Es ist mit dem Flugzeug nur eine Tagesreise von Deutschland in die südchinesische Tech-Metropole, doch mancherorts sieht Guangzhou aus, als sei man in der Zukunft gelandet. Vom seelenlosen Zentrum voller Glanzbauten, die 70, 80 oder 100 Stockwerke in die Luft ragen, geht es in eine aus dem Boden gestampfte Vorstadt – Knowledge City. Hier steht die mit Automatisierungstechnik zugestopfte Fabrik des jungen Auto- und Tech-Imperiums Xpeng, wo Menschen nur noch punktuell zum Zusammenbau der Autos beitragen. Am Ende des Bands spricht ein kleiner Mann darüber, wie alles bald noch schneller und wie von Geisterhand gelenkt passieren soll. "Ich glaube fest daran, dass jetzt eine neue Ära anbricht", sagt He Xiaopeng, Gründer der Firma, Multimilliardär und einer der wichtigsten Tech-Gurus im China von heute.
Er spricht von den menschenähnlichen Robotern, die sich in den kommenden zehn Jahren überall durchsetzen würden, "so erschwinglich wie heute ein Auto". Von Robotaxis. Flugautos. Und wie seine Firma Xpeng sich mit alldem in den nächsten Jahren auf der ganzen Welt durchsetzen müsse. "Nur dann werden wir gewinnen."
Man kennt das von Elon Musk: Der Tesla-Boss stellt ähnlich fantastische Dinge seit Jahren in Aussicht, nur dass es dann stets doch nichts wird oder wenigstens sehr viel länger dauert. Doch der Mann aus China schafft es, dass man seine Versprechen nicht so leicht abtut wie die Prahlereien und haltlos gewordenen Ankündigungen Musks. He Xiaopeng wartet im Sitzen, sich mit den Händen an den Knien festhaltend, auf seinen Auftritt, im Gesicht ein meditativer Ausdruck. Die Gesten sind zurückhaltend. Danach tritt er beiseite und blickt nach unten, obgleich seine Leute noch eine weitere Rolle für ihn auf der Bühne vorgesehen haben. Kein Vergleich zu Musk! Wie ein Siebtklässler in der Aula absolviert He seine Rolle im eigenen Werk. Dabei geht es immerhin um das einmillionste Fahrzeug von Xpeng. Unwillkürlich denkt man an die Bilder mit Hunderttausenden im Werk in Wolfsburg, als VW 1955 sein millionstes Auto vom Band rollen ließ. Es war die Stunde des deutschen Wirtschaftswunders.
Xpeng sollte das chinesische Tesla werden
Die Rolle von Xpeng für Chinas Tech-Wunder ist nicht ganz vergleichbar, aber in mancher Hinsicht doch. Und als He Xiaopeng die Firma 2014 startete, ließ sich der Gründer noch gern mit Musk vergleichen. So sehr eiferte er mit seinen Autos Tesla nach, dass manche ihm Plagiate vorwarfen. Anders als Musk hat He aber nie offensiv die Nähe zur Macht gesucht. Klar, sichtbare Distanz zum Regime kann sich kein Unternehmer in China leisten. Auch nahm Xpeng Kredite von Staatsbetrieben und Bürgschaften von der Region. Aber andere Gründer in China fallen durch größere Ergebenheitsadressen auf. Musk scheint hier schon gar nicht Vorbild, auch bei den Autos nicht mehr. Längst vorbei die Zeit, als man von Plagiaten sprach. Heute sind sie den Urteilen vieler Experten zufolge denen von Tesla voraus.
Aber muss man deshalb gleich Hes Versprechen von einer roboterisierten Welt glauben? Probe aufs Exempel, am Steuer eines Xpeng P7+, des Flaggschiffs der Firma. Rein formal ist das noch kein autonomes Auto: Das Gesetz in China gebiete noch, dass man die Hände am Steuer lässt – aber im Grunde könne das Fahrzeug alles allein, erklärt der vom Hersteller angeheuerte Fahreinweiser. Es reiche, alle fünf Minuten übers Volant zu streichen. Der Mann ist ein gutes Beispiel für die neuen Vorlieben von Chinas junger Mittelschicht: Er bewegte lange große Boliden der Mercedes-Tuningmarke AMG. Dann aber erkannte er, dass robotisiertes Elektrofahren made in China mehr auf der Höhe der Zeit sei als Herumdröhnen made in Germany.
