Geldkarte Das stimmt so!

Wer sie nutzt, der schätzt sie - die Geldkarte macht Schluss mit dem lästigen Kramen nach Kleingeld. Nur: Es nutzt sie kaum jemand.

Die Besucher des Gottesdienstes in der ehrwürdigen Hamburger Hauptkirche St. Jacobi können ihre Opfergabe statt mit Münzen oder Scheinen auch mit der Geldkarte leisten. Ein Terminal im Hauptportal sammelt die Kollekte elektronisch ein. Gläubige, die im weltlichen Leben Kunden der Deutschen Bank oder der SEB sind, müssen neuerdings aber wieder vermehrt mit Münzen klimpern. Denn auf vielen neuen EC-Karten dieser Kreditinstitute fehlt der Chip, der aus dem Stück Plastik eine digitale Geldbörse macht. "Nur fünf Prozent nutzen die Geldkartenfunktion", sagt SEB-Sprecher Kimmo Best, "ich persönlich auch nicht. Denn wo und wofür?"

Dabei sind in Deutschland rund 63 Millionen Geldkarten im Umlauf - statistisch gesehen hat also jeder Erwachsene mindestens eine. Aber kaum jemand kennt und nutzt sie. Meist unbemerkt kommt die Geldkarte huckepack auf der EC-Karte ins Portemonnaie - erkennbar nur am kleinen goldenen Chip vorn und dem blau-roten Logo auf der Rückseite. Der Chip funktioniert erst, wenn er mit Bargeld geladen wurde. Das geht an den meisten Geldautomaten und an speziellen Terminals, die in Kinopalästen, Burger-Buden und anderen Konsumstätten stehen. Bis zu 200 Euro nimmt der Chip an. Wer damit bezahlt, braucht keine Geheimnummer, keinen Ausweis, keine Unterschrift. Bei jedem Einsatz schrumpft das Guthaben auf dem Speicher. Ist es aufgebraucht, kann der Chip neu geladen werden - direkt vom Girokonto oder bar am Schalter.

Die Geldkarte soll bei kleinen Beträgen das Hartgeld ersetzen, etwa beim Bäcker, am Kondomautomaten oder im Bus. Die Parkhausschranken in mehr als 400 Städten lassen sich mit der Karte öffnen. Telefonieren an den neuen Telekom-Automaten geht nur noch mit Karte, entweder von der Telekom oder mit der Geldkarte. Gut für die Kunden, denn das lästige Kramen nach passenden Münzen fällt weg. Lohnend auch für Händler und Banken, die über die Bargeldlast stöhnen. So weit die schöne Theorie. In der Praxis blieb die vor acht Jahren beim Start der Geldkarte verkündete "Zahlungsrevolution" aus. Die Erfahrungen der Anbieter sind fast überall so wie die von Joachim Berger von den Kölner Verkehrsbetrieben. Obwohl die Kunden an vielen Fahrkartenautomaten in Köln wie auch in anderen Großstädten blitzschnell mit Geldkarte bezahlen können statt mühsam Münzen einzuwerfen, tut es kaum jemand. "Die Nutzung ist fast nicht messbar", sagt Berger.

Geldwert

Wenn die Hausbank keine Geldkarte ausgibt, ist Fremdgehen die Lösung: Einige Geldinstitute bieten Geldkarten, die nicht an ein Konto gebunden sind. Sie werden weiße Karten genannt, denn sie besitzen keine EC-Funktion. Jedermann kann so eine Karte bekommen, allerdings meist gegen Gebühr. Zehn Euro inklusive Versand kostet sie bei Bestellung im Internet unter www.geldkarte-shop.de. Das Bezahlen mit der weißen Karte läuft genauso wie mit der kontogebundenen Geldkarte. Aber geladen wird sie nicht am Geldautomaten, sondern gegen Bargeld am Bankschalter oder auch in Parkhäusern.

Ähnlich sind die Erfahrungen der Münchner Verkehrsbetriebe, die seit Frühjahr 2002 den Einsatz der Geldkarte mit einem bis zu 20-prozentigen Rabatt auf den Fahrpreis belohnen. Seitdem wird zwar fast doppelt so oft mit Plastikgeld gezahlt. Doch bleibt dessen Anteil am gesamten Automatenumsatz mit knapp vier Prozent sehr dürftig. Die Deutsche Bahn hat die Hoffnung schon aufgegeben: Deren Fernverkehrsautomaten nehmen die Geldkarte nicht mehr an. Auch beim Einzelhandel stößt das künstliche Kleingeld auf Ablehnung. Keine Supermarktkette akzeptiert die Geldkarte. Die Händler scheuen die Kosten für die technische Aufrüstung ihrer Kassen angesichts der geringen Kundennachfrage. Warum die Verbraucher zögern? Das Plastikgeld, so scheint es, ist ihnen nicht geheuer. Viele Bürger, fanden Sparkassen und Genossenschaftsbanken heraus, lassen ihre EC-Karte im Alltag zu Hause, aus Furcht davor, sie verlieren zu können. Die Geldkartenfunktion ist allerdings so sicher wie Bargeld: Unbefugte können maximal den aufgeladenen Betrag auf dem Chip ausgeben.

Vielleicht fehlt nur ein Einstiegsanreiz für den Einsatz, eine Funktion, die dem Karteninhaber den Vorteil eindeutig klarmacht. Die Raucher im oberbayerischen Dorfen konnten ein Jahr lang ihre Zigaretten an allen örtlichen Außenautomaten nur noch mit der Geldkarte bezahlen. Laut Bundesverband Deutscher Tabakwaren-Großhändler fanden über 60 Prozent der sanft Gezwungenen das Bezahlen mit der Karte "prima". Bis Ende 2006 sollen nun bundesweit rund 600.000 Zigarettenautomaten umgerüstet werden. Eine Gesetzesänderung der Bundesregierung könnte der Geldkarte zusätzlich nutzen: Wer von 2007 an Zigaretten ziehen will, muss belegen, dass er mindestens 16 Jahre alt ist. Da trifft es sich gut, dass die Sparkassen das Alter der Kartenbesitzer schon heute auf dem Chip speichern. "Und wer seine Karte sowieso in den Zigarettenautomaten stecken muss, der bezahlt auch gleich damit", hofft Volker Koppe von Euro-Kartensysteme.

Die Lobbyisten

müssen sich allerdings beeilen, denn der Fortschritt beim bargeldlosen Zahlungsverkehr könnte die Geldkarte verschlucken. Bezahlen per Telefon heißt ein neuer Trend. Wer in Bonn Busse oder Bahnen besteigt, kann seit Dezember 2003 sein Ticket per Handy kaufen. Einmal registriert, genügt eine SMS vor Fahrtantritt. Die Abbuchung läuft über die Mobilfunkrechnung. "In einem Monat haben wir gut 10.000 Handy-Tickets verkauft", sagt Werner Schui von den Stadtwerken Bonn. "Das ist die Zukunft."

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Udo Taubitz

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