Das "Orakel von Omaha" hat gesprochen. "Wenn es ein gewisses Chaos in bestimmten Bereichen gibt", sagte Investorenlegende Warren Buffett dieser Tage, "bieten Schieflagen manchmal echte Chancen."
Und ein gewisses Chaos in bestimmten Bereichen ist derzeit vorhanden. Eine solche Krise hat es an den Finanzmärkten seit den Terroranschlägen des 11. September nicht gegeben. Auslöser war der Niedergang des Häusermarkts in den USA: Wegen steigender Zinsen und fallender Häuserpreise können viele Immobilienbesitzer die Hypotheken nicht mehr bedienen. Dutzende Anbieter von Baufinanzierungen mussten sich aus dem Markt verabschieden oder gingen pleite. Seitdem geht nichts mehr an den Geld- und Kreditmärkten: Hypothekenbanken stellen Anträge auf Gläubigerschutz, die Banken misstrauen sich und leihen sich kein Geld mehr, und die Zentralbanken pumpen Milliarden in den Markt, um eine Katastrophe abzuwenden.
Das ist die Stunde der Krisengewinnler, die Stunde des Warren Buffett, 76-jähriger Milliardär aus Omaha und Chef der Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway. "Wenn Verwerfungen passieren, werden die Dinge stärker unterbewertet", frohlockt er. In aller Ruhe beobachtet er das Elend, er muss nur lange genug warten, dann kommt schon die Chance zuzuschlagen. Mit ihm liegen andere risikofreudige Großinvestoren und einige Hedge-Fonds auf der Lauer: Die Geierrally hat begonnen.
"Ein valides Geschäft"
Vor Kurzem etwa hat Buffett ein Aktienpaket an der Bank of America erworben. Die Bank von Weltruf gehört zu den größten Hypothekenanbietern in den USA und hatte bis Anfang August über zehn Prozent an Wert verloren. Kaum war Buffet an Bord, ging es aufwärts. Es ist, als habe sich sein Killerinstinkt auf die Bank übertragen, die nutzte nämlich die jämmerliche Lage der riesigen Hypothekenbank Countrywide. Mit 2 Mrd. $ kaufte sich die Bank of America ein. Die Kurse beider Banken stiegen, Buffett hatte sein Geld vermehrt. "Ein Coup", sagt Ansgar Zwick, Deutschlandchef der US-Investmentbank Houlihan Lokey. "Damit hat die Bank of America die schwache Situation von Countrywide ausgenutzt."
Buffett ist nicht der Einzige, der von der Krise profitieren will. Sein schillernder Investorenkollege Wilbur Ross kommt gar nicht mehr raus aus dem Schwärmen, welche Einstiegschancen die Krise im Hypothekenmarkt gewieften Glücksrittern biete. Seine Beteiligungsfirma, die auf notleidende Kredite und problematische Firmen spezialisiert ist, habe diesen Markt neu im Fokus. Gerade mit zweitklassigen US-Hypotheken (Subprime) ließe sich wahrscheinlich viel Geld machen. Gerade hat Ross dem insolventen Hypothekenfinanzierer American Home Mortgage einen 50-Mio.-$-Kredit gewährt. "Es ist ein valides Geschäft", freut sich Ross. Und der Kredit sei nur der Anfang, um im Markt Fuß zu fassen.
Auch viele Hedge-Fonds sehen ihre Stunde kommen - zumindest jene, die sich nicht mit Hypothekenpapieren oder Kreditderivaten verspekuliert haben.
Besonders clevere Fonds haben die Krise vorhergesehen und gehören zu den größten Gewinnern des Subprime-Desasters. So hat Hayman Capital Partners gegen den Trend früh auf fallende Preise für Hypothekenpapiere gesetzt - und im laufenden Jahr 240 Prozent Gewinn gemacht, davon allein 60 Prozent im Juli.
Wer nicht so früh dran war, sucht eben nun seine Chance. Dutzende von Hedge-Fonds-Managern versuchen, die Misere in einen Segen umzuwandeln. Zu den prominentesten gehört das Branchenschwergewicht Citadel von Ken Griffin. Der übernahm das ramponierte Kreditportfolio des Konkurrenten Sowood Capital Management, der im Juli die Hälfte seines Kapitals von rund 3 Mrd. $ verloren hatte.
Der milliardenschwere Hedge-Fonds Marathon Asset Management hat sogar einen eigenen Fonds gestartet, um auf Schnäppchenjagd zu gehen. Der soll nach dem Willen der Gründer von "dem Massaker im Subprime-Hypothekenmarkt" profitieren, heißt es in einem Brief an potenzielle Investoren. "Die Kernschmelze im Subprime-Markt war atemberaubend, und angesichts dieser bedeutenden Chance hat Marathon sich entschlossen, diesen Fonds zu starten."
Auch Branchenfremde wie Microsoft-Mitgründer Paul Allen lassen sich von den Gewinnchancen locken, er hat mit einer Investmentfirma eine Bankengruppe gegründet, die ihr Geld vorwiegend in wackelige kleinere Banken und angeschlagene Immobilienkredite steckt.
