Wenn man erst mal da ist! Wenn die neue blaue Fähre, die ganz ungriechisch wirkt, weil man bei ihr nicht gleich an Schwimmweste und Testament denken muss, wenn also die "Achilleas" bei Dunkelheit in Linaria einläuft, diesem Abziehbild eines griechischen Hafens, gelegen auf der Insel Skyros, und wenn die Jungs von der Bar Kavos dann zum Empfang Richard Strauss' "Also sprach Zarathustra" derart aufdrehen, dass die Mole wackelt, und wenn die Gäste dazu Goldregen-Kerzen schwenken, als käme eine siegreiche Fußballmannschaft zurück - zugegeben, das ist ein Happening. Alle stehen dann am Anleger und halten Ausschau nach bekannten Nasen. Und das Örtchen, das eben noch selig in seinem Tran lag, vibriert für eine Weile wie St-Tropez im August.
Aber die Anreise! Wir fliegen nach Athen, fahren mit dem Auto eine Stunde Richtung Saloniki bis zur Abfahrt Chalkida. Dann über eine Hochbrücke auf die Insel Euböa und rund 100 Kilometer bis zum Hafen Kymi, wo die "Achilleas" ablegt. Sie braucht zwei Stunden bis Skyros. Von Hamburg nach Skyros ist man länger unterwegs als nach New York. So geht das mit Destinationen, die abseits der touristischen Rennstrecken liegen.
Ursprung des Trojanischen Krieges
Was kriegen wir dafür? Echte Folklore, zum Beispiel. Skyros-Stadt ist der Hauptort der Insel, eine viertel Autostunde vom Hafen entfernt. In einer Rustikalkneipe zelebrieren wettergegerbte Alte eine Art Sirtaki, und zwar um ein Glas Wein herum, das auf dem Bretterboden steht. Bärig-urig wirkt das - Zorbas Erben, jwd in der Ägäis.
Skyros ist so groß wie Elba und sonnt sich in der Legende, hier habe der Trojanische Krieg begonnen. Nämlich so: Thetis, die Mutter des Achilles, soll ihren berühmten, (fast) unverwundbaren Sohn am Hof des Königs Lykomedes als Mädchen verkleidet versteckt gehalten haben, auf dass ihn nicht der frühe Heldentod ereile. Der schlaue Odysseus, der davon erfuhr, segelte nach Skyros und entlarvte den Drückeberger mit einer List. Er überbrachte dem Hof Geschenke. Während sich die Frauen naturgemäß auf Klunker und Klamotten stürzten, interessierte sich Achilles mehr für die Waffen. Und ward prompt als Haudegen für den Krieg gegen die Trojaner rekrutiert, in dem er tödlich an der Achillesferse verletzt wurde. Hübsche Geschichte.
Verschollen im Labyrinth aus Gassen
Eine noch schönere breitet sich in Form der Chora aus, jener typischen, an einen Hang oder Berg gebauten griechischen Oberstadt, in der sich die Küstenbewohner jahrhundertelang gegen Invasoren aller Provenienz verschanzten. Jede Ägäis-Insel hat eine Chora - aber kaum eine ist so unglaublich steil, so unfassbar verwinkelt angelegt wie die von Skyros, wo blendend weiße Häuserschachteln einen zuckerhutförmigen Felsen belagern. Ein Labyrinth ist ein Schachbrett gegen dieses Gewirr von manchmal bloß schulterbreiten Gassen, in denen Esel den Hausmüll entsorgen oder Zement anliefern. Es geht nach links und rechts, geradeaus und zurück, nach oben und nach unten. Zur Burg hoch auf dem Berg gelangt der Fremde gerade noch, indem er nach dem Kastro fragt. Aber zurück? Unmöglich, sich zurechtzufinden ohne den Faden der Ariadne. So mancher Okkupant dürfte vor Erschöpfung einfach umgefallen sein. Stunden könnte man durch die Chora streifen, immer eskortiert von laut miauenden Katzen-Gangs, welche die Stadt, ja die ganze Insel fest in ihren Krallen haben. So ein Leben dicht an dicht, ganz eng über-, unter- und nebeneinander, es hat seine Tücken. Sehr zur Freude der übrigen Skyroten, die ansonsten wenig Unterhaltung haben, liefern sich Chora-Bewohner immer wieder bizarre Fehden. Meist geht es um nicht mehr als einen halben Meter Grundstück, den Verlauf einer neu gebauten Mauer, die Richtung, in der eine Regenrinne Wasser ablässt. Noch die piefigsten Händel werden nach wahrer Maschendrahtzaun-Mentalität ausgetragen. Irgendwann gibt es in der Taverne eine retsinafeuchte Versöhnung.
