Es ist jetzt drei Monate her, doch Ongama Mpuhlu geht es kaum besser. Mit eingefallenem Gesicht liegt er im Bett des Tygerberg Hospitals in der Nähe von Kapstadt. Die Schusswunden am Kiefer und am Oberkörper sind etwas verheilt, doch noch immer deckt ein großes Pflaster die Wunde am Bauch ab, dort, wo eine weitere Kugel in den Unterleib eintrat. Noch immer kann der 19-Jährige kaum sitzen, geschweige denn gehen – erzählen aber, das will er, was damals im November geschah.
Ongama ist der Sohn von Mpisekhaya Mpuhlu, einem der Mitgründer der Brotherhood Social Clubs. Die Männer und Frauen des Vereins versuchen Jugendliche in den Townships bei Kapstadt von einer Karriere in den Gangs fernzuhalten, die hier den Alltag dominieren. Drogen, Überfälle, Erpressungen, nur ein paar Kilometer vom Tafelberg und den Traumstränden Kapstadts ist Gewalt, ja auch Mord, Alltag.
Die Brotherhood versucht, die Jugendlichen davon fernzuhalten – mit einer ganz besonderen Methode: Mit ausgefallenen Designer-Anzügen und Tanz-Events gewinnen sie die Aufmerksamkeit der Teenager – um sie dann in langen Gesprächen auf den richtigen Weg zu bringen. In Not geratenen Familien hilft die Brotherhood auch mit Lebensmitteln oder Geld. Dabei wird der Verein von der Stiftung stern unterstützt.
Wie wichtig diese Aufgabe ist – und wir gefährlich allerdings auch, das zeigt die tragische Geschichte von Ongama. Es ist der 17. November 2021. Ongama ist gerade zu seinem Vater vor dem kleinen Haus im Township Kayelitsha ins Auto gestiegen. Die beiden sind nervös. Ein paar Tage zuvor hat jemand Werkzeug aus einem Schuppen hinter ihrem Haus gestohlen. Ein Junge aus der Nachbarschaft hatte es beobachtet. Er wollte Ongama und seinen Vater zu den Tätern führen – und wurde dann, mutmaßlich von den Kriminellen, ermordet. Vater und Sohn hatten den Mord aus der Entfernung mitbekommen. Und die Mörder des Informanten hatten das wiederum gesehen.
"Wir ahnten, dass Sie es nun auf uns abgesehen hatten. Wir waren ja Zeugen", sagt Ongama.
Sieben Kugeln trafen ihn
An diesem 17. November dann, kaum dass Sie im Auto saßen, stürmt ein Trupp Jugendlicher auf sie zu. Reißt die Fahrertür auf. Und schießt los.
Ongamas Vater bricht sofort zusammen. "Mich haben sie im Gesicht und am Bein getroffen. Ich konnte aber noch die Tür aufmachen, mich rausfallen lassen. Ich bin dann weggehumpelt, so gut es ging. Hinter mir habe ich die Schüsse gehört. Und gespürt, wie ich getroffen wurde. Ich habe mich Hintertür unseres Hauses geschleppt. Die war zu. Ich wollte aber nicht laut rufen – sonst hätten Sie mich ja gefunden."
Doch Ongama hat Glück: Die Angreifer verfolgen ihn nicht. Nachbarn finden den Schwerverletzten schließlich und bringen ihn ins Krankenhaus. In einer Not-Operation werden sieben Kugeln aus dem Körper geholt.
Sein Vater allerdings, Mpisekhaya Mpuhlu, einer der Gründer der Brotherhood, ist tot – getötet von jenen, vor denen er die Jugendlichen immer bewahren wollte.
Von der Polizei erwarten sie keine Hilfe
"Wir glauben nicht, dass es einen direkten Zusammenhang mit unserer Arbeit gibt", sagt Mncedisi Sogwangqa, der Präsident des Vereins, "normalerweise respektieren die Gangs uns Alte, so komisch das klingt. Sie sehen einfach keine zu große Gefahr in uns."
Sowanqqa ist sich sicher, dass es schlicht ein "normaler" Mord war, "wie es eben bei uns jeden Tag passiert. Unser Freund wurde getötet, weil er Zeuge bei einem anderen Mord war."
Sowqanqga, von allen nur "Izzy" genannt, sitzt mit seinen Mitstreitern im Halbdunkel seines kleinen Hauses in Samora Machel, einem der ärmsten und kriminellsten Townships bei Kapstadt. Sie überlegen, wie es weiter geht. Ongama wird noch Wochen im Krankenhaus bleiben müssen. Zurück nach Hause wird er kaum können – zu groß ist die Gefahr, dass die Gangster, die seinen Vater ermordeten, dann auch ihn erledigen wollen. Von der Polizei erwartet Ongama keine Hilfe. Die hat den Fall längst zu den Akten gelegt. Eben nur ein weiterer unaufgeklärter Mord.
So wie man sich kleidet, so verhält man sich
Die Männer der Brotherhood diskutieren die Möglichkeiten. Soll Ongama vielleicht zurück gehen in die Provinz Eastern Cape? Dorthin, wo einst sein Vater herkam? Aber was sollte er dort arbeiten? Der Kontrast zwischen den Männern, ihrem sorgsamen Abwägen und der ärmlichen Umgebung könnte in diesem Moment kaum größer sein. Im Zimmer stehen ein billiges Sofa aus Plastik, ein alter Schrank, ein paar wackelige Stühle – doch die Männer tragen Lederschuhe in Schwarz-Weiß-Muster, karierte Hemden, manche auch schicke Schiebermützen. Tweed im Township – das ist der Geist: So wie man sich kleidet, so verhält man sich. Gegenüber anderen, gegenüber sich selbst, eben mit Respekt.
Und auch das gehört zum Code des Vereins: Nicht aufgeben. Weitermachen. Die Männer diskutieren unter sich, und auch mit uns von der Stiftung stern – und dann ist da der Plan: Eine Tanzwettbewerb soll allen im Viertel zeigen: die Brotherhood ist noch da.
Eine Woche lang wird geplant. Eine Bühne wird organisiert, eine Musikanlage, auch ein Zelt, das Schatten spendet. Minibusse sollen die verschiedenen Gruppen aus den einzelnen Vierteln her transportieren, die lokale Presse wird informiert, eine Jury zusammengestellt.
Und dann, an einem Samstag Ende Februar, füllt sich die Straße vor Izzys kleinen Haus schon am Morgen, mehrere hundert Menschen drängen sich vor der Bühne, als die Männer der Brotherhood nach oben gehen und das Wort ergreifen. Sie erinnern an den getöten Mitstreiter, an Ongama im Krankenhaus. Aber auch an ihre Ideale, an die Ziele – und vor allem auch daran, dass weiter gehen muss.
Dann beginnt er Wettbewerb. Hiphopper wechseln sich ab mit einer traditionellen Xhosa-Gruppe, ein Duo singt, eine Kindergruppe singt und tanzt, ein paar Teanger zeigen Breakdance. Und die Zuschauer klatschen, sie jubeln und singen mit. Zum Sieger der Jury wird am Ende des Nachmittags eine kleine Tanzcombo namens "Mzukisi" gekürt – der eigentliche Gewinner ist aber der Brotherhood Social Club. Seine Ideale, sein Kampfgeist. Und damit auch: das ganze Viertel.