Unternehmenschefs Personalberater Heiner Thorborg: "Es gibt so viele Narzissten da oben"

Heiner Thorborg in seinem Büro
Immer hoch hinaus: Mitten im Frankfurter Bankenviertel hat Thorborg sein Büro
© Katrin Binner / stern
Kaum einer kennt Deutschlands Führungselite so gut wie Heiner Thorborg. Der legendäre Personalberater hat viele Chefposten besetzt – und fällt ein harsches Urteil.

Herr Thorborg, vor 30 Jahren gab es einen Bestseller, der sich mehr als eine Million Mal verkauft hat: Günter Ogger, ein ehemaliger "Capital"-Redakteur, bezeichnete deutsche Manager als "Nieten in Nadelstreifen". Hat sich seitdem nichts verbessert? 
Es gibt immer noch viele Nieten. Statt Lederschuhen tragen sie heute Sneaker. Aber das macht es ja auch nicht besser.

Welches Rezept schlagen Sie vor?
Ich weiß auch nicht, was gegen die Mittelmäßigkeit wirken könnte. Es gibt so viele Narzissten da oben. Und solange die oben sind, wird sich nichts ändern.

Heiner Thorborg

Heiner Thorborg, 81, ist einer der prominentesten Personalberater in Deutschland. Sein Handwerk lernte er beim Branchenführer Egon Zehnder, bevor er sich 1989 selbstständig machte und zahlreiche Stellen in Vorständen und Aufsichtsräten besetzte. 2007 gründete Thorborg das Netzwerk "Generation CEO", um Frauen für Führungsposten sichtbarer zu machen.

Wird man Narzisst, wenn man oben ist? Oder muss man Narzisst sein, um hochzukommen?
Wenn Sie nicht schon sehr früh Ihre narzisstischen Eigenschaften zeigen, dann wird das nichts mit der Karriere. Sie müssen eitel sein – und machthungrig.

Die Stimmung in Deutschland ist schlecht wie lange nicht. Sie kennen sich wie kein Zweiter mit der hiesigen Führungselite aus. Wer könnte uns aus der Krise helfen?
Ich hatte große Hoffnungen in Friedrich Merz gesetzt, zumal ich ihn persönlich kenne. Für mich als Personalberater wie auch als Wähler ist bei einem Kanzler Kompetenz zwar wichtig, aber ausschlaggebend ist die Persönlichkeit.

Klingt, als komme jetzt Kritik.
Merz ist kein Menschenfänger.

Muss man das sein, um in Krisenzeiten erfolgreich zu regieren und zu managen?
Ja. Mich hat Heinz Dürr beeindruckt. Als er in den 90er-Jahren Chef der Deutschen Bahn wurde und ich sein gesamtes Topmanagement neu besetzen sollte, gab es eine Gehaltsobergrenze, die aus heutiger Zeit geradezu lächerlich wirkt. Der Vorstandschef verdiente maximal 300.000 D-Mark pro Jahr, die Ebenen darunter entsprechend deutlich weniger. Das war so wenig Geld, dass man nur Menschen rekrutieren konnte, die für die Sache brannten.

Was macht eine starke Führungspersönlichkeit aus?
Ohne Empathie geht gar nichts.

Das ist ein gern benutztes Wort. Was verstehen Sie darunter?
Wertschätzung, Wärme, Zuwendung. Und die Fähigkeit, zuhören zu können. Die meisten Topleute reden die ganze Zeit, senden also nur. Das ist fatal.

Der Richtige an der Spitze ist die Voraussetzung für Erfolg?
Er ist eine notwendige Voraussetzung, aber keine hinreichende. Der Richtige ganz oben muss sich auch das richtige Team zusammenstellen. Wie gut ein CEO ist, erkennen Sie schnell an seinem Führungskreis.

Inwiefern?
Erstklassige Chefs holen sich erstklassige Leute, um noch besser zu werden. Zweitklassige Chefs stellen dagegen drittklassige ein. Dass die anderen noch schlechter sind als sie, ist ihre Überlebensgarantie.

Thorborg mit den Redakteurinnen Sven Böll und Jenny von Zepelin
Thorborg (M.) mit den Redakteuren Jenny von Zepelin und Sven Böll beim Interview in Frankfurt
© Katrin Binner / stern

Und wie finden Sie angesichts dieser Formel das Kabinett von Friedrich Merz?
Mir ist bewusst, dass es bei der Auswahl von Ministern viel zu beachten gibt, etwa die unterschiedlichen Parteien in einer Koalition. Aber ich bin mit Sicherheit nicht der Einzige, der beim Betrachten des politischen Spitzenpersonals in Berlin nicht gleich in Ehrfurcht erstarrt.

