Letzten Sommer brachte Spock ein Stück Fleisch vom Grill meiner Nachbarn mit nach Hause. Es war schon mariniert und sah sehr lecker aus. Spock, das ist die Katze, mit der ich mir eine Wohnung teile. Manchmal bin ich froh, dass es für mich auch noch Platz gibt.
Spocks Heldentat vom Grillfleischholen verdiente ein ganz großes Lob von mir. Aber so sehr ich mich auch bemühte, es blieb mir ganz tief hinten im Hals stecken. Spock, ganz enttäuscht, setzte sich vor unser Sofa und fraß alleine seine Beute. Drei Minuten nach dem unvergleichlichen Genuss ließ er sich in einen tiefen Schlaf fallen und träumte ins Spock-Paradies.
Das Paradies besteht aus drei riesengroßen Zimmern, die jeweils eine Leuchtschrift über der Zimmertüre hängen haben. Zimmer Nr.1 steht für das große Fressen. Zimmer Nr.2 ist da wo Diener und andere eifrige Menschen wohnen. Und Zimmer Nr.3 ist der verbotene und zugleich verlockende Ort: Raus aus dem Bett! Aufstehen! Sofort!
In seinem Traum sprang Spock von einem Zimmer zum anderen (in seinen Träumen ist Spock wahrscheinlich viel schlanker als in Wirklichkeit).
Zimmer Nr.1 war ganz allein für ihn reserviert. Und wenn er gerade die eine Seite des Zimmers leer fraß, sah er aus den Augenwinkeln, wie sich auf der anderen Seite aus dem Nichts heraus das Essen von Neuem auftürmte. Wie im Schlaraffenland flogen ihm förmlich die Brekkies, Lachsbrötchen und Riesenhühnerschenkel ins Maul. Ein Zimmer wie ein übergroßes Katzenlebkuchenhäuschen.
Aber Zimmer Nr. 2 war noch tausend Mal besser. Dort lag er am liebsten in der Mitte, umgeben von einer für ihn völlig unübersichtlichen Anzahl von Katzenliebhabern. Die sich überdies noch förmlich darum schlugen, jeden Wunsch von seinem Gesicht abzulesen. Kraulen, Bälle werfen, Bälle zurückholen, durch den Vorgarten rennen, beim Mäusefangen helfen, Fremde verjagen – was das Katzendivaherz begehrt. Auf seine Bitte hin wurde ihm in einer Endlosschleife das Märchen vom gestiefelten Kater vorgelesen und dann lag Spock nur noch starr auf dem Rücken. Stolz, dass er einfach mal ganz Katze sein durfte.
Nach einiger Zeit begann Spock jedoch die Lethargie zu langweilen. Herausforderungen wollten bewältigt, Gefahren gemeistert werden. Spock war hungrig. Aber nicht auf Brekkies, sondern nach Abenteuern...
Die verbotene Zone, Zimmer Nr. 3. Der Ort, an dem das eine besondere Anziehungskraft auf ihn ausübte. In Zimmer Nr.3 sah Spock sein Frauchen in einem Bett schlafen, die Uhr zeigte 4.30 Uhr, der Alarm war auf 7.30 Uhr gestellt. Ein Ritual begann, das Spock sehr gut kannte, das aber jedes Mal aufs Neue seinen Adrenalinpegel schlagartig nach oben schnellen ließ.
Ein blitzschneller Sprung aufs Bett, ein herzerweichender Schrei - durch stundenlanges Üben perfektioniert. Der Kampf war eröffnet. Spock erwies sich als zäher und mutiger Gegner. Die Kapitulation war nur eine Frage der Zeit: Frauchen schleppte sich, vom Kriegseschrei völlig zerknirscht, aus dem Bett, um die Eingangstüre aufzuschließen und Spock seinen frühmorgendlichen Spaziergang zu ermöglichen. Erhobenen Hauptes ging Spock hinaus, drehte sich noch einmal um und warf seinem Frauchen das Lächeln eines prachtvollen Siegers entgegen. Dann trottete er zufrieden von dannen.
Irgendwann ist auch der schönste Katzentraum vorüber, Spock wachte auf von seinen imaginären Taten in Zimmer Nr.3. Nein, er wachte nicht auf, er wurde geweckt. Eine verärgerte Katze trottete mit gesenktem Kopf von dannen und legte sich woanders wieder schlafen.
Träum weiter, Spock. Wiebke Schönherr