Wer der Spur des ungekrönten Inselkönigs folgen möchte, muss sich ganz banal anmelden. Denn nur 50 Wanderwilligen ist es pro Tag erlaubt, auf den Pfaden von Erzherzog Ludwig Salvator von Habsburg und Prinz der Toskana zu wandeln. Ich habe Glück, und so spaziere ich den einstigen Reitweg des Adligen entlang bis zu seinem Mirador de ses Puntes im heutigen Naturpark Son Moragues.
Der exzentrische Großcousin des Kaisers von Österreich-Ungarn durchstreifte lieber in abgetragenen Leinenhosen die Natur, als am Wiener Hof herumzustolzieren. Er starb vor 101 Jahren, aber auf Mallorca blieb „s’Arxiduc“ ein königlicher Held. Als Wegbereiter des Tourismus machte er die Insel bekannt und gab ein Vermögen aus, um die halbe Westküste von Deiá bis Valldemossa samt Hinterland bis hinauf zu den Gipfeln der Tramuntana zu erwerben – in der Absicht, Kultur und Natur aufs schönste zu erhalten.
Zum Landsitz Son Marroig
Sobald die Mittagssonne nicht mehr brennt, mache ich mich auf den rund vierstündigen, durchaus anspruchsvollen Weg die Steilküste entlang zu Salvators Landsitz Son Marroig, heute ein Museum. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte sich lieber für eine Strandpromenade entscheiden. Unweit davon steht ein seltsames Tempelchen, das aussieht, als schwebte es waghalsig über dem Meer. Leicht und entrückt wirkt es in dieser wilden Umgebung mit seinem weißen Carrara-Marmor und den feinen Säulen. Der Naturschwärmer hat es aus Italien liefern lassen. Alles nur für diesen einen Blick: überwuchernde Kakteen, Macchia und eine schroffe Felsenlandschaft bis hinab zur winzigen romantischen Bucht Sa Foradada.
Vor dem Felsvorsprung mit dem berühmten Loch dümpeln zwei Segelboote. Damals ankerte dort seine „Nixe“, mit der der Weltenbummler gern über die Meere schipperte. Ab und zu machte auch die kaiserliche Jacht von Sisi fest. Die Kaiserin besuchte den Seelenverwandten gern auf Son Marroig. Sie liebte wohl das schöne alte Herrenhaus zwischen schäumendem Hibiskus und Palmen.
Ein Gebirge wird Weltnaturerbe
Nach und nach rettete Salvator ein Dutzend benachbarte Landgüter vor dem Verfall und erließ die Order: Kein Baum darf mehr fallen. In einer Zeit, als noch kaum ein Urlauber die unbekannte, arme Bauerninsel betreten hatte, erkannte der Kosmopolit den wahren Wert der Serra de Tramuntana. Der Gebirgszug ist heute Weltnaturerbe und streng geschützt.
Vielleicht, hatte der Parkwächter am Eingang mir Hoffnung gemacht, würde ich gleich sogar Mönchsgeier sehen. „An manchen Tagen kamen früher 400 Leute. Das hält die Natur nicht aus. Aber jetzt könnten die Vögel, die fast ausgestorben waren, wieder Ruhe zum Brüten finden.“
An Trockensteinmauern und knorrigen Olivenbäumen gehe ich stetig bergauf, an gekrümmten Steineichen und duftendem Kiefernwald, in dem halbwilde Ziegen meckern. Bei alten Kohlenmeilern stehen noch die Reste verfallener Wohngebäude – die Köhler wohnten früher direkt bei ihren rauchenden Meilern. Der Weg ist mit roten Punkten markiert, wo er sich verzweigt, kann ich mich an kleinen Steinpyramiden orientieren. Sogar alte Brunnen und Backöfen, konische Steingebilde, stehen noch auf der Hochebene Pla des Pouet.
Je weiter ich nach oben komme, desto besser ist der schmale, steinerne Reitweg zu erkennen. Längst ist es still um mich herum geworden, und eine milde Brise erfrischt mich auf dem Weg, der von Valldemossa immerhin einige hundert Höhenmeter bergauf führt.
Mein Ziel, der Höhepunkt, ist eigentlich ein Abgrund: Knapp 800 Meter tief stürzen die Felswände fast senkrecht ab. Damals ließ der Prinz aus Bruchsteinen an diesem Mirador, dem Aussichtspunkt, eine niedrige Mauer errichten und mit Zinnen bekrönen. Gerade wurde sie von Meistern des Trockensteinbaus fachmännisch renoviert. Die halbe Insel legte der Erzherzog den Reisenden an diesem Balkon in den Bergen zu Füßen: die Tramuntana, die Küste, Palma und das Meer.