Zum Glück, sagt er, hat er sich immer an seine Lieblingsweisheit gehalten: Miss nie die Höhe eines Berges, bevor du ihn erklommen hast. Sonst stünde Klaus Voßenkaul, 38, jetzt womöglich nicht in dieser frisch gestrichenen Fabrikhalle, sondern säße noch immer auf einem sehr sicheren Arbeitsplatz an der Hochschule. Und das wäre bedauerlich.
Um zu zeigen, womit die Aachener Firma Puron den Weltmarkt erobern will, legt Voßenkaul einen roten Hebel um: eine Pumpe beginnt zu surren. Im Plexiglasbecken vor ihm wabern weiße Bündel spaghettidünner Schläuche. Alle paar Sekunden fährt ein Stoß Luftblasen durch die Büschel – und macht so aus Dreck- Trinkwasser. "Bei der Umsetzung dieser Technik am Markt haben die Kanadier im Moment noch einen enormen Vorsprung", sagt er, "das wird eine Herausforderung."
Natürlich war am Anfang die Angst, ein Pilotprojekt nicht rechtzeitig fertigzustellen. Das Bangen bei den Kapitalverhandlungen. Und natürlich immer wieder Zweifel, ob man sich als dreifacher Familienvater wirklich das Risiko einer Firmengründung antun müsse. Doch von Skepsis ist momentan keine Spur bei Voßenkaul.
Ein günstiges Massenprodukt schaffen
"Hier im Becken wäre dann die schlammige Brühe des Klärwerks", erklärt er mit hellwachen Augen hinter feingerahmter Brille, "und hier unten kommt kristallklares Wasser heraus."
Die Spaghetti sind so genannte Membranfilter, durch deren Oberfläche das Wasser nach innen gesogen wird; flexible Röhrchen aus Kunststoff mit so winzigen Poren, dass nicht einmal Bakterien und Viren hindurchpassen - die bleiben schlicht außen hängen. Für Krisengebiete gibt es bereits Container, deren Anlagen nach dieser Methode aus Tümpeln Trinkwasser holen.
Mittlerweile erproben auch einige Kommunen die neue Technik: Im rheinländischen Kaarst etwa entsteht ein Klärwerk für das Abwasser von 80.000 Einwohnern, in dem Membranen die herkömmlichen Sandfilter ersetzen. Wenn die Leute von Puron ihr Ziel erreichen, sagt Wolfgang Firk vom Wasserverband Eifel-Rur, und wenn sie den Quadratmeterpreis für die Membranen halbieren, dann könnte sich das Verfahren auch preislich gegen die althergebrachten Techniken durchsetzen.
Genau darum geht es den Aachener Ingenieuren: "Wir wollten ein günstiges Massenprodukt schaffen", sagt Voßenkaul, "und dafür hatten wir die passende Idee." Von Anfang an war klar: "Das hier wird keine mittelständische Schreinerei. Unser System ist konzipiert für den Weltmarkt."
"Wir sind voll und ganz Old Economy"
Das Selbstbewusstsein wuchs bereits in den neunziger Jahren an der Technischen Hochschule Aachen. Die Verkaufszahlen auf dem Weltmarkt der Membranen begannen rapide zu steigen, und gemeinsam mit seinem Kollegen Christoph Kullmann entwickelte Voßenkaul das Filtersystem, das später zum Herzstück der Puron-Technik werden sollte. "Unser System spart Energie", erklärt Voßenkaul, "und wir befestigen die Membran-Büschel wie Seegras nur am unteren Ende. Oben schweben die Spaghetti frei, so können sich Haare und Fasern nicht darin verwickeln." Genau das sei nämlich ein Hauptproblem bestehender Systeme.
Für Pilotprojekte wurden die beiden Ingenieure von der Hochschule freigestellt, das Land Nordrhein-Westfalen geizte nicht mit Fördergeldern, schließlich wirbt die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn gern mit "Wassertechnologie made in NRW".
Im November 2001 war es so weit: Puron ging an den Markt, mit Risikokapital der E.ON Venture Partners, einem Ableger des Stromriesen - und mit Stefan Schäfer, Voßenkauls früherem Bürokollegen von der Hochschule. Der gab dafür seinen Job als Verfahrensingenieur bei einem Chemieriesen auf; nach Feierabend hatte er längst an den Puron-Patenten mitgearbeitet.
"Sehen Sie", sagt Schäfer gut gelaunt auf dem Weg über das Firmengelände, eine ehemalige Textilmaschinenfabrik: "Hier kann man wunderbar expandieren."
Auch mit Blick auf die nächste Kapitalrunde geben sich die Puron-Gründer optimistisch. "Wir sind voll und ganz Old Economy", sagt Schäfer, "Abwasser wird es immer geben, solange die Leute auf die Toilette gehen."