Die meisten Menschen würden in einem Ort wie Las Vegas spielen oder heiraten. Gregor Takke ist zum Tanken hier - und für Zigaretten. Zehn Tabak-Dosen hat er gerade von der Kassiererin aus dem Lager heran schleppen lassen. "Es ist nicht alles für mich", sagt er und kratzt sich verlegen am linken Ohr, doch die Kassiererin schüttelt nur den Kopf. "Schon okay", sagt sie. Solche Bestellungen hat sie hier häufiger. Stück für Stück wuchtet sie die Behälter auf das Kassen-Förderband der Tankstelle, die natürlich nicht wirklich in Amerika, im Glücksspielparadies des Westens steht. "Las Vegas" - so nennen die Einheimischen diesen Ort in Luxemburg wahrscheinlich nur, weil es hier überall so schön blinkt.
Der Tanktourismus an der Grenze boomt
Es sind nicht Kasinos oder Nacktbars, die das Bild der kleinen Gemeinde Wasserbillig, nahe der deutschen Grenze prägen. Es sind die Zapfsäulen, deren grelle und leuchtende Farben nur noch von den Preisen auf den Anzeigetafeln überstrahlt werden. Um die 1,24 Euro kostet hier der Liter Super, an manchen der 13 Tankstellen, die sich eng an der einzigen Straße des Ortes aneinander reihen, ist es sogar noch weniger. 38 Cent sparen die Einwohner des nur elf Kilometer entfernten Trier, wenn sie hierher zum Tanken fahren. An manchen Tagen ist der Andrang so groß, dass der Verkehr auf der kleinen Bundesstraße 49 komplett zum Erliegen kommt. Etwa 20.000 Autos fahren im Durchschnitt jeden Tag dort lang, nicht selten sind es noch mehr. Der Tanktourismus hier an der deutsch-luxemburgischen Grenze boomt. Schuld sind die Mineralöl- und Mehrwertsteuern, die in Deutschland höher sind als im Nachbarland.
Auch Gregor Takke tankt schon lange nicht mehr in seiner Heimatstadt Trier. Der kurze Ausflug ins Ausland spart ihm bares Geld, ist aber auch nicht ganz legal. Deshalb hat er darum gebeten, in diesem Text nicht mit seinem echten Namen zu erscheinen. "Gregor Takke" ist ein Pseudonym, hinter dem sich Tausende aus Trier und Umgebung verstecken könnten. "Im Grunde machen das hier alle", sagt Takke. Ein schlechtes Gewissen hat er nicht. Nur manchmal etwas Angst, entdeckt zu werden. Nicht selten steht der Zoll am Grenzübergang. Wer mehr als 20 Liter Benzin, zum Beispiel in Kanistern, einführt, muss draufzahlen und auch für die zehn Tabak-Dosen hätten die Finanzbeamten wohl kaum Verständnis. "Solange man aber einfach nur den Tank voll macht, passiert nichts", sagt der Trierer.
Was bleibt, ist Lärm und Gestank
20.000 Autos am Tag, das ist eine ganze Menge, vor allem wenn man direkt an der Bundesstraße wohnt. Als Marie-Elisabeth Grünhäuser nach Zewen, dem zweitletzten Ort vor der Grenze nach Luxemburg, zog, ahnte sie noch nicht, wie laut es in ihrem Dorf werden konnte. Denn wenn man ins Tankparadies nach Wasserbillig will, muss man an ihrem Haus vorbei. Wenn die Rentnerin nachmittags um drei vor die Haustür geht, dann erwartet sie nicht das Zirpen von Grillen oder das Zwitschern der Vögel - es ist vielmehr der Lärm vorbeirasender Autos, die ab und zu hupen oder scharf bremsen müssen. Fast 70 Dezibel hat die Stadtverwaltung vor ihrer Haustür gemessen - das ist deutlich über dem Grenzwert, den die Verkehrslärmschutzverordnung bei öffentlichen Straßen erlaubt. "Das einzige, was wir von den günstigen Preisen in Luxemburg haben, ist Lärm und Gestank", sagt Grünhäuser, die seit fünf Jahren ehrenamtlich als Ortsvorsteherin arbeitet. "Es gab sogar eine Zeit, da konnte man mit dem Auto nicht aus Zewen rausfahren, weil die Straße blockiert war oder die Leute zu schnell vorbei gefahren sind." Spätestens seitdem es die Ampel an der Ortseinfahrt gibt, ist dieses Problem behoben. Doch der Lärm bleibt.
