Verdi Chronik eines angekündigten Verkehrsinfarktes

Eine Reportage von Friederike Nagel
Sperrung des Elbtunnels! Kilometerlange Staus in Hamburg! Nichts geht mehr! Dieses Drohpotential baute die Gewerkschaft Verdi auf - und zerfaserte sich in einem Aktiönchen.

Um 12 Uhr 18 ist es endlich soweit: Über einer der Fahrbahnen durch den Elbtunnel leuchtet ein rotes Kreuz auf. "Schnell, schnell", rufen ein paar Streikposten und bauen sich fahneschwenkend vor dem Brückengeländer auf, "machen Sie Fotos." Eine Minute später ist das Kreuz wieder verschwunden. Ein grüner Pfeil signalisiert freie Fahrt, die Aktion ist beendet. Angekündigt hatte Verdi, den Tunnel für zwei Stunden dicht zu machen.

"Da gab es Abspracheprobleme", sagt ein Streiker aus der Verdi-Region Westküste. Damit versucht er zu erklären, warum an der Tunnelmündung im Hamburger Stadtteil Othmarschen gerade mal knapp 50 Mitglieder versammelt sind. "Uns hatte man 11 Uhr gesagt", erzählt der Mann enttäuscht. Andere Verdi-Verbände erhielten die Information, dass die Sperrung um 10 Uhr stattfinden sollte. So kamen am Vormittag hunderte Menschen zusammen, tatsächlich fand die Aktion aber erst um die Mittagszeit statt. Und bevor es soweit war, schmolz die Menge zu einer kleinen Gruppe zusammen.

Suppe und Laibchen

Die Abgewanderten sitzen auf der nah gelegenen Röpers Weide. Dort teilt Verdi Kartoffelsuppe mit Würstchen aus, das Bier wird aus Plastikbechern getrunken. Vorne auf einer kleinen Bühne spielen die "Toten Ärzte": Blau gefärbte Haare, abgeschnittene Bundeswehrhosen, der Frontmann beschwert sich, dass er die Gitarre nicht über den Verstärker hören kann. Wäre das Bild nicht von roten Verdi-Kappen durchsetzt und trügen nicht einige Menschen weiß-rote Plastiklaibchen über ihren Pullovern, man könnte das Event mit einem entspannten Sommer-Musik-Festival verwechseln.

Doch von Entspannung keine Spur. Der Hamburger Streikleiterin Sieglinde Frieß ist die Anstrengung ins Gesicht geschrieben. "Wir machen das ganz sutsche," wiegelt sie ab, "uns geht es um das Signal, den Elbtunnel lahm legen zu können." Nach Rücksprache mit der Polizei habe man sich wegen der besonderen Sicherheitslage auf die konkrete Aktion geeinigt: Drei Sperrungen einzelner Fahrbahnen für jeweils eine Minute. Vielen Verdi-Mitgliedern, vor allem jenen aus dem Umland, war das viel zu wenig.

"Witzveranstaltung"

Viele seiner Kollegen seien einfach nicht bereit, zu solchen Witzveranstaltungen zu fahren, sagt einer der Streikenden im wetterfesten Parker. Auch die Party auf der Röpers Weide findet er nicht angemessen: "Wir haben noch nichts gewonnen, also gibt es noch nichts zu feiern." Seine Kollegen, die es sich beim Bier bequem machen, sind anderer Meinung. Nach elf Wochen Streik, so sagen sie, sei auch mal "ein bisschen Spaß an der Reihe." Marika Preibisch von der Hamburger Schulbehörde jedenfalls sitzt auf dem Rasen und ist zufrieden. "Das haben wir uns verdient", sagt sie. "Schließlich hatten wir auch andere, kämpferische Tage."

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