Ist es nicht wohlfeil, wenn Manager ständig auf Politiker und deren Fehler zeigen? Schließlich haben viele Firmen auch gern und lange auf billiges russisches Gas zurückgegriffen und wie verrückt nach China exportiert.
Wir alle sind eingelullt worden. Da war dieses "Alles ist gut"-Gefühl, die Hoffnung auf ewigen Frieden und einen nicht enden wollenden Wirtschaftsboom. Immerhin wacht nun einer nach dem anderen auf. Was mir aber fehlt, ist ein gemeinsames Unterhaken aller Beteiligten – und Geschwindigkeit bei den notwendigen Reformen.

Wer müsste schnell sein und einfach mal machen?
Das können nur die tun, die an der Spitze der Regierung oder von Unternehmen stehen. Wenn ich Siemens-Chef wäre, dann hätte ich eine Meinung, die ich öffentlich äußern würde. Ich würde mir die Politiker vorknöpfen und Rahmenbedingungen einfordern, in denen wir erfolgreicher arbeiten können.

Der frühere Siemens-Chef Joe Kaeser war einer der wenigen Manager, die sich laut und deutlich positioniert haben.
Bei Joe Kaeser bin ich gespalten. Ich halte ihn eher für einen Opportunisten. Denken Sie nur daran, als er die Klimaaktivistin Luisa Neubauer in den Aufsichtsrat von Siemens Energy holen wollte. Er konnte das doch nicht ernst gemeint haben.

Was ist Ihre Vermutung?
Die meisten Wirtschaftsführer sind nicht mutig. Sie sagen deshalb, was populär ist. Auch beim Thema Frauen. Nach außen sind sie alle die ganz großen Frauenförderer. Und wenn die Kamera aus ist, fallen sie wieder in die alten Muster.

Bislang galt der Grundsatz: "The business of business is business." Das heißt: Manager sollten sich auf das operative Geschäft konzentrieren und den Gewinn für ihre Aktionäre maximieren.
Wer eine Führungsposition hat, trägt eine Verantwortung. Deshalb muss man sich auch politisch positionieren und den Mund aufmachen – etwa gegen die Radikalisierung am rechten Rand.

Vor Kurzem wagte der Verband der Familienunternehmer den Vorstoß, die Brandmauer zur AfD einzureißen, dann korrigierte er seine Position wieder. Zu Recht?
Natürlich. Ein engeres Verhältnis zur AfD wollen vielleicht ein paar verrückte Funktionäre, damit sie mal wieder Schlagzeilen machen. Aber was dieser irrelevante Verband losgetreten hat, war doch Wahnsinn. Ich konnte mir von Anfang an nicht vorstellen, dass das unter Familienunternehmen mehrheitsfähig ist.

Wir fassen zusammen: Sie wünschen sich Manager und Unternehmer, die Verantwortung übernehmen, aber keinen Quatsch erzählen.
Ja, ich erwarte, dass sie Haltung zeigen. Es ist doch so: Die Menschen sehnen sich nach Vorbildern. Früher gab es die auch. Aber wo sind all diese Vorbilder heute hin?

Welche Vorbilder gab es früher?
Zum Beispiel Alfred Herrhausen. Der Deutsche-Bank-Chef, der von der RAF ermordet wurde, war nicht der emphatischste Mensch. Aber er hatte eine klare Meinung. Und wurde entsprechend in der Politik gehört.

Diesen Einfluss hat er dann wiederum für die Deutsche Bank geltend gemacht.
Das finde ich legitim. Der Vorstandsposten war schließlich sein Hauptjob.

VW-Chef Blume hat das Wort Vorbild nie gehört

Was sich in den vergangenen Jahrzehnten auch geändert hat: die Bezahlung von Managern. VW-Chef Oliver Blume verdiente zuletzt mehr als das 20-Fache des Kanzlers. Was macht ihn so viel besser als Friedrich Merz?
Das frage ich mich auch. Herr Blume macht eigentlich nichts gut.

Selbst wenn: Würde das solche Managergehälter rechtfertigen?
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Was soll die Frage? Nehmen Sie es doch einfach als gegeben hin, dass Manager so viel verdienen. Da können Sie diskutieren, rumjaulen und sogar wütend werden – das ändert alles nichts. Also müssen wir nicht drüber sprechen.