Wie viel die Tankstellen in Wasserbillig verdienen, wollen deren teilweise auch deutsche Betreiber nicht verraten. Doch es spricht schon Bände, wenn man sich anschaut, was Luxemburg allein aus dem Tanktourismus an Steuereinnahmen verbuchen kann: 700 Millionen Euro sind es jedes Jahr, dazu kommen noch etwa 400 Millionen aus der Tabaksteuer. Geld, das auch dem deutschen Fiskus und nicht zuletzt den Tankstellenbetreibern auf der deutschen Seite der Grenze verloren geht. Acht von ihnen gibt es noch in Trier. Als der Preis in Wasserbillig und Trier noch halbwegs gleich war, waren es fast 30. Das ist jetzt 20 Jahre her.
"Dass die Leute sparen, kann ich nicht krumm nehmen"
Einer der letzten Tankwarte, die noch die Stellung halten, heißt Harald Simmer. 68 Jahre ist er alt und schon sehr lange im Geschäft: Vor 40 Jahren eröffnete er seine Tankstelle in Ruwer, einem Trierer Ortsteil südlich der Mosel. Noch heute steht er jeden Morgen um 5:30 Uhr in seiner blauen Latzhose hinter dem Tresen und das obwohl sich auf der anderen Flussseite regelmäßig die Autos auf dem Weg nach Wasserbillig stauen. Auf seiner Seite ist es deutlich ruhiger. Den Platz links von der Hauptstraße teilt sich die Tankstelle mit einer Imbissbude, die zu manchen Zeiten deutlich besser besucht ist. Weniger Arbeit als früher gibt es trotzdem nicht, nur weniger Geld. Denn obwohl die Umsätze zurück gegangen sind, ist die Zahl der Kunden angestiegen. "Die Leute kommen öfter, aber sie tanken nicht voll, sondern nur so acht bis neun Liter", sagt Simmer. Von solchen Autofahrern kann er nicht leben. Hätte der Tankwart seine 150 Geschäftskunden nicht, wäre sein Betrieb längst pleite gegangen. Denn nicht für alle lohnt sich der Tankausflug nach Luxemburg. Firmen können dies nur bedingt steuerlich absetzen und machen mehr Gewinn, wenn sie in Deutschland tanken.
Eigentlich wollte Harald Simmer seine Tankstelle einmal seinem Sohn vermachen. Doch ob der das Erbe antreten will, weiß er noch nicht. Die Aussichten sind zu schlecht. Im kommenden Jahr jedenfalls läuft der Vertrag mit der Mineralölgesellschaft aus. Ob und mit welchen Konditionen verlängert wird, ist völlig unklar. "Ich kriege heute noch genau soviel Provision wie vor 40 Jahren", sagt der 68-Jährige. "Viel Verhandlungsspielraum gab es nie." Es gibt Tage, da entschuldigen sich die Leute beim alten Simmer, wenn sie ihren Tank wieder einmal nur mit drei, vier Litern aufgefüllt haben, um ins Tankparadies nach Luxemburg zu kommen. "Manche lügen mich auch an und behaupten, sie würden ihren ohnehin schon gut gefüllten Tank nur auffüllen wollen. Das mag ich gar nicht", sagt der Tankwart. "Aber dass die Leute sparen wollen, kann ich ihnen ja nicht krumm nehmen. Die müssen halt auch schauen, wie sie über die Runden kommen."