Herr Professor Simon, wo liegen Deutschlands Stärken?
Zum Beispiel in der Ingenieursausbildung. Deutsche Top-Technikhochschulen wie in Karlsruhe oder Aachen sorgen für eine grundsolide Ausbildung. Wir stellen immer wieder fest, dass manche Mitarbeiter, die von renommierten ausländischen Universitäten kommen, nicht einmal das Grundhandwerk ihres Faches beherrschen. Wir haben neun Büros in acht verschiedenen Ländern. Darin arbeiten Beschäftigte aus 23 Ländern, die an den Elitehochschulen der Welt ausgebildet wurden. Unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere die Wirtschaftsingenieure, zählen klar zu den besten.
Dafür fehlt ihnen die Weltläufigkeit, so die landläufige Meinung.
Das stimmt nicht generell. Zumindest die besser ausgebildete Hälfte der Deutschen ist mental und kulturell stark internationalisiert. Wir sind nicht so weit wie Holländer oder Schweizer, aber sehr viel weiter als Italiener oder Japaner, die oft nicht Englisch sprechen. Deutsche Manager sind Weltmanager. Aber auch deutsche Facharbeiter sind weltoffen. Wir erwirtschaften ein Drittel des Bruttosozialprodukts im Ausland, dafür sind unsere Leute auf der ganzen Welt im Einsatz.
Wie sieht es in der Forschung aus?
Deutsche Institute betreiben ausgezeichnete Grundlagenforschung. Ihnen fehlt aber die Marktnähe. Kaum auszudenken, wie erfolgreich sie wären, wenn sie ihr volles Potenzial am Markt nutzen würden. Dafür müssten sich die Einrichtungen allerdings erst einmal vom Staat lösen, wie es bei der Fraunhofer-Gesellschaft in Ansätzen passiert. Nicht wer die besten Zuschussanträge schreiben kann, muss honoriert werden, sondern wer die meisten Produkte erzeugt. Ähnliches gilt für unsere Universitäten: Sie haben schon heute ein hohes Leistungsvermögen und wären in zehn Jahren absolute Weltklasse, wenn man sie in die Autonomie entließe.
Deutschland investiert Milliarden in die Verkehrsinfrastruktur. Welche Rolle spielen Straßen und Schienen in der digitalen Wirtschaftswelt?
Nach wie vor eine große. Unsere Straßen sind im Vergleich zu denen anderer Industrienationen bestens ausgebaut. Und das ICE-System ist ungeschlagen. Ich reise in 38 Minuten von Bonn nach Frankfurt-Flughafen. In China brauchen Sie für eine solche Strecke einen halben Tag.
Bonn-Frankfurt - ist das entscheidend in einer globalisierten Welt?
Sicherlich nicht allein. Aber die geostrategische Lage Deutschlands ist einzigartig. Von hier aus kann man per Flugzeug innerhalb von zwölf Stunden die ganze wirtschaftlich relevante Welt erreichen. Und zu normalen Bürozeiten dorthin telefonieren: morgens Tokio, abends Los Angeles. Allein aus unserem geostrategischen Standort könnten wir einen riesigen Vorteil schlagen, wenn unser Steuersystem nur ein wenig attraktiver wäre. Jeder, der weltweit Geschäfte treibt, müsste sinnvollerweise sein Headquarter nach Deutschland verlegen.
Wenn Deutschland so viele Stärken hat, wo liegt dann das Problem?
Wir haben eine schizophrene Situation: Das Image der Unternehmen löst sich zunehmend vom Image des Standortes. Die guten deutschen Unternehmen sind Weltklasse und bauen ihre Marktposition ständig aus, Deutschland als Ganzes dagegen scheint schwach. Das liegt vor allem am politischen Personal, das im internationalen Vergleich ein massives Qualitäts- und Qualifikationsdefizit aufweist und die Marke Made in Germany ruiniert. Unternehmer und Manager wollen mit solchen Politikern nichts zu tun haben...
...und verlagern Jobs ins Ausland.
Wenn wir nur etwas bessere Bedingungen hätten, könnten wir jede Menge Arbeitsplätze halten. Ich kenne viele Unternehmer, die es sehr bedauern, aus Kostengründen abwandern zu müssen. Die Qualität der Arbeit und die Qualifikation der Mitarbeiter sind in Deutschland nach wie vor besser als überall sonst auf der Welt.
Wie groß ist die Chance, dass wir über die deutschen Stärken wieder zu einer soliden Wirtschaft zurückfinden?
Das Hauptproblem werden nicht mangelndes Know-how oder zu hohe Lohnkosten sein, sondern dass uns zehn Millio-nen Menschen unter 30 Jahren fehlen. Wenn wir diese Lücke schließen können, sind fast alle Probleme gelöst. Denn nicht die Qualität, sondern die Quantität der Ingenieure wird zum wahren deutschen Problem. Mein radikaler Vorschlag ist, jedes Jahr eine Million handverlesene junge Ausländer ins Land zu holen.
Das würde einen Aufschrei auslösen: Die deutsche Identität sei in Gefahr.
Diesen Punkt haben wir längst entschieden. Da wir uns nicht vermehren, brauchen wir uns um die deutsche Identität keine großen Gedanken zu machen.