Die hohen Euro-Kurse der vergangenen Tage sind nach Einschätzung von Volkswirten eher eine Schwäche des Dollar. »Wir haben häufiger eine Aufwärtsbewegung des Euro gesehen«, sagt Michael Schubert von der Commerzbank. Wichtig ist, ob die Situation nun grundlegend neu bewertet wird und zum Beispiel dem hohen Leistungsbilanzdefizit der USA ein größeres Gewicht eingeräumt wird. Dazu kommt es aber nur, wenn die Ungewissheit über den US-Aufschwung anhält.
Irgendwann kommt Parität
»Wir bewegen uns in Richtung Parität«, sagt Uwe Angenendt von der BHF Bank. Wann diese erreicht wird, ist aber schwer vorherzusagen. »In der Regel ereignen sich Währungskonjunkturen immer relativ zügig.« Analysten sehen in dem Defizit der US-Leistungsbilanz, in der Furcht vor neuen Anschlägen in den USA und in geringeren Renditeerwartungen Gründe für Kapitalabflüsse aus den USA. Schubert geht nicht von einer Trendwende im Sinne eines nachhaltigen Anstiegs des Euro zum Dollar aus. »Ich erwarte nur einen leichten Anstieg des Euro.« Er rechnet mit optimistischeren Erwartungen für die US-Konjunktur. Erst 2003 wird dem Dollar die Luft ausgehen. Analysten verweisen darauf, dass die aktuelle Dollarschwäche sich vor allem in einer Stärke des japanischen Yen ausdrückt.
Skepsis über US-Konkjunktur entscheidet
»Obwohl sich der Aufschwung insgesamt und insbesondere der private Verbrauch als ausgesprochen robust erweisen und die Wachstumsprognosen aller Orten eher nach oben als nach unten angepasst werden, hält sich an den Märkten weiter hartnäckig die Angst vor einem Double Dip der USA«, schreibt Heinrich Engelke von der Bankgesellschaft Berlin in einem Kommentar. Unter »Double Dip« verstehen Volkswirte einen Rückfall in die Rezession nach einer kurzfristigen Erholung. Nach diesem Szenario wäre die derzeitige Erholung von dem ersten Einbruch nach den Anschlägen vom 11. September nur vorübergehend, und es es würde zu einem zweiten kräftigen Einbruch kommen. Für wahrscheinlich halten Analysten eine »U-förmige« Entwicklung, bei der auf eine Rezession eine langsame Erholung folgt. Darüber hinaus gibt es die »V-förmige« Erholung mit einem steilen Anstieg der Konjunkturkurve. Angenendt findet es erfreulich, dass der Euro trotz günstiger US-Konjunkturdaten steigt. »Der Trend wird wohl weitergehen.« Sein Kollege Schubert macht einen Trendwechsel von den Konjunkturerwartungen für die USA abhängig. »Allerdings steht weniger die Realwirtschaft, als vielmehr der Aktienmarkt im Mittelpunkt.« Er rechnet mit einer Erholung der US-Aktien. Angenendt hält dagegen: »Die Aktienkurse und die Renditen der Anleihen sinken und signalisieren damit die Sorge in Bezug auf einen US-Aufschwung im zweiten Halbjahr 2002.«
USA hat Finanzierungsbedarf
Wegen des hohen Defizits der US-Leistungsbilanz halten Volkswirte weitere Verluste des Dollar für möglich. In der vergangenen Rezession ist das Defizit kaum geschrumpft und nun wird wieder mit zunehmenden Fehlbeträgen gerechnet, sagt Angenendt. Das Defizit hatte sich 2001 erstmals seit sechs Jahren verringert, und zwar von 444,67 Milliarden Dollar im Vorjahr auf 417,43 Milliarden Dollar. »Eine Ausweitung des Defizits schafft einen größeren Finanzierungsbedarf der USA«, erläutert Angenendt. Ein mögliches Ventil, um diese Finanzierung zu sichern, ist eine Abwertung des Dollar. »Die Währung müsste so weit abgewertet werden, dass wieder eine Aufwertungserwartung entsteht und so wegen höherer Renditen wieder in Dollar investiert wird.«
Suche nach sicheren Anlagen
Wegen der Sorge vor neuen Anschlägen in den USA sowie vor einem Krieg zwischen Indien und Pakistan suchen Investoren nach Einschätzung der Analysten nach sichereren Anlagen. »Bei Anschlägen würde die Konjunktur ins Stocken geraten«, sagt Angenendt voraus. Engelke sieht die US-Regierung in dem Dilemma, entweder die Angst zu schüren oder sich dem Verdacht auszusetzen, Informationen zu verschweigen. Händlern zufolge untergraben die wiederholten Warnungen vor Anschlägen das Vertrauen, das für Investitionen in den USA nötig ist.
Europäer investieren wieder in der Heimat
Bereits seit Mitte 2001 ist Volkswirten zufolge eine Abnahme ausländischer Portfolioinvestitionen in den USA zu beobachten. Insbesondere die Europäer, die vermehrt auf US-Aktien und -Unternehmensanleihen gesetzt hätten, zögen sich zurück. Angenendt sagt mit Blick auf gefälschte Unternehmensbilanzen: »Die Enronitis führt dazu, dass Europäer ihr Geld verstärkt in die Euro-Zone zurückholen.« Allerdings warnt Angenendt davor, das Problem als rein amerikanisches anzusehen. Er verweist auf die Fälle von MLP und einigen Unternehmen des Neuen Marktes.
Giovanni Binetti