Tief im Wald, zwischen von Wasser umspülten Bäumen, hat Ly Vy ein weiteres Tier in seinem Treibnetz erspäht. Er greift die Schlange, schlägt sie mit dem Kopf gegen die Seite des Bootes und wirft sie auf einen großen Haufen. Die größte Schlangenernte der Welt findet derzeit in Kambodscha auf dem Tonle-Sap-See statt. Artenschützern bereitet sie große Sorgen. Ein Tag später - ein furchtbarer Anblick: Große Eimer mit leblosen Wasserschlangen werden in von Algen bewucherte Becken geleert. Krokodile stürzen sich auf die Schlangen und schlingen sie in wenigen Bissen herunter. Einige der 2000 Krokodile der Farm verfallen sofort wieder in Lethargie, Reste der Schlangen hängen noch aus ihrem Maul.
Verheerende Auswirkungen auf Wasservögel
"Sie mögen Schlangen lieber als Fisch. Die haben rotes Blut und viel Protein", sagt Sen Rith. Ihm gehört eine der insgesamt 900 Krokodilfarmen, die es in Kambodscha gibt. Immer mehr Farmen füttern ihre Krokodile vor allem mit Schlangen aus dem Tonle-Sap-See im Nordwesten Kambodschas. Wissenschaftler der Gesellschaft für Artenschutz (WCS) mit Sitz in New York schätzen, dass jährlich etwa vier Millionen Schlangen gefangen werden. Sie befürchten, dass die Schlangenpopulation das nicht übersteht.
Eine Sorge, die beide Seiten umtreibt, die tausende Kambodschaner, die vom Schlangenfang leben, und die Umweltschützer, die das fragile Ökosystem im Blick haben. "Die Schlangen sind eines der wichtigsten Bestandteile des Tonle-Sap-Ökosystems", sagt Joe Walston, der WCS-Vertreter in Kambodscha. "Sie sind ein wichtiger Jäger und gleichzeitig wichtiges Futter für große Raubvögel und wilde Krokodile. Wenn ihre Population zurückgeht, hätte das verheerende Auswirkungen auf einige der weltweit wichtigsten Kolonien von Wasservögeln."
80 Cents für 50 Tiere
Ly Vy fängt die ungiftigen Schlangen seit acht Jahren. Er berichtet, dass es bereits viel weniger geworden seien, und macht sich Sorgen über seine Zukunft. Dabei denkt er auch an mögliche neue Gesetze, die seinen Fang beschränken könnten. In diesem Jahr hat er bislang nur etwa die Hälfte von dem gefangen, was ihm in der vergangenen Saison ins Netz ging - der Saisonhöhepunkt liegt zwischen Juni und September.
In diesen Monsun-Monaten lebt Ly Vy mit seiner Frau und seinen zwei kleinen Söhnen auf einem knapp fünf Meter langen, offenen Boot mitten im feuchten Wald, in dem es vor Insekten wimmelt. Den Rest des Jahres arbeitet er als Fischer. "In der Monsunzeit können wir nicht viele Fische fangen, deswegen fangen wir dann Schlangen", erklärt der 26-Jährige, als er die morgendliche Inspektion seines 400 Meter langen Netzes beendet. Die 50 Tiere, die er dabei einsammelt, werden ihm 4000 Riel einbringen, etwa 80 Cent.
Ein natürlicher Brutkasten
Für Besucher ist die Umgebung, in der die Familie lebt, alles andere als bedrückend: Dutzende Pelikane erheben sich mit kräftigen Flügelschlägen und fliegen anmutig über das Wasser. Adler sitzen auf Baumwipfeln und beobachten das Geschehen aufmerksam, während Kormorane über das schlammige Wasser fliegen. Dieses einzigartige Ökosystem entsteht immer dann, wenn sich der Tonle Sap in der Monsunzeit ums Fünffache ausdehnt und den Tropenwald und das Farmland um ihn herum überschwemmt. In diesem natürlichen Brutkasten wachsen jährlich Millionen Wasserschlangen heran.
Der größte Teil des Schlangenfangs geht an Krokodilfarmen. Andere Schlangen werden zu Geldbörsen, Handtaschen oder anderen Luxusprodukten verarbeitet. Einige der Tiere werden exportiert, viele werden auch an Restaurants vor Ort verkauft, wo sie gebraten, getrocknet oder gekocht werden. "Wir wissen, dass der Fang intensiver betrieben wird, aber gleichzeitig die Menge der Schlangen, die gefangen werden, abnimmt", sagt WCS-Vertreter Walston. Es sei nicht sicher, ob es für den Tonle-Sap-See noch ein Zurück geben kann, erklärt der Biologe. Einige Schlangenarten seien mittlerweile schon sehr selten geworden.
Walston hält strengere Gesetze für lebenswichtig. Sie müssten sowohl dem Überlebenskampf der Schlangenjäger gerecht werden als auch der Ökologie des Sees. Wenn sich das Fischen und die Schlangenjagd nicht mehr lohnten, würden die Anrainer des Sees zwangsläufig anfangen, Bäume zu fällen, befürchtet Walston. Weitere schwindende Ressourcen wären dann bedroht - und eine der größten Schlachten um eine intakte Umwelt in Kambodscha wäre verloren.