Neuer Daten-Skandal Das unfassbare Lidl-Déjà-vu

Lidl lernt es nie: Der Bespitzelungsskandal ist noch nicht einmal ein Jahr her und schon wieder gerät der Discounter in negative Schlagzeilen. Krankheiten seiner Mitarbeiter wurden systematisch notiert. Dabei hatte Lidl doch Besserung versprochen. Das waren offensichtlich nur leere Lippenbekenntnisse. Eine Analyse von Malte Arnsperger.

Als Ulrike Schramm-de Robertis von den neuen Fehltritten bei Lidl hört, lacht sie lauthals. Sie kann es einfach nicht glauben, was sie da über ihren Arbeitgeber hört. "Das gibt es doch nicht. Wahnsinn. Das ist ja wie Weihnachten. Alle Jahre wieder", sagt die Lidl-Betriebsrätin aus Bamberg stern.de. Der Grund für den Sarkasmus von de Robertis: Schon wieder hat der Discounter Lidl die Rechte seiner Arbeitnehmer mit Füßen getreten. Die Ursachen für Krankheiten von Mitarbeitern wurden in firmeninternen Unterlagen festgehalten, wie der "Spiegel" berichtet. Systematisch wurde bei Lidl demnach notiert, welcher Mitarbeiter wegen Grippe, Rückenleiden oder Bluthochdruck krankgeschrieben wurde. Die Formulare, die dem Magazin vorliegen, sind in der Zeit zwischen Mai und Dezember 2008 ausgefüllt worden.

Lidl und Mitarbeiterkontrolle? Da war doch was. Vor ziemlich genau einem Jahr hatten der stern und stern.de aufgedeckt, dass der Lebensmittelriese über Jahre hinweg seine Angestellten mithilfe von Detektiven und versteckten Kameras bespitzelt hatte. Intimste Details aus der Privatsphäre der Mitarbeiter wurden im Auftrag des Neckarsulmer Konzerns von den Detektiven protokolliert. Da ging es um die finanziellen Probleme von Beschäftigten, ihre Tatoos oder ihre Liebschaften.

Ein Sturm der Entrüstung fegte damals über den Discounter hinweg, viele Kunden kauften aus Protest nicht mehr bei Lidl ein, der Umsatz stürzte für einige Wochen ein. Lidl gab sich zerknirscht und gelobte wortreich Besserung. Die gesamte Führungsriege des sonst so öffentlichkeitsscheuen Konzerns äußerte sich in Talkshows oder Zeitungsinterviews. Es seien Einzelfälle gewesen, hieß es. Übereifrige Detektive seien schuld an der Bespitzelung. Und überhaupt: Diese Art von Mitarbeiterbehandlung passe überhaupt nicht zu Lidl. Noch im Dezember 2008 hatte Lidl Chef Frank-Michael Mros in einem stern-Interview gesagt: "Das ist kein System Lidl. Das ist eine Ausnahme Lidl, ein ganz dunkler Fleck, der durch den stern hell erleuchtet wird und jetzt ausradiert ist."

Doch all diese Beteuerungen scheinen nur leere Lippenbekenntnisse gewesen zu sein. Denn trotzdem wurden offenbar auch nach dem Bekanntwerden des Überwachungsskandals weiterhin bundesweit die jetzt aufgefundenen Krankheitsformulare angewendet, die von Datenschützern für unzulässig gehalten werden.

Roth: "Erschreckendes Ausmaß an Ignoranz von Recht und Gesetz"

Und wieder sieht sich Lidl heftiger Kritik, nicht nur von Datenschützern, ausgesetzt. Ulrich Dalibor, Einzelhandelsexperte bei der Gewerkschaft Verdi sagte, es sei ein Skandal, dass Lidl weiterhin so tief in die Persönlichkeitsrechte seiner Mitarbeiter eingreife. Die Politik reagiert empört: "Ich kann mir nichts Übleres vorstellen. Dieses Vorgehen von Lidl zeigt ein erschreckendes Ausmaß an Ignoranz von Recht und Gesetz", sagte die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth stern.de. "Es zeigt, dass das Unternehmen seit dem Bespitzelungsskandal im vergangenen Jahr nichts gelernt hat und nicht begriffen hat, dass schon damals Grundrechte verletzt wurden."

Besonders sauer werden jetzt wohl viele Lidl-Mitarbeiter sein, die ihrem Unternehmen nach dem Spitzel-Skandal eine zweite Chance gegeben hatten. Sie haben geglaubt, dass Lidl sein Versprechen wahrmacht und sein bis dato kaum vorhandenes Datenschutzkonzept komplett erneuert und dafür sorgt, dass ähnliche Vorkommnisse nicht mehr möglich sind. Sie wurden enttäuscht. Die Stimmung der Beschäftigten drückt Ulrike Schramm-de Robertis aus: "Eigentlich habe ich, wie viele andere auch, gedacht, dass Lidl gelernt hätte" sagt die Vorsitzende eines von nur bundesweit acht Lidl-Betriebsräten. "Ich bin wütend und schockiert. Wie konnte ich nur so gutgläubig sein."

Vielleicht hätte man es ahnen können. Denn der Großkonzern Lidl tut sich, einem Megatanker auf hoher See gleich, äußerst schwer mit einer Richtungsänderung und dem Abschied von liebgewonnen Methoden. Der Beweis: Schon Jahre vor dem Bespitzelungsskandal von 2008 war ein Fall von Mitarbeiterüberwachung bekannt geworden. Lidl hatte auch damals versichert, es sei ein Einzelfall gewesen und diese Vorgehensweise werde abgestellt. Das Ergebnis ist bekannt.

Lidls lapidare Antwort

Wie wenig selbstkritisch die Lidl-Spitze immer noch ist, zeigt auch die Reaktion des Discounters auf die neuen Enthüllungen. In einer Pressemitteilung heißt es: Die Krankheitsformulare seien dafür genutzt worden, "das Personal richtig einzusetzen. Dabei wurden Informationen erfasst, die persönliche Belange berücksichtigten. Dies war nicht datenschutzkonform, diente aber dazu, die Mitarbeiter ihrem gesundheitlichen Zustand entsprechend einzusetzen." Wie blanker Hohn klingt das für Ulrike Schramm-de Robertis. Denn sie weiß aus eigener Erfahrung, wofür Lidl Erkenntnisse über den Gesundheitszustand seiner Mitarbeiter nützt: Um Druck auszuüben. Einem ihrer Lidl-Kollegen sei noch auf dem Krankenbett von der Filialleitung geraten worden, sich besser einen neuen Job zu suchen. Auch sie selber, so erzählt de Robertis, sei unter ähnlichem Druck gesetzt worden. Nach einem Arbeitsunfall habe sie einige Monate gefehlt. Ihr Chef habe ihr dann nahegelegt, sich so bald nicht mehr krankschreiben zu lassen.

Geschehnisse, die eigentlich nicht vorkommen dürften, wenn man Lidl-Chef Mros glaubt. Hatte er doch in dem stern-Interview selbstbewusst gesagt, die Lidl-Mitarbeiter hätten ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen mit der Note 1,88 bewertet. Und außerdem ließ er wissen: "Wir mobben unsere Leute nicht. Wir sind doch keine außerhalb der Gesellschaft stehenden Zombies."