Zwei Sekretärinnen des Bauverbandes Westfalen wurde fristlos gekündigt, weil sie sich vom Brötchen-Büffet ihrer Firma bedient haben. Das sind doch Nichtigkeiten. Ist das überhaupt legal?
Die Rechtssprechung legt das Kündigungsschutzgesetz so aus, dass so etwas möglich ist.
Aber ist das auch gerecht?
Nein, das nicht.
Die gekündigten Sekretärinnen sagen, ihr Verhalten sei bislang üblich gewesen im Unternehmen. Gibt es so etwas wie ein Gewohnheitsrecht, auf das sich die Arbeitnehmer berufen können?
Ja. Es geht im Kern um den Gebrauch von Arbeitsmitteln des Arbeitgebers - wie zum Beispiel auch bei der Frage des privaten Telefonierens am Arbeitsplatz. Doch privates Telefonieren am Arbeitsplatz ist zum einen sozial adäquat und zum anderen, sofern es keine gegenteiligen Regelungen gibt, unter dem Gesichtspunkt der Duldung erlaubt.
Im Prinzip handelt es sich bei dem Buletten-Fall um eine Nichtigkeit. Ist den Firmen in Krisenzeiten jeder Vorwand recht, ihre Mitarbeiter vor die Tür zu setzen?
Ich sehe da durchaus einen Zusammenhang. So zum Beispiel auch jüngst in dem Fall, in dem einem Mitarbeiter wegen einer Verwechselung gekündigt wurde. Dem Angestellten wurde die Erlaubnis erteilt, einen aussortierten Schreibtischstuhl mit nach Hause zu nehmen. Er nahm aber aus Versehen einen anderen aussortierten Stuhl mit, statt dem, der ihm zugesprochen wurde. Es handelte sich also um eine simple Verwechselung. Kurz zuvor hatte das Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen angekündigt. Meiner Erfahrung nach sind Arbeitgeber nur allzu gerne bereit auf solche verhaltensbedingten Kündigungen zurückzugreifen, um eben keine betriebsbedingte Kündigung aussprechen zu müssen.
Müssen deutsche Arbeitgeber zu solchen Taktiken greifen, weil das Kündigungsrecht zu starr ist?
Das schätze ich nicht so ein. Das Kündigungsrecht ist aus meiner Sicht überhaupt nicht zu rigide. Ein Arbeitgeber bekommt nach meiner Erfahrung bei guter arbeitsrechtlicher Beratung fast jede betriebsbedingte Kündigung durchgesetzt. Das deutsche Arbeitsrecht sei zu streng, ist eine Legende.
Das Arbeitsrecht ist es nicht. Was liegt dann im Argen?
Aus meiner Sicht ist die Begründung der Rechtsprechung verfehlt. Die Urteile greifen auf das Strafrecht zurück, indem sie darauf hinweisen, dass mit dem vermeintlichen Diebstahl ein Straftatbestand erfüllt wäre. Die Kündigung wird wie eine Art Strafe behandelt. Doch anders als im Strafrecht werden Abstufungen wie Bewährungsstrafen oder Bagatelldelikte, also Fälle die wegen Geringfügigkeit gar nicht verfolgt werden, außer acht gelassen. Außerdem werden im Strafrecht Ersttäter üblicherweise gering bestraft. Solche 'Rabatte' werden hier vom Arbeitsrecht aber nicht aufgegriffen. Es gibt auch kein Verhältnismäßigkeitsprinzip, also dass man sich die Höhe des Schadens anschaut. Stattdessen reicht es zu argumentieren, das Vertrauen sei verloren gegangen. Da ist die Rechtsprechung verfehlt und nicht schlüssig. Sonst gäbe es eine Abmahnungserfordernis. Wer würde nach einer Abmahnung noch mal für 1,30 Euro seinen Job riskieren? Diese Chance wird Arbeitnehmern aber durch die Rechtsprechung verwehrt.
Sehen Sie angesichts dieser arbeitgeberfreundlichen Urteile Handlungsbedarf bei der Politik?
Nein, verantwortlich ist die Rechtsprechung, insbesondere der zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts.
Haben Sie Tipps, wie Angestellte sich möglichst schadlos halten können?
Ich kann nur zu Vorsicht und Umsichtigkeit raten.
Wenn mir wegen eines vermeintlichen Fehlverhaltens gekündigt wird, wie soll ich am besten reagieren?
Sie sollten unbedingt innerhalb von drei Wochen Klage beim Arbeitsgericht gegen die Kündigung einreichen. Idealerweise mit der Unterstützung eines Fachanwalts.