Sie leben jetzt in Sydney, und zuvor sind Sie zwei Jahre um die Welt gesegelt.
Ja, das war ein Lebenstraum. Als wir das Projekt im Freundeskreis diskutierten, gab es schon große Vorhaltungen, ob das verantwortlich sei, die Kinder aus ihrem gewohnten Leben rauszunehmen. Aber wir sind auf Inseln gewesen, die noch kein Weißer gesehen hat. Wir haben in Urwalddörfern gewohnt, deren einziger zivilisierter Gegenstand eine Machete war. Und wir haben 16-jährige Mädchen bei ihrer Zwangsarbeit im Straßenbau gesehen mit ihren leeren, schon toten Augen.
Haben Sie je Ihre Entscheidung bereut, 1998 nicht Wirtschaftsminister zu werden?
Meine Entscheidung war völlig richtig. Ich hatte mich nicht beworben. Der Kanzlerkandidat Schröder hatte mich aufgefordert, in sein Kabinett zu kommen. Die Idee, einen gestandenen Unternehmer in die Regierung aufzunehmen, war geradezu elektrisierend. Aber wenn er vom Kanzler nicht vorbehaltlos unterstützt wird, wird er zum Grüßonkel und Quotenunternehmer.
Finden Sie Schröders Entscheidung richtig, Neuwahlen herbeizuführen?
Die Entscheidung hat Format. Sie macht den Weg frei für eine neue Willensbildung und eine tatkräftige Regierung.
Hätte es die Hartz-Gesetze mit Ihnen gegeben?
Ich finde es gut, dass der Kanzler die Agenda 2010 hartnäckig betrieben hat. Ich fand auch die Idee gut, Peter Hartz, also auch einem Außenstehenden, die Chance zu geben, eine solche Reform zu entwerfen. Katastrophal ist das Ergebnis; das Zerreden und der Dilettantismus der Umsetzung.
Zur Person
Stollmann, geboren 1955 in Düsseldorf, studierte in Frankreich und den USA, gründete 1984 die Firma "CompuNet", die er 1996 an General Electric verkaufte. Ab Juni 98 war er Schröders Schattenminister für Wirtschaft und Technologie. Kurz vor der Vereidigung sagte er wegen Kompetenzgerangels mit Lafontaine ab. Danach segelte er mit Frau, fünf Kindern und Privatlehrern auf einer 40-Meter-Yacht zwei Jahre um die Welt. Heute betreibt er in Sydney eine Firma für Kreditkartenabrechnungen.
Fehlt uns Vertrauen in unsere Fähigkeiten?
Ja. Das ist auch ein wesentliches Versagen unserer Führungseliten. Wir können lange darüber reden, wie schrecklich es ist, dass es die polnischen Fliesenleger gibt. Oder wir können sagen, das ist ja eine fantastische Chance. So haben wir den Vorteil, vor der Haustür billige Arbeitskräfte zu haben und auf der anderen Seite einen explodierenden Weltmarkt. Wenn wir nur aufbrechen würden, anstatt hier die Konsequenzen der Umstrukturierung zu beklagen. Und so wie wir in Zukunftsdienstleistungen und -produkten expandieren, ziehen wir auch wieder die Menschen mit, die weniger qualifiziert sind.
Das klingt zynisch für jemanden, der gerade seine Arbeit verloren hat.
Ja, so mancher klagt, dass er nach vorzüglicher Ausbildung keine Chance auf Berufsausübung hat. Aber in jedem einzelnen Fall fällt mir etwas ein, das er tun könnte.
Sie waren bis 1986 CDU-Mitglied, sind für die SPD angetreten, argumentieren aber wie ein FDP-Mann. Haben Sie überhaupt eine politische Überzeugung?
Ich habe ein Menschenbild. Ich glaube, dass wir sehr viel mehr Vertrauen in unsere Menschen haben sollten, dass sie in Freiheit ihre Talente sehr viel besser verwirklichen können. Die weitestgehende Verstaatlichung unseres Lebens halte ich für nicht gut. Das Menschenbild lässt sich nicht an rechts oder links festmachen.
Wenn Frau Merkel auf Sie zukäme und Sie dasselbe fragte wie Schröder 1998, würden Sie noch mal ins Kabinett gehen?
Auf jeden Fall. Ich stehe aber nicht zur Verfügung, denn ich lebe mit meinen fünf Kindern in Australien. Aber ich bin Unternehmer. Wenn eine Regierung der Meinung ist, das Land braucht eine neue unternehmerische Kultur, ist es eine gute Idee, gestandene Unternehmer in die Regierung zu holen.