Geierrally auch im Anleihemarkt
Seinen Optimismus teilen einige seriöse Versicherungsgesellschaften: Der französische Axa-Konzern habe "überschüssigen Cashflow, um Subprime-Gelegenheiten zu kaufen", heißt es in einer Studie von JP Morgan. Und die Meag, die Anlagegesellschaft der Münchener Rück, freut sich über verbesserte Konditionen: "Wir bekommen bei hochwertigen Immobilien jetzt bessere Finanzierungsbedingungen, weil wir 50 Prozent Eigenkapital einbringen und die Verkäufer froh sind, einen Investor mit so guter Bonität zu haben", sagt Knut Riesmeier, bei der Meag für Immobilieninvestments zuständig.
Die Geierrally beschränkt sich längst nicht mehr auf den Markt für Hypothekenkredite. Schon sehen Anleger auch im darbenden Anleihemarkt große Chancen. Bond-Guru Bill Gross, Chef der Allianz-Fondstochter Pimco, sieht die Zeit gekommen, eine "risikofreudigere Haltung" einzunehmen, "auch wenn die Märkte unsicher bleiben". Er werde in den nächsten drei Monaten nach Schnäppchen Ausschau halten.
Um die Private-Equity-Kredite, auf denen die Banken massenhaft sitzen geblieben sind, buhlen ebenfalls immer mehr Investoren. Über 300 Mrd. $ dieser Kredite, die Firmenkäufe durch Private-Equity-Gesellschaften finanziert haben, konnten nicht weiterverkauft werden, weil die institutionellen Investoren derzeit das Risiko scheuen.
Leckerbissen für Investoren
Prominente Beispiele: die britische Pharmakette Boots, bei der die Banken das milliardenschwere Schuldenpaket erst einmal selbst behalten mussten - und Autohersteller Chrysler. Bei Chrysler versuchen die Banken derzeit, eine Kredittranche von 10 Mrd. $ weiterzugeben, und müssen dabei mit hohen Verlusten rechnen. Marktinformationen zufolge wird der Kredit nur unwesentlich über 90 Prozent seines Nennwerts gehandelt.
Andere Kredite könnten sogar zu 70 oder 80 Prozent des Nennwerts erworben werden, sagt Mario Schmidt, Partner der auf Private Equity spezialisierten Kanzlei Willkie Farr & Gallagher. Solche Schnäppchen sind ein Leckerbissen für Investoren, meist spezialisierte Fonds und die sogenannten Distressed-Abteilungen der Investmentbanken, die auf problematische Vermögenswerte spezialisiert sind. Sie haben in den vergangenen Wochen massiv eingekauft.
Schließlich ziehen auch die Kursrückgänge an den Aktienmärkten Investoren an, vor allem aus China und den Golfstaaten. So lassen sich sogar Konzerne wie Mubadala Development, der eigentlich die Modernisierung Abu Dhabis vorantreiben soll, von den Schnäppchen zu ganz neuen Investments verlocken. Firmenchef Waleed al-Muhairi sieht in den Kursrückgängen die Chance, günstig Unternehmen einzukaufen. "In Zeiten wie diesen findet man mehr Sonderangebote." Ende August werde man eine "bedeutende" Übernahme eines asiatischen Unternehmens bekannt geben.
Turbulenzen noch nicht ausgestanden
Das Risiko, das die Investoren eingehen, ist allerdings hoch. Je früher man einsteigt, desto höher die Gewinne. Oder die Verluste, wenn die Turbulenzen sich zu einer langwierigen Krise auswachsen. "Manche sind vielleicht zu voreilig, sich entsprechende Objekte zu sichern, und können sich die Finger verbrennen", sagt Charles Gradante, Geschäftsführer des Hedge-Fonds-Beraters Hennessee Group. "Noch sind die Turbulenzen nicht ausgestanden."
Beim Zusammenbruch des US-Telekomunternehmens Worldcom hatten sich die Geier-Fonds schon einmal zu früh auf die Reste gestürzt und mussten erleben, wie Worldcom weiter einbrach. Allzu schnelle Fonds wie Winstar Communications, Exodus Communications oder PSInet gingen darauf pleite oder wurden selbst billig aufgekauft.
Wie auch immer die Schnäppchenjagd ausgeht - eine Gruppe wird gut verdienen: die Anwälte. Schon jetzt türmt sich die Arbeit bei den Großkanzleien, die auf Wertpapierrecht und Investorenklagen spezialisiert sind. Anleger versuchen, ihr verzocktes Kapital zurückzuholen, Investmentbanken haben Hypothekenanbieter verklagt, die ihnen wertlose Kredite angedreht haben. Gute Anwälte brauchen auch die Ratingagenturen, die den Kreditprodukten ihr Prüfsiegel verpasst haben.
Der Wertpapieranwalt Jacob Zamansky vertritt Investoren, die an den zusammengebrochenen Hedge-Fonds der Bank Bear Stearns beteiligt waren. "Ich bekomme Anrufe von überall her", sagt er. Zamansky, der schon nach dem Platzen der Internetblase Investoren vertrat, wittert abermals das große Geschäft. "Das ist eine völlig neue juristische Front, die sich hier auftut."