Hände in den Schoß, Gasfuß zum Sitzgestell, der P7+ setzt sich in Bewegung. Wie ein Fisch durchs Wasser bewegt sich die Karosse durch den dichten Verkehr der 15-Millionen-Metropole. Nicht einmal eingreifen muss man, nur ab und zu sanft das Lenkrad berühren. Bei einer zweiten Runde zeigt der P7+ doch Unsicherheiten: rauscht fast in eine E-Moped-Fahrerin, die Ladung über den Fußgängerweg balanciert. Und überholt rowdyhaft rechts auf dem Highway über die gesperrte Busspur. Das dürfte die von He gepriesene KI-Steuerung sein: Das Auto, heißt es, orientiere sich nicht nur an den Signalen von Radaren und Kameras. Es lerne auch von der Fahrweise der anderen. Im Guten wie im Schlechten.
Auch wenn es nicht immer die gewünschten Folgen haben mag – es sind Fähigkeiten wie diese, die Xpeng zum weltweit beneideten Vorreiter machen. Nicht nur in puncto KI und autonomes Fahren. Es geht um das sogenannte softwaredefinierte Fahrzeug, eine Kompetenz, die laut Experten darüber entscheidet, welche Autobauer überhaupt noch eine Zukunft haben. Autos vereinen dann nicht mehr zahlreiche Steuergeräte für unterschiedliche elektronische Funktionen im Motorraum. Stattdessen steuern ein oder zwei Zentralrechner alles: Bremse, Lenkung, Batterie, Infotainment, Navigation. Klingt simpel, verändert aber Autobau und -konstruktion von Grund auf. Man braucht ein Betriebssystem, das alles lenken kann. Wer es nicht hat, so Dennis Röhr, Partner der auf die Autoindustrie spezialisierten Unternehmensberatung Berylls, "den werden Kosten und Komplexität irgendwann erdrosseln". Xpeng fährt hier laut dem Analysehaus Gartner sehr weit voraus, steht neben Tesla und einer Handvoll anderer China-Hersteller an der Spitze. Deutsche Autobauer, selbst BMW und Mercedes, hängen laut Dörr mindestens eine Fahrzeuggeneration hinterher.
Er ist VW weit voraus. Deshalb kaufen die Deutschen bei ihm ein
So kam es, dass sich vor drei Jahren VW bei Xpeng einkaufte. Die Firma, die erst seit sieben Jahren Autos baut, als Entwicklungshelfer des Weltkonzerns, der sein millionstes Auto vor 70 Jahren feierte. Xpeng liefert, von Karosserieform und Innenraumdesign abgesehen, die komplette Autoentwicklung und kassiert dafür über den schon gezahlten Einstiegspreis von 700 Millionen Euro hinaus weitere Hunderte Millionen an Lizenzgebühren. Dafür erhielten die Deutschen als Erste die neue Version des Xpeng-Betriebssystems, sagt Xpeng-Vize Brian Gu in Guangzhou. Und obendrein die von der Firma selbst entwickelten Halbleiterchips mit enormer Rechenleistung, angeblich auch ideal für KI. Dass ein Autobauer selbst Chips entwickelt, ist ein Novum in der Branche. Freilich gilt der Pakt nur für VWs China-Geschäfte, die ohne ihn ganz wegbrechen könnten.
Wenn sich He Xiaopeng und VW-Chinavorstand Ralf Brandstätter sehen, herzen und umarmen sie sich. "Mit dem treffe ich mich regelmäßig", sagt Brandstätter. Man gehe dann tief in die Themen, He stecke in jedem Softwarethema: "Er ist CEO und gleichzeitig auch Techie." Geschäftliche Themen überlässt He, bis heute Programmier-Nerd, gern seinem versierten Vize. Fragt man Chefingenieur Jackie Gu nach der Rolle He Xiaopengs, sagt er trocken: "Er setzt die Ziele, ich muss sie erreichen."
He Xiaopeng: Vom Programmierer zum eigenen Imperium
Die Karriere des 48-Jährigen (der jünger wirkt) begann in Guangzhou mit dem Bachelor in Computerwissenschaften. Als Programmierer beim Staatsbetrieb Asiainfo sollte er bald darauf ein E-Mail-System entwickeln, träumte aber wohl schon damals von der Selbstständigkeit. Mit engsten Kollegen gründete er 2004 eine Firma, die den populärsten Browser Asiens entwickelte, UCWeb. 2014 verkauften sie an Chinas Webkonzern Alibaba, von umgerechnet 4 Milliarden US-Dollar war die Rede. He blieb bei Alibaba, bis ihn der Traum vom Auto weiterziehen ließ. Ein Traum, der laut Berichten entstand, nachdem He einer der ersten Tesla-Käufer im Land geworden war. Er selbst wird damit zitiert, dass ihn die Geburt seines zweiten Kindes auf die Idee gebracht habe – er habe dem Sohn erzählen wollen, dass er Autos baut. Die ersten Geldgeber von Xpeng sind Alibaba, Apple-Fertiger Foxconn und Lei Jun, ein anderer gefeierter Internetmilliardär. Lei ist der Gründer der Handyfirma Xiaomi. Die baut heute auch Autos – die zu den begehrtesten im Land zählen und ähnlich fortschrittlich sind wie die Xpeng-Mobile. An den Börsen in Hongkong und New York wirbt He weitere Milliarden für den Aufbau seines Imperiums ein.
Die bringen Xpeng bis dato über eine lange Durststrecke. Technischer Vorsprung bedeutet auf dem mörderisch umkämpften Automarkt Chinas nämlich nicht zwingend auskömmliche Geschäfte. Die Lage werde besser, versichert Konzernvize Gu dem stern, "aber es wird noch einige Zeit brauchen". Immerhin will Xpeng 2026 erstmals keinen Verlust mehr machen. "Wir tun hoffentlich das Richtige, um im Wettbewerb vorn zu bleiben", so Ex-Investmentbanker Gu im Gespräch.
Aber um der Misere zu entkommen, muss Xpeng international mehr verkaufen. Neuerdings werden die Autos für Europa im österreichischen Graz montiert, um die China-Zölle der EU zu umgehen. Doch den Deutschen chinesische E-Autos verkaufen? Das bleibt zähe Aufbauarbeit.
Die Mühe im Autobusiness dürfte auch ein Grund dafür sein, dass He sein Unternehmen seit geraumer Zeit als KI-Firma präsentiert – und die Roboter in den Mittelpunkt stellt. Auch darin ist er Musk nicht unähnlich. Aber anders als Teslas "Optimus" ist Hes Roboter "Iron" noch nicht öffentlich umgefallen. Als er den Maschinenmenschen jüngst auf großer Bühne zeigte, schwärmte He, dass dieser "wie auf dem Laufsteg" gehe. "Iron" war in diesem Fall eher eine Roboterin, mit weiblichen Zügen. Und trat dabei so lebensecht auf, dass mancher Beobachter – wie bei Musks "Optimus" – vermutete, es handle sich um ein Kostüm, in der Roboterin stecke doch in Wahrheit ein Mensch. Woraufhin Hes Leute noch auf der Bühne "Irons" Schienbeinverkleidung aufschnitten, um die Konstruktion darunter zu zeigen. "Iron" sei noch in der Erprobungsphase, dennoch laufe ab April die Massenproduktion an, versicherte He.
Ähnlich viel Tempo macht er beim Flugauto, auch hier soll die Produktion 2026 beginnen. Dabei ist noch nicht absehbar, ob es irgendwo eine Genehmigung für das Gerät gibt und wann erste Exemplare an Kunden gehen. Auch handelt es sich um kein fliegendes Auto, sondern um eine Konstruktion, die sie hier "modulares Flugauto" und "Landflugzeugträger" nennen: ein Van-artiges Gefährt, das eine zweisitzige Flugdrohne zum Start transportiert. Aber auch damit wären sie weit vorn. Fest steht: Ob Roboter oder Fliegerei, schon bald wird He zeigen müssen, dass er anders als Musk seine Versprechen einlöst. 2026 werde ein entscheidendes Jahr, sagt er nur. Und lächelt sein sparsames Lächeln.