Weder schick noch schrecklich voll
Alles findet öffentlich statt auf Skyros. Geht gar nicht anders, bei 3500 ständigen Bewohnern, die sich unvermeidlich alle naslang begegnen. Lefteris, der umtriebige Pate des schütteren Touristikgeschäfts - er besitzt die Agentur "Skyros Travel Agency" -, kennt jeden beim Namen, sagt er. Was noch wichtiger ist: Er weiß genau, wer zu welchem Clan gehört und was für eine Rolle er dort spielt. Lefteris selbst zählt zu den wenigen Insulanern, die gut Englisch sprechen. Er liebt Skyros heiß und innig und besingt seine Insel wie ein antiker Dichter.Zu seinem Leid zeigen ihr die meisten Medien die kalte Schulter. Sie ist nicht schick, wie Mykonos oder Santorin. Hier steppt auch kein Ballermann, wie auf Kreta oder Rhodos. Eigentlich eine Doppelinsel - zwei rundliche Bergmassive kleben aneinander wie Spiegeleier in der Pfanne -, ist sie das perfekte Ding für Individualisten. Auf der erstaunlich grünen, pinienbepflanzten Nordseite liegen Dutzende von Buchten und Stränden. Aber nur eine Bettenburg, das "Skyros Palace". Der Südostteil, ein steiniges Ziegenparadies, wirkt faszinierend in seiner mondhaften Kargheit. Großartige Ausblicke, bei jedem Wetter. Dann und wann hechelt ein staubiges, verbeultes Mazda-Dreirad oder ein verschwitzter Rennradler um die Kurve. Bei Letzterem handelt es sich meist um einen auf Skyros stationierten Soldaten der Marine oder der Luftstreitkräfte, der sich halb zu Tode ödet. So was von verpennt, die ganze Veranstaltung!
Am Besten dreimal am Tag griechischen Salat ordern
Fans lieben sie exakt deshalb. Die Hochsaison ist kurz und heftig. Von Ende Juli an rücken die Athener an, mit Autos, Kind und Kegel. Dazu die Arbeitsemigranten, die so oft wie möglich zurückkehren. Manche haben sich Häuser oder Apartments an den Stränden von Magazia und Molos gekauft, in Sichtweite des imposanten Burgfelsens. Kein Zentimeter der ansteigenden Hauptstraße mit ihren Musikcafés, Souvlaki-Läden, Bars und Pizzabäckern, wo sommers nicht Stühle und Tische aufgestellt werden. "Im August ist die Stadt rappelvoll", sagt Christine aus Zürich, die es der Liebe wegen nach Skyros verschlagen hat. "Wer's richtig laut und familiär und typisch griechisch mag, kommt da voll auf seine Kosten."Nichtgriechische Touristen stellen nur eine kleine Minderheit. Viele Schilder sind ausschließlich in Landeslettern beschriftet. Viele Lokale haben nicht einmal eine englische oder italienische Speisekarte. Macht nichts. Die fünf oder sechs Stützen der griechischen Tavernenkost sind jedem Kerneuropäer aus seiner Jugendzeit sattsam vertraut. Am besten bestellt man dreimal am Tag griechischen Salat, da kann nichts schief gehen. Klingt wie Satire, ist aber ernst gemeint: Ein deutscher Wanderreisen-Veranstalter hat im Beiprogramm einen "Kochkurs auf Griechisch" aufgelegt.
Reif für die Insel
Anreise
Flüge nach Athen gibt es von deutschen Flughäfen mit verschiedenen Billig-Airlines. Flüge nach Skyros von Athen zweimal pro Woche.
Unterkunft
Strandhotel Skiros Palace, Tel.: 0030/22 22 09 19 94, DZ ab 55 Euro, www.skiros-palace.gr. Ein modernes, renoviertes Hotel in Skyros-Stadt ist das Nefeli, Tel.: 0030/22 22 09 19 64. DZ ab 80 Euro (Nebensaison), 140 Euro (Hauptsaison), www.skyros-nefeli.gr
Essen + Trinken
Anemomilos, in alter Mühle bei Pouria; Pappous, Skyros-Stadt; Taverne Fillipe, Linaria.
Besichtigen
Ruinenausgrabungsstätte (nur für Kenner interessant) bei Palamari nahe dem Flugplatz.
Pauschalreisen
13-tägige Wanderreisen auf Skyros hat der Veranstalter Gomera Trekking Tours ab April 2006 im Programm, inkl. Flug von Frankfurt ab 1840 Euro. Sandstraße 1 a in 90443 Nürnberg, Tel.: 0911/207 87. Fax: -207 99, www.trekkingreisen.de
Auskunft
Ausführliche Infos auf Deutsch (Fährzeiten, Flüge und Busverbindungen, Hotels, Pensionen, Lokale, Kneipen, Strandbars etc.) im Internet unter www.athen-info.de/skyros. Mietwagen, Touren, Bootsausflüge, Unterkünfte etc.: Skyros Travel Agency (Lefteris Trakos),
Tel.: 0030/222 20-916 00,
Fax: 921 23,
www.skyrostravel.com
Wozu wandern, wenn der Herrgott Autos geschenkt hat?
Apropos Wandern. Skyros ist für Anfänger eine Herausforderung. Es gibt keine ausgeschilderten Rundwege, nicht einmal eine gute Inselkarte. Ein Führer ist ratsam, sonst wird es mühsam. Dafür sind Wanderer wunderbar allein auf Skyros' weiter Flur. Die Insulaner halten ebenso wie ihre Athener Klientel vorsätzliches Wandern für eine milde Form von Irrsinn. Wenn der Herrgott gewollt hätte, dass der Mensch zu Fuß geht, hätte er ihm dann das Auto geschenkt? So findet man selbst in der Hochsaison noch einsame Strände und lauschige Buchten. Was nicht motorisiert zu erreichen ist, wird von echten Griechen links liegen gelassen.Fremden Bräuchen war Skyros schon immer abhold. Europäischen Standards hinkt sie zwei, drei, Jahrzehnte hinterher, im Guten wie im nicht so Guten. Die Insel hat ihr traditionelles Liedgut bewahrt, leider auch die Sitte, Müll einfach in der Landschaft liegen zu lassen. Es gibt kaum Drogenprobleme und wenig Kriminalität, aber es wird auch kein Autowrack entfernt. Das Wirtschaftsleben ist angenehm entschleunigt - ab zwei Uhr nachmittags wird nicht mehr arg hart gearbeitet -, allerdings auch ohne Zukunft. Was soll aus einer Insel werden, die auf jeden zweiten Hügel eine Kapelle baut, aber nicht mal ein Internetcafé zustande bringt?
Ergebene und anachronistische Inselbewohner
Doch dann kommen diese schlichten, magischen Momente am Hafen wie aus der Griechenland-Werbung. Wo man sich sagt, verdammt noch mal, ein paar von diesen anachronistischen Plätzen müssen einfach überleben in unserem gleichgebürsteten Europa. Während man in der Taverne auf blauen Holzstühlen sitzt, knusprige kleine Doraden mit schlichtem Wein runterspült und den Männern zuschaut, die gemächlich ihre Boote streichen. Wie Nikos, der mit der Töpferin Monika aus Österreich liiert ist (die von manch einem scheel angesehen wird, weil sie auch "ungriechische" bunte Keramiken verkauft), wie also Nikos mit dem Kescher Köder fischt für seinen abendlichen Angeltörn; silbrige Fischchen, die ihm, kaum dass er den Rücken dreht, von Katzenbanden aus dem Eimer geklaut werden. Wie er halblaut flucht und weiter fischt. Was kann man gegen Katzen tun? Nichts, nicht auf Skyros. Kumpel von Nikos kommen vorbei und bringen Tratsch mit. Ein Boot läuft ein, ein anderes aus, und dazu scheint eine wohltemperierte Sonne. Wo, beim Zeus, wäre man besser aufgehoben?