In der Siemens-Schmiergeldaffäre interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft für die neuen Erkenntnisse über frühere Konzernvorstände. "Wir gehen davon aus, dass wir informiert werden, wenn strafrechtlich relevante Erkenntnisse vorliegen", sagte Oberstaatsanwalt Anton Winkler in München. Es sei noch zu früh, um zu beurteilen, ob der Staatsanwaltschaft die Informationen bereits vorlägen, von denen die Siemens-Anwälte von der Kanzlei Debevoise & Plimpton gesprochen hatten. Grundsätzlich seien die Ermittler aber natürlich an allen relevanten Informationen interessiert.
Interne Ermittlungen liefern "sehr substanzielle Hinweise"
Siemens hatte zuvor angekündigt, auf der Hauptversammlung am 24. Januar die Abstimmung über die Entlastung von mehreren früheren und noch aktiven Konzernvorständen zu vertagen. Begründet wird dieser Schritt mit neuen Erkenntnissen. Mithilfe eines Amnestieprogramms und dank weiterer Quellen seien "sehr substanzielle Hinweise" für die internen Ermittlungen gewonnen worden, schrieb Debevoise & Plimpton in einem Brief an Aufsichtsratschef Gerhard Cromme. Diese beträfen eine "Reihe von Personen, die innerhalb einiger vergangener Jahre Mitglieder des Vorstands waren".
Die Namen der belasteten Vorstände nannten die Anwälte nicht. Daher wird nun die Entlastung aller ehemaligen und noch aktiven Vorstände verschoben, die bereits länger im Amt sind. Davon ist zum Beispiel der amtierende Finanzvorstand Joe Kaeser betroffen. Auch der frühere Vorstandschef Klaus Kleinfeld soll erst einmal nicht entlastet werden. Dies gilt auch für seinen Vorgänger Heinrich von Pierer, der im vergangenen Jahr als Aufsichtsratsvorsitzender zurückgetreten war. Die Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft richten sich gegen zahlreiche frühere Siemens-Manager. Als Beschuldigte gelten dabei auch die Ex-Vorstände Heinz-Joachim Neubürger und Thomas Ganswindt.
Siemens wollte sich nicht dazu äußern, ob die neuen Hinweise bereits an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wurden, oder ob dies geplant ist. Ein Sprecher betonte lediglich, dass der Konzern grundsätzlich weiterhin mit den Ermittlern kooperiere.
Aktionärsschützer: Worst Case ist Wirklichkeit geworden
Aktionärsschützerin Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sprach angesichts der möglichen Verwicklung weiterer Vorstände von einer "neuen Dimension" der Schmiergeld-Affäre. "Jetzt hat sich der Worst Case realisiert", sagte Bergdolt. "Jetzt hat man noch mehr Vertrauen verloren." Von Anfang an hätte das Unternehmen nach ihrer Einschätzung einräumen müssen, dass der Skandal noch nicht abschließend beurteilt werden kann, und die Entlastung der früheren Unternehmensführung deshalb hinten angestellt werden müsse. "Das Dramatische ist, dass ich das Gefühl habe, die reagieren nur und handhaben diese Affäre so hilflos", sagte Bergdolt.