schmerzhaftesten Erinnerungen aufreißt. Teilnehmer mit ernsten Problemen oder labiler Psyche seien damit überfordert: "Es besteht die Gefahr einer Retraumatisierung - die schlimmen Gefühle werden wieder so präsent, dass der Betroffene sie nicht mehr verarbeiten kann." Die Trainer seien oft nicht annähernd dafür qualifiziert, das zu erkennen oder aufzufangen.
Grenzen werden im Quadrinity-Prozess nicht akzeptiert, ihre Überschreitung als notwendig dargestellt. Eine Teilnehmerin: "Ich sagte, ich kann nicht weitermachen, ich kann nichts mehr aufnehmen, ich halte es nicht mehr aus. Mein Lehrer antwortete, der einzige Ausweg wäre, hindurchzugehen." Hinzu kommt eine körperliche Belastung durch einen Mangel an Pausen.
Wie Utsch hat auch das Forum Kritische Psychologie in Bayern mehrfach Quadrinity-Geschädigte beraten. "Die Methode kann massive Angst- und Panikzustände auslösen", warnt dessen Leiter Dr. Colin Goldner. Der Psychologe widerspricht der Behauptung der Anbieter, dass der Kurs heute sanfter als früher ablaufe: "Es geht im ersten Teil der Woche noch genauso kasernenhofmäßig zu wie eh und je."
Immer wieder mussten Teilnehmer noch während des Kurses oder danach wegen Wahnvorstellungen, schwerer Depressionen oder anderer gravierender Reaktionen in psychiatrische Kliniken eingewiesen werden. "In einigen Fällen sind Betroffene völlig zusammengebrochen", berichtet Goldner. Andere hätten nur mit therapeutischer Hilfe aus dem kindlichen Zustand, in den sie durch den Prozess geraten waren, zurückgeholt werden können. Während des Booms der Methode in den 90er Jahren, erinnert sich der Psychologe, hatten psychiatrische Landeskliniken regelmäßig mit Quadrinity-Geschädigten zu tun.
Windhausen räumt ein, dass eine Reihe von Teilnehmern ihrer Kurse Probleme hatten: "Das war vor allem in der Anfangszeit so, und wir haben durch diese Menschen viel gelernt." Heute wähle man viel genauer aus. Immer noch gebe es allerdings Teilnehmer, die den Kurs abbrechen: "Uns ist aber wichtig, dass die Menschen zumindest mit einer Einsicht gehen."
Die Schweizer Psychologin Manuela Biedermann hat 2001 für ihre Diplomarbeit elf ehemalige Teilnehmer des Quadrinity-Prozesses befragt. Vier gaben an, dass jemand in ihrer damaligen Verfassung den Kurs "niemals hätte absolvieren dürfen". Die kurzfristige positive Wirkung verschwand im Laufe der Zeit bei fast allen Befragten, fünf begannen eine reguläre Psychotherapie. Die kurzfristige Euphorie vieler Teilnehmer erklärt der Psychologe Utsch damit, dass im Quadrinity-Prozess tatsächlich viel Dramatisches erlebt wird - "und das muss dann auch etwas gebracht haben". Zudem schafften die hohen Kosten eine Erwartungshaltung: "Welcher Teilnehmer möchte sich schon eingestehen, dass das viele Geld vergeudet war?"