Die Bezahlkarte für Geflüchtete soll es zwar erst im Sommer geben, aber die Diskussion darüber ist bereits entbrannt: Administrative Entlastung der Gemeinde, Bekämpfung der Schlepperkriminalität, sagen die einen. Diskriminierende Maßnahme, Überwachungssystem, sagen die anderen.
Seit August 2023 verfolgt Andrea Kothen, Referentin für Soziales bei der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, die politische Debatte zu dem Thema. Die Expertin hat nicht damit gerechnet, dass sich die Bundesländer auf der Ministerpräsidentenkonferenz schnell darauf einigen. Denn, so sagt sie: "Es gibt bereits gescheiterte Beispiele."
System einer Geldkarte für Asylbewerber: In Bayern lief es nicht gut
Alle Länder haben sich am Mittwoch auf gemeinsame Standards für die Einführung der Bezahlkarte geeinigt, bis auf Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. Gerade in Bayern sei das System einer Bezahlkarte schon einmal ausprobiert worden, sagt Kothen. "Damals hat es nicht gut funktioniert."
Kothen meint den "Kommunal Pass", den es von 2016 bis 2020 im bayerischen Landkreis Erding gab. Damals lief tatsächlich vieles schief. Im Supermarkt, in der Apotheke oder bei der Post konnten die Flüchtlinge mit der Karte nicht bezahlen – obwohl sie für alle möglichen Geschäfte einsetzbar gewesen wäre. Auch das Abheben von Bargeld, theoretisch ebenfalls als Funktion vorgesehen, war lange Zeit nicht möglich. "Ein Leben ohne Bargeld können sich auch Deutsche nicht vorstellen", sagt Kothen, "weil es viel eingeschränkter wäre."
Im Juni 2020 verschwand der "Kommunal Pass" endgültig, beim größten Finanzskandal der Bundesrepublik. Die Firma Sodexo hatte die bayerische Bezahlkarte verwaltet, die technische Abwicklung übernahm Wirecard.
Einschränkungen per Postleitzahl: Das Modellprojekt in Thüringen
Die nun geplante Geldkarte soll ohne Kontobindung funktionieren und bundesweit in allen Bereichen einsetzbar sein. Die Länder entscheiden selbst über die Höhe des auszahlbaren Betrags sowie weitere Zusatzfunktionen und können die Nutzung einschränken. "Alkohol soll man nicht kaufen können, Leberkäse schon, hat Markus Söder schon angekündigt", sagt Andrea Kothen mit Blick auf die Worte des bayerischen Ministerpräsidenten.
Wenn die Verwaltung für die Flüchtlinge entscheide, was diese kaufen dürfen, sei die Karte keine Geldleistung mehr, sondern eine Sachleistung, kritisiert Kothen. Pro Asyl kämpft seit Jahren gegen sogenannte Sachleistungen, denn die Organisation hält diese für diskriminierend, teuer und sinnlos. "Im Sozialrecht ist anerkannt, dass die Menschen selbst entscheiden sollen, was sie brauchen."

Beim derzeit laufenden Pilotprojekt in Thüringen sieht Kothen ein weiteres Problem: die räumliche Begrenzung. Immer wieder wird als Möglichkeit genannt, dass die Geldkarte nur regional genutzt werden kann. Das würde die Bewegungsfreiheit der Menschen einschränken: "Ich könnte damit zum Beispiel nur schwer Verwandte in einem anderen Teil Deutschlands besuchen", sagt die Expertin. Sie verweist auf das Beispiel Thüringen. Dort sind Pro Asyl Fälle bekannt geworden, in denen die Geldkarte nur für bestimmte Postleitzahlen freigeschaltet wurde. "Da kann ich schon im falschen Supermarkt am Ende der Straße Probleme an der Kasse bekommen", so Kothen.
Wie viel Geld ist ein Pull-Faktor?
Die Karte soll nicht im Ausland verwendet werden können. Sie soll auch verhindern, dass Flüchtlinge Geld an Verwandte oder Freunde im Ausland überweisen oder das Geld in den Händen von Schleppern landet. Das sieht Kothen anders: Die Schlepper ließen sich im Voraus bezahlen, und dafür verschuldeten sich ganze Familien, sagt sie, lange bevor sie überhaupt wüssten, ob der oder die Angehörige in Deutschland Sozialleistungen bekomme.
Wie viel Geld ist überhaupt ein Pull-Faktor? Die Summen sind sehr gering. Asylbewerber bekommen weniger als das Bürgergeld, insgesamt 460 Euro, um hier in Deutschland anfangs leben zu können. Daher verweist Kothen auf wissenschaftliche Studien, nach denen Geldtransfers in die Heimat überhaupt erst zu einem späteren Zeitpunkt realistisch seien, wenn die Flüchtlinge in Deutschland schon einen Job und damit ein Einkommen haben.
Die Karte könnte dennoch nützlich sein: Das Beispiel Hannover
In Hannover wird seit Herbst letzten Jahres ein ähnliches System getestet: die "Social Card". Andrea Kothen sieht in dieser ein positives Beispiel. Auf der Karte landen alle Sozialleistungen für Menschen, die kein eigenes Konto haben, nicht nur für Asylbewerber. Die Social Card kann uneingeschränkt in jedem Geschäft genutzt und Bargeld ohne Grenzen abgehoben werden. Die Transaktionen werden nicht kontrolliert. Der Oberbürgermeister von Hannover zeigt sich bisher zufrieden mit der Nutzung der Social Card. Wie Pro Asyl kritisiert Belit Onay die Pläne anderer Länder.
Gut am Beispiel Hannover findet Kothen auch, dass die Karte ein Zwischenschritt ist – bevor die Menschen ein eigenes Konto eröffnen können. Wenn dann die Sozialleistungen über normale Überweisungen dorthin fließen könnten, einige Kommune machen das bereits so. "Das würde die Kommune tatsächlich in ihrem Verwaltungsaufwand entlasten, nicht ein ganz neues System auf die Beine stellen zu müssen", so Kothen.
Welches System brauchen wir? Pro Asyl hätte eine Lösung
Was wäre sinnvoll? Die Asylsuchenden direkt ins Sozialsystem zu lassen, ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Wie bei den Flüchtlingen aus der Ukraine. "Die Unterscheidung der Flüchtlinge ist eines der größten Probleme unseres Systems", sagt Kothen. Man sollte den Leuten die Möglichkeit geben, ein normales Konto zu eröffnen, dann sollten sie eine Karte bekommen. Die Expertin von Pro Asyl hält das System für ausreichend vorbereitet. Sie sagt: "Wir brauchen nur ein neues Narrativ, das Geflüchtete nicht nur als Belastung darstellt."