Seniorendesign "Die Hälfte der Funktionen rausschmeißen"

Seniorenprodukte gelten nicht gerade als sexy. Das muss nicht so sein. Der Designer Mathias Knigge berät Firmen bei der Entwicklung von Geräten, mit denen alle Kunden zufrieden sind - nicht nur ältere Konsumenten. stern-Redakteur Dirk Liedtke sprach mit dem Trendsetter und fand heraus: Senioren sind die neue Avantgarde.

Wieso braucht man überhaupt Seniorenprodukte? Genügen nicht einfach gut bedienbare Geräte?

Klar, das ist das Ziel. Aber um herauszufinden, was "gut bedienbar" überhaupt bedeutet, ist es wichtig, die Bedürfnisse von Senioren zu kennen, weil sie eine wichtige Zielgruppe sind, die auch in Zukunft immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Der Sinn von "Universal Design" ist ja, dass alle davon profitieren, jüngere wie ältere Menschen. Wir unterstützen Unternehmen dabei, ihre Produktpalette dahingehend zu prüfen, ob sie auch an alle gedacht haben.

Wie entwickelt man denn universell bedienbare Produkte?

Indem man Senioren in die Entwicklung mit einbezieht. Die seismografische Funktion der Älteren ist sehr wertvoll für unsere Arbeit. Sie sind nämlich viel sensibler für gewisse Probleme und Schwachstellen von Produkten. Und aufgrund ihrer langen Erfahrung als Konsumenten sind sie auch kompromissloser. Bei einem 65-Jährigen ist irgendwann der Punkt erreicht, wo er eine zu kleine Handy-Tastatur klar ablehnt.

Durch die Beschäftigung mit Senioren zu besseren Produkten für alle?

Wir haben für die Firma Stihl Motorsägen und Heckenscheren getestet. Dieses Unternehmen will sicher keine Spezialprodukte für Senioren herstellen, sondern innovative und immer bessere Lösungen anbieten. Von den von uns angeregten Verbesserungen profitieren unterschiedlichste Gruppen: ältere Schrebergärtner genauso wie weibliche Angestellte im Garten- und Landschaftsbau