Nach den heftigen Medizinerprotesten der vergangenen Monate sollen die rund 118.000 Praxisärzte in Deutschland möglichst rasch von unnötiger Bürokratie befreit werden. In den vergangenen Jahren hätten sich nutzlose Informationen zu "Datenfriedhöfen" angehäuft, sagte die parlamentarische Gesundheits-Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (SPD) in Berlin. Bis Ende Mai will eine Arbeitsgruppe mit 20 Kassen- und Ärztevertretern unter Leitung von Caspers-Merk konkrete Vorschläge für den Gesetzgeber und die Selbstverwaltung vorlegen. In Praxen, bei Krankenkassen, Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Kliniken solle damit "Wildwuchs" eingedämmt werden.
Zu viele Formulare
In den Praxen gibt es nach Caspers-Merks Angaben allein 60 "kleinere und mittlere Formulare" für unterschiedliche Behandlungen, die per Hand ausgefüllt werden müssten. 80 Prozent davon habe die Selbstverwaltung von Kassen und Ärzten "in vermeintlicher Ausführung" gesetzlicher Vorgaben in Eigenregie entwickelt. Medienberichten zufolge verwenden Praxisärzte in Deutschland täglich bis zu zwei Stunden für die Verwaltung.
Caspers-Merk zeigte sich zuversichtlich, dass die Selbstverwaltung wegen des "Leidensdrucks" der Ärzte ihren Teil zum Bürokratieabbau beiträgt. "Es muss klare Zusagen von Kassen und Ärzten geben." Aber auch gesetzliche Grundlagen würden durchforstet. Neuerungen sollten mit der Gesundheitsreform 2007 in Kraft treten. Kurzfristiger könnten diverse Verordnungen entbürokratisiert werden.
Keine Formular-Durchschläge mehr
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, begrüße, dass sich die Politik ihrem Teil der Verantwortung stelle. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte den Bürokratieabbau Anfang März angestoßen. In ihrer ersten Sitzung hatte sich die Arbeitsgruppe nach Angaben Caspers-Merks am Mittwoch bereits auf den Verzicht auf massenhaft gesammelte Formular-Durchschläge verständigt, für die einzelne KVen extra Keller anmieteten. Künftig werde "alles auf elektronische Speicherung" umgestellt. Chroniker sollen bei einem Kassenwechsel die Aufnahme in entsprechende Programme zudem nicht mehr neu beantragen müssen. Viele Qualitätsberichte von Kliniken müssten für die Patienten verständlicher werden.
"Ein Minimum an Dokumentation braucht der Arzt", sagte Caspers- Merk. "Aber keinen Datenfriedhof, der gar nicht ausgewertet wird." Das Ziel der Gesundheitsreform - ein größerer Wettbewerb zwischen den Kassen - solle nicht mit mehr Bürokratie einhergehen, selbst wenn es zu größeren Unterschieden in den Leistungskatalogen der Kassen kommt und die Kassenlandschaft damit weniger einheitlich wird.
Beispiel Niederlande?
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Ludwig-Georg Braun, warf der Politik im Deutschlandradio vor, sich um Strukturveränderungen im Gesundheitssystem zu drücken. Eine siebenköpfige Delegation des Bundestagsausschusses für Gesundheit bricht am 26. April zu einer dreitägigen Niederlande-Reise auf. Sie will klären, ob die dortige Reform Anhaltspunkte für Deutschland bringt. Dort wurde zum Anfang des Jahres die gesetzliche Krankenversicherung abgeschafft - seitdem sind private Kassen im Wettbewerb um die Versicherungspflichtigen.