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Gabrielle Rütschi "Der Streit ums Erbe zerreißt Familien" - Psychologin spricht über ihre erschütterndsten Fälle

Gabrielle Rütschi ist Psychologin und systemische Therapeutin in Zürich. Ihr Buch "Erben - Büchse der Pandora" ist im Buchhandel und online erhältlich
Gabrielle Rütschi ist Psychologin und systemische Therapeutin in Zürich. Ihr Buch "Erben - Büchse der Pandora" ist im Buchhandel und online erhältlich
© Vesna Gajic
Die Psychologin Gabrielle Rütschi hat ein Buch darüber geschrieben, wie der Streit ums Erbe Familien auseinanderreißt. Im Interview berichtet sie von den erschütterndsten Dramen - und wie man diese verhindert.

Frau Rütschi, Sie sind Psychologin und Familientherapeutin. Warum haben Sie ein Buch zum Thema Erben geschrieben?

In meiner beruflichen Praxis erlebe ich sehr viel Bitterkeit in Familien. Und wenn ich nachfrage, stecken sehr oft Erbgeschichten dahinter. Ungerechtigkeiten, Kränkungen kommen zum Vorschein - und man merkt, wie brüchig Familienwerte sind. Der Streit ums Erbe zerreißt Familien.

Sie haben reale Streitfälle zusammengetragen, die sich wie Kurzkrimis lesen. Welche Geschichte hat Sie besonders erschüttert?

Zum Beispiel die Schweizer Familie, die sich über ein Haus in der Provence völlig zerstritten hat. Die habe ich sehr gut gekannt, anständige Leute aus einem bürgerlichen Elternhaus. Der Vater Chefarzt, eine heile Familie. Doch als der Patriarch gestorben ist, sind Fairness und Loyalität komplett verloren gegangen. Es gab in der Familie keine Streitkultur, weil Konflikte nie ausgetragen wurden, um eine heile Fassade aufrechtzuerhalten.

Was ist der häufigste Grund dafür, dass Erbstreitigkeiten eskalieren?

Der häufigste Grund ist, dass alte Geschichten wie Verletzungen, Kränkungen, Bevorzugungen wieder aufbrechen. Das geht oft zurück bis in die Kindheit, wo sich ein Geschwisterteil ungerecht behandelt fühlte. Diese Geschichten brechen auf, wenn der verstorbene Elternteil als kontrollierendes Element nicht mehr da ist. 

Also geht es oft eher um eine emotionale Abrechnung als ums Geld?

Meistens um Beides: Über das Materielle wird emotional abgerechnet. Manchmal geht es auch nur um etwas Symbolisches, was gar nicht so viel Wert hat. Ein spezielles Bild zum Beispiel, das die andere Person auf keinen Fall bekommen soll.

Welche Rolle spielen missgünstige Angeheiratete, die den Konflikt von außen in die Familie tragen?

Durch Partnerschaften verschieben sich die Dynamik in der Familie und oft auch die Machtverhältnisse. Ich schildere zum Beispiel eine Geschichte von zwei Schwestern, in der der Freund der einen versucht, sehr viel Macht zu bekommen und den Erbstreit überhaupt erst auslöst. Das ist ein typisches Phänomen.

In einem anderen Fall tyrannisiert der machthungrige Bruder seine fünf Schwestern und reißt ein Großteil des Erbes an sich. Ist das eine typische Verteilung der Geschlechterrollen?

Das würde ich so nicht sagen. Es gibt zwar einen Gender-Aspekt, weil sich Frauen immer noch weniger um die Finanzen kümmern. Aber die Frauen können genauso gut die Bösewichte in Erbgeschichten sein wie die Männer - sei es die missgünstige Schwiegertochter oder die junge Geliebte, die sich das Alleinerbe des Alten unter den Nagel reißt. 

Waren Sie selbst manchmal überrascht, welche menschlichen Abgründe sich bei dem Thema auftun?

Ich staune schon, wie unverfroren manche Erben Vermögen an sich reißen. Wie ältere Menschen, die hilfloser werden, jahrelang emotional beeinflusst werden. Da ist zum Beispiel ein Kind,  das sich um die kranke Mutter kümmert, oder ein Verwandter oder Betreuer, der die Abhängigkeit und Hilflosigkeit der Situation ausnützt, und dabei sehr manipulativ den eigenen Nutzen verfolgt. So werden Schenkungen und Verfügungen erschlichen und eine lebenslang gemachte Nachlassplanung kurz vor dem Tode verändert. Die Erben werden so ausgebootet. Und weil der alte Mensch Angst vor Isolierung und Liebesentzug hat, macht er mit.

Was kann ich als Erblasser tun, um zu verhindern, dass es zum Kampf ums Erbe kommt?

Das Testament sollte klar und formal korrekt formuliert sein. Die Hälfte der Testamente sind nicht korrekt und bieten Raum für Interpretationen und Streitigkeiten. Dann sollte das Testament unbedingt offiziell beim Notar hinterlegt werden. Denn Testamente, die einfach nur in der Schublade liegen, verschwinden - oder jemand lässt sie verschwinden. Das kommt immer wieder vor. Und dann beginnt der Krieg ums Erbe.

Viele Leute machen auch gar kein Testament. Stehlen sich diese Menschen aus der Verantwortung?

Gar kein Testament zu machen, halte ich für eine sehr schlechte Lösung. Wer so handelt, scheut häufig die Diskussion darüber, wer was bekommen soll. Umso größer kann der Konflikt dann hinterher sein, zum Beispiel wenn vorherige Begünstigungen nicht verrechnet werden. Es entstehen leicht Enttäuschung und Bitterkeit zwischen den Hinterbliebenen und das will ja auch kein Vater und keine Mutter. Das Testament ist die letzte Verantwortung, die man übernehmen muss im Leben.

Haben Sie persönlich Angst, dass es mal Streit um Ihr Erbe geben wird?

Ich habe mit meinen beiden Söhnen sehr offen darüber gesprochen, was geschehen soll, wenn ich mal sterbe. Ich habe immer alles fair verteilt. Wenn der eine etwas fürs Studium gebraucht hat, habe ich dem anderen die gleiche Summe zukommen lassen. Ich habe meine Vollmachten mit beiden Kindern diskutiert und das Testament beim Notar hinterlegt. Das sind alles gute Voraussetzungen, dass mein Erbe nicht zum Kampffeld wird. Aber garantieren kann es einem niemand. 

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