Jetzt machen Sie es sich aber arg einfach. Es gibt doch nicht nur einen Vertrauensverlust in das politische Spitzenpersonal, sondern auch in die Wirtschaftselite. Und da spielt die abgehobene Bezahlung eine Rolle.
Das mag sein. Aber für mich ist viel entscheidender, dass das Fehlverhalten von Topmanagern keine Konsequenzen hat. Ich hätte Herrn Blume längst die Rote Karte gezeigt. Bei VW wurde angesichts der Krise der Beschluss gefasst, dass es keine Porsche mehr als Dienstwagen gibt. Gelten sollte es für alle, nur nicht für den Vorstand. Dieser Mann hat das Wort Vorbild offenbar noch nie gehört. Er hätte sagen müssen: Klar ist, dass wir als Vorstand anfangen und auf Porsche als Dienstwagen verzichten.

Fallen Ihnen andere Negativbeispiele ein?
Viele. Zu viele. Können Sie sich noch erinnern, als der damalige Adidas-Chef Kasper Rorsted in der Coronakrise erklärt hat, sein Unternehmen wolle keine Miete mehr für die Läden zahlen? Als ich das gehört habe, dachte ich: Der gehört fristlos entlassen.

So kam es auch etwas später.
Ja, aber zu spät.

Was sehen wir noch, wenn wir durchs Schlüsselloch in die Welt der Topmanager gucken?
Sprechen wir über Lufthansa-Chef Carsten Spohr.

Gerne.
Er ist völlig abgehoben. Ich glaube nicht, dass er sich für seine Kunden interessiert.

Warum?
Spohr ist absolut nicht kundenorientiert. Ich bin Vielflieger und war eines der ersten Lufthansa-Mitglieder im exklusiven HON Circle – und damit einer der besten Kunden der Welt. Trotzdem gab es auf meine Kritik nur eine vorgestanzte Rückmeldung, die wahrscheinlich per künstlicher Intelligenz erstellt wurde. Mich wundert nicht, dass der Service bei der Lufthansa so mies ist. Das wird von oben vorgelebt.

Ist denn immer der Vorstandschef schuld?
Manchmal haben gleich mehrere Figuren ihren Anteil. Eines der größten Managerversagen in der deutschen Geschichte gab es bei Bayer. Der Kauf des hochumstrittenen US-Agrarkonzerns Monsanto 2018 hat dieses einst so stolze und wertvolle Unternehmen fast zugrunde gerichtet. Was muss damals in den Köpfen dieser karrieregeilen Typen vorgegangen sein, dass sie in dieser Akquisition jemals eine Chance gesehen haben? So blöd kann man eigentlich nicht sein.

Sie urteilen hart: Der eine Manager kann nichts, der andere Vorstand hat versagt.
Ich kann doch nichts dafür.

Aber Sie waren einer der Königsmacher, haben also vielen von denen, die Sie nun kritisieren, die Karrieren erst ermöglicht.
Im Kern ist der Mensch ein einfaches Wesen. Je mehr Geld er hat, desto geldgieriger wird er. Und je mehr Macht er hat, desto machthungriger wird er. Dann überschreitet er auch schon mal Grenzen. Und wird blind für die Realitäten. Anders kann man doch nicht erklären, dass gestandene Manager auf René Benko reingefallen sind.

Der gefallene österreichische Immobilienmogul soll seine Verhandlungspartner charmant umgarnt haben.
Als Topmanager sollten Sie Hochstapler allerdings erkennen. Ich wäre auf Benko nicht reingefallen. Dem hätte ich nicht mal fünfzig Cent gegeben.

Woran erkennen Sie Hochstapler?
Das fängt oft schon bei Äußerlichkeiten an. Da bin ich sehr sensibel. Es gibt Leute, die haben nicht mal beim Rasierwasser Geschmack. Das stinkt derartig, dass Sie am liebsten aus dem Raum stürmen wollen. Aber bei diesen Typen ist alles protzig: hier die größte Uhr, da das größte Auto.

Sie fahren gern Ferrari. Das ist nicht das, was einem bei Bescheidenheit als Erstes einfällt, oder?
Jeder Mensch hat Schwächen. Entscheidend ist, was man aus Fehlern lernt und aus Niederlagen macht.

Ursprünglich hatten Sie den Wunsch, Vorstand zu werden. Nagt es noch an Ihnen, dass daraus nichts geworden ist?
Nein, dann wäre ich schon lange im Ruhestand und würde mit 81 Jahren nicht mehr mit Ihnen sprechen. Da kann ich nur sagen: Ich bin meinem Schicksal sehr dankbar, dass es so gelaufen ist.

Sie wollen im nächsten Jahr ein Buch veröffentlichen. Wird das eine Art Neuauflage der "Nieten in Nadelstreifen", also eine Generalabrechnung?
Dieses Buch entsteht gerade in meinem Kopf. Mehr möchte ich noch nicht dazu sagen.

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