Angefangen hat alles in einem Salon in Palma de Mallorca mit einem echten Miró an der Wand. Da sitzt also Monti Galmés, ein Mann von 68 Jahren. Mit einer Energie, die auch für zwei 34-Jährige reichen würde. "Du willst hochlaufen zum Heiligtum von Lluc?", fragt er. "Da komme ich mit." Nur Zeit habe er morgen leider keine. Monti muss zu einem Fußballspiel, schließlich ist er Präsident des spanischen Zweitligisten Real Mallorca. Aber genau jetzt könnte er ein paar Stunden abhauen. "Komm", sagt Monti schließlich, der mit jedem nach dem ersten Kaffee per Du ist. "Jetzt oder nie."
Bei Caimari, 35 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt, geht es in den Berg. Es bläst aus Südost. "Das ist der Xaloc. Kein gutes Wetter für Fischer", sagt Monti. Jeden Wind hier oben kennt er mit Namen und dazu die Tiere und die Pflanzen und das Menschenwerk. Das ganz besonders. Die unbehauenen Steine des Pilgerwegs unter den Füßen liegen so, dass sie nicht bei jedem Erdrutsch in die Tiefe gerissen werden.

Der ganze Berg ist zudem durchzogen von Wassergräben. "Alles Handarbeit – von Jahrhunderten." Auch deshalb gehöre dieses Gebirge zum Weltkulturerbe der Unesco. Wild ist es, und uralte Kulturlandschaft zugleich. Monti erklärt, wie Esel über die schmalen Pfade, drei Hände breit nur, die Steine nach oben geschafft haben. Er zeigt auf dunkle Klumpen im Hang, um zu beweisen, dass hier wirklich Tiere hochkommen, und sagt: "Guck. Eselsreste."
Wind statt Sonne
Mallorca im Winter. Das ist das Gegenteil von Ballermann. Wind statt Sonne. Ruhe statt Party. Wo sonst Betriebsamkeit herrscht, scheint das Leben stillzustehen. Wer will, findet im Kloster Lluc im Tramuntana-Gebirge Einsamkeit in einer Klause, hinter deren vergitterten Fenstern die Basilika leuchtet. Sie leuchtet tatsächlich. Die Sonne brennt nicht, sie malt.
Auf dem Weg nach Lluc drängt Monti zur Eile. In zwei Stunden wird es dunkel; und bis hinauf zum Heiligtum sind es rund zehn Kilometer und rund 500 Höhenmeter. Fast im Laufschritt doziert er: über die Adler in den Bergen, über die wilden Ziegen, die überall zu sein scheinen und von denen eine Art geschützt sei, die andere aber nicht. "Die da können wir heute Abend essen." Monti pflückt eine Orchidee am Wegesrand, entdeckt die Myrte, die bei den Prozessionen in seiner Kindheit auf den Weg gestreut wurde, damit die Füße der Gläubigen sie zerreiben und der Zug in feierlichen Duft gehüllt wird. Er findet eine Quelle im Hang. "Trink. Das ist köstlich."
Gebratenes Lamm im Kloster Lluc
Es geht vorbei an einem Haus, das "Beim Singen" heißt, weil hier die erschöpften Pilger immer so laut gekeucht haben. Durch Tore, die aus dem Holz der wilden Olive gebaut wurden. "Die Biegung der natürlichen Bretter ist kunstvoll integriert. Das können nur noch ein paar Spezialisten in Sineu – hält ewig, brutal hartes Holz." Überall gibt es etwas zu entdecken oder eine Geschichte zu erzählen. Von einem mächtigen Felsen etwa stürzte der Legende nach ein Ehemann seine angeblich untreue Frau hinab – und fand sie zu seinem Entsetzen und als Zeichen Gottes kurz darauf betend vor der Schwarzen Madonna in Lluc.
Der kleine Raum in der Basilika mit der Madonna ist das religiöse Zentrum von Mallorca. Sehr düster, unendlich katholisch. Aber der Katholizismus hat eben nicht nur eine Seite. Gebratenes Lamm, das mutmaßlich das Gras der heiligen Umgebung gefressen hat, wird im Klosterrestaurant serviert. Wer nach Lluc kommt, muss sich um Brot und Wein nicht sorgen. Bei nicht näher definierten moralischen Verfehlungen allerdings behält sich die Verwaltung laut Aushang das Recht vor, die Gäste hinauszuwerfen.
Im Museum der Anlage gibt es eine Stelle, die das Fromme und das Bunte, die Autorität und die Schönheit auf kleinstem Raum versammelt: Da hängt ein uraltes, prunkvolles Messgewand. Ein Symbol göttlicher Macht und irdischer Furcht. Dahinter leuchten die fröhlichen Tramuntana- Bilder von Guillem Gil. Beides gehört zusammen. Auf den Leinwänden sind die Dörfer und Berge nicht im prallen Sonnenschein zu sehen, sondern oft im Herbst und Winter. Wenn die Farben machen dürfen, was sie wollen. Wenn die Welt nicht einfach sonnenblau ist, sondern so vielfältig wie die Winde, die durchs Gebirge ziehen.
Magische Orte, uraltes Kulturland
Fast leer ist das Kloster um diese Jahreszeit. "Ein unheimlich friedvoller Ort", sagt Mia Siquier Crespi, die hier seit acht Monaten arbeitet. Religiös ist die 39-Jährige aus Sa Pobla eigentlich nicht, aber der Magie des Ortes könne sie sich nicht entziehen. Besonders mag sie den "Weg der Wunder", der hinaufführt zu einem großen Kreuz oberhalb der Anlage. "Die Aussicht ist umwerfend", sagt sie. "Ich liebe es, da hochzugehen." Die Tramuntana im Winter sei ohnehin ideal, um Abstand von der Welt zu gewinnen.
Besser als in Lluc gehe das höchstens noch in Sa Calobra. Der kleine Hafen im Norden Mallorcas ist im Sommer voller Touristen, die die Selbstbedienungsrestaurants plündern. Überall sind Radfahrer auf dem Weg zum Coll dels Reis über die spektakuläre Passstraße. Auch wenn die schmal und steil ist, kommen trotzdem irgendwie Reisebusse hierher. Nichts davon gibt es im Winter. Zwei Katzen – eine helle und eine dunkle – haben das Kommando in dem ausgestorbenen Hafen übernommen. Das Meer ist lauter als im Sommer, die Berge leuchten in der tief stehenden Sonne.
Irgendwann kommen dann doch noch Menschen. Sieben verwegen aussehende Spanier, darunter drei bärtige Feuerwehrleute. "Wir steigen die Schlucht hoch", sagt Esther, die Wortführerin der Gruppe. "Das wird großartig." Sie haben ein Schlauchboot dabei, mit dem sie den wilden Bach hinabfahren wollen. Niemanden werden sie dort treffen. Touristen erst recht nicht. Zum Abschied sagt Esther: "Keiner muss erfahren, wie schön es hier im Winter ist. In der Hochsaison ist allein das Parken so teuer, dass man es sich mit einem normalen Gehalt nicht oft leisten kann. Und jetzt: alles umsonst, völlige Ruhe."
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