ARCHÄOLOGIE Das Rätsel um Ötzi wird langsam gelöst

Einer der ältesten Kriminalfälle der Menschheitsgeschichte rückt der Aufklärung näher: Der Gletschermann Ötzi aus Tirol ist nach neuen Erkenntnissen im Kampf gestorben.

Noch in diesem Jahr soll der Eismann, der im Bozener Archäologiemuseum bei minus sechs Grad konserviert wird, wieder aufgetaut werden. Die Forscher erhoffen sich neue Hinweise auf die Todesumstände - und damit Nahrung für spektakuläre Theorien über die Feinde des Mannes, der zu Lebzeiten eine bedeutende Rolle unter seinen Mitmenschen eingenommen haben soll. »Es ist ein riesengroßes Mosaik«, sagte der Ötzi-Experte Walter Leitner vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Innsbruck am Freitag.

Kein Ritualopfer

Der rund 5.300 Jahre alte Mann habe kurz vor seinem Tod eine tiefe Schnittwunde an der Hand beigebracht bekommen, teilte der Bozener Pathologe Prof. Eduard Egarter nach einem Bericht des Hamburger Magazins »Geo« (Mai-Ausgabe) mit. Egarter, Koordinator der Ötzi- Forschung am Südtiroler Museum: »Die Schwere der Verletzungen spricht eindeutig dagegen, dass der Eismann sie sich selbst zugezogen hat.« Der Eismann starb demnach also im Kampf. Nach Überzeugung der Ötzi- Experten Egarter und Leitner ist damit eine These vom Tisch, mit der US-Archäologe Johan Reinhard zu Jahresbeginn für Aufsehen gesorgt hatte. Reinhard war davon ausgegangen, Ötzi sei in einem Ritual den Göttern geopfert worden.

Schon von Hunderten untersucht

Selten hatte eine Leiche den Wissensdurst der Forscher in aller Welt derart angestachelt. Hunderte Wissenschaftler untersuchten die 1991 in einem Schneefeld der Ötztaler Alpen entdeckte Mumie. Mit Gen- Tests und Computertomographien fanden sie heraus, dass Ötzi Mitte 40 war, an verkalkten Adern und Durchfall litt. »Er war nicht mehr gesund«, sagt Leitner.

Es war kein Raubmord

Da Ötzi ein damals äußerst wertvolles Set aus Pfeil und Bogen dabei hatte und aufwendig tätowiert war, meint Leitner, Mitglied des Archäologischen Ötzi-Forschungsbeirats: »Er hatte eine führende Position in seinem Dorf inne, vielleicht war er Schamane oder Priester.« Ein Raubmord scheidet Leitner zufolge aus - Pfeil und Bogen hätten sich die Mörder kaum entgehen lassen.

Aufklärung von Pfeilspitze erhofft

Auf die Spur der Mörder kamen die Forscher im Sommer 2001, als sie überraschend eine Pfeilspitze in der Brust entdeckten. Nun sollen Pathologen die Spitze herausoperieren. »Es geht darum, den Weg der Pfeilspitze zu verfolgen und von daher auf die genauen Verletzungen zu schließen«, erläutert Leitner.

Mordmotiv Neid?

Noch ist seinen Angaben zufolge nämlich nicht ausgeschlossen, dass Ötzi schon Länger mit der Spitze aus Feuerstein in seinem Körper gelebt hatte. Doch auch eine weitere Verletzung an der Schulter, ein Messer, das Ötzi in der Hand gehalten haben soll, sowie der bis auf die Knochen reichende Schnitt an der Hand deuten in eine andere Richtung: »Möglicherweise wurde er verfolgt und getötet, bevor alle Verfolger schnell abzischten«, sagt Leitner. Bis zuletzt muss sich Ötzi demnach gewehrt haben. Als Mordmotiv kann sich Leitner vorstellen, dass die Neider die Stellung Ötzis im Dorf einnehmen wollten.

Weiteres Mosaiksteinchen

Doch der Archäologe räumt ein, dass - ohne ergänzende Erkenntnissen etwa von Siedlungen oder Gräberfeldern - durch die Untersuchung Ötzis alleine keine neuen Rückschlüsse auf das Leben in der Jungsteinzeit gezogen werden könnten. »Ein Fall ist kein Fall.« Doch die Mosaiksteinchen um den Gletschermann zusammenzusetzen, sei für die Zunft trotzdem von höchstem Interesse - »auch wenn viele Stücke für immer fehlen werden«.

Basil Wegener

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