Symbolisch gesehen muten einige Randaspekte bei dieser Fußball-EM ziemlich befremdlich an. Da wäre die Bregenzer Seebühne des ZDF: Vorne fachsimpeln Johannes B. Kerner, Jürgen Klopp und Urs Meier um die Wette, aus dem Hintergrund stiert das "Auge von Tosca" die Fernsehzuschauer an. Das riesige Sehorgan gehört eigentlich zur Puccini-Oper "Tosca", die hier aufgeführt wird und wurde vom Sender als Deko übernommen. Die Aussage der Big-Brother-Optik bleibt indes im Dunkeln. Ohne das Zweite (Auge) sieht man auch ganz gut? Oder soll an die Bespitzelung durch Staat und Privatwirtschaft erinnern werden? Wenn es so wäre, würde dem Sender immerhin das Kunststück gelingen, mit Hilfe feinster Unterhaltungsware auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen.
Beim ZDF wird zurückgeglotzt
Einen Missstand anderer Art strahlt derzeit Mastercard aus. Oder lässt vielmehr ausstrahlen. Seit Jahren schon sponsert das Kreditkartenunternehmen die Europameisterschaft und darf als einer der größten Unterstützer unmittelbar vor den Spielen werben. Und das sieht dann so aus: Das Logo der Firma, ein roter und ein gelber Kreis, sitzen in Form von zwei Bällen auf einem Sofa. Plötzlich springt der gelbe Ball wild herum - es erscheint eine Reißzwecke, der Ball hüpft drauf und pffft - fällt in sich zusammen.
Was hat sich die Finanzfirma dabei nur gedacht? "Wir sind platt?" Oder: "Uns geht die Luft aus"? Angesichts der sich nur langsam beruhigenden Krise am Finanzmarkt wäre das eine klare aber nicht sonderlich vertrauenerweckende Botschaft. Möglich auch: "Wir lassen die Luft aus der EM". Nur - warum und welche Rolle spielen Kreditkarten dabei? Bedeutet es: "Wir sind die Reißzwecke, der Stachel im Fleisch des Fußballs"? Gar: "Löcher gibt es gratis - für alles andere Mastercard"? Wie man es dreht und wendet - der Trailer hinterlässt einen komischen Nachgeschmack.
Dabei soll alles ganz anders sein, charmant und lustig, wie das Unternehmen mitteilt. Das Filmchen hat sogar eine Handlung: Die Bälle nämlich sind zwei Freunde, deren jeweiligen Lieblingsmannschaften gegeneinander spielen. Als das Team des gelben Balls ein Tor schießt, springt der vor Freude im Kreis, woraufhin der rote Ball seinen Kumpel ärgert, indem er ihm eine Reißzwecke hinwirft. "Am Ende vereinen sie sich aber versöhnlich wieder im Mastercard-Logo", heißt es in einer E-Mail, die das Unternehmen auf Anfrage verschickt hat. Damit wolle man spielerisch kleine Geschichten erzählen, die "die Nähe der Marke zum Spiel und seinen Fans aufgreift".
Soweit die Theorie. Was aber sagen Werbeprofis dazu? Nichts Gutes. Christian Scheier, Neuropsychologe und Chef der Marketingberatungsfirma Decode hält den Spot für alles anders als gelungen: "Hier wird mit Missgunst und Schadenfreude gespielt. Das eignet sich kaum dafür, beim Betrachter ein positives Gefühl zu hinterlassen", so der Werbepsychologe.
Obwohl Fußball ein Sport ist, der vom Gegeneinander zweier Teams, von Kampf Mann gegen Mann und der Rivalität zwischen den Fans lebt, bemüht sich die Werbung seit jeher, das gemeinschaftliche Erlebnis in den Vordergrund zu stellen. In keinem Bierspot wird geneckt sondern zusammen gejubelt und getrunken, und Mike Krüger hatte für eine Baumarktkette bei der Weltmeisterschaft 2006 gleich eine gigantische Tribüne für Gäste in seinen Garten zusammengezimmert.
Den Machern der Mastercard-Werbung, die Werbeagentur McCann, war soviel Harmonie vielleicht zuviel, denn ein anderer Film spielt ebenfalls mit den Thema Rivalität: das "Motiv Schal". Da versucht ein Fan, einen anderen mit einem größeren Schal davon zu überzeugen, dass er der größere Fan sei. Gegeneinander statt miteinander - auch wenn das mal etwas anders ist, aus Sicht der Werbepsycholgie wirkt es leider kontraproduktiv. Anders die Mitsponsoren der Europameisterschaft. "Coca Cola macht es richtig", sagt Scheier, "in deren Spots klatscht sich die Fliege mit der Fliegenklatsche ab, umarmt sich der Luftballon mit dem Kaktus und der gehörnte Gatte den Liebhaber seiner Frau".
Was alles in der Werbung nicht funktioniert, lässt sich laut Scheier in wenigen Worten zusammenfassen: Humor ist schwierig, weil der oft nicht als solcher wahrgenommen werde, dasselbe gilt für Ironie. Schadenfreude und Missgunst wecken nicht bei allen Menschen positive Assoziationen, und in diesem Spot komme alles auch noch zusammen. Die Marke Mastercard glaubt Scheier, habe sich mit dem Reißzwecken-Spot alles andere als einen Gefallen getan.
Anmerkung d. Red.: In einer früheren Fassung dieses Artikels wurde ein Zitat von Mastercard irrtümlich einem namentlich genannten Mitarbeiter einer Kommunikationsagentur zugeschrieben. Dieser ist jedoch nicht befugt, im Auftrag des Unternehmens zu sprechen. Wir haben seinen Namen daher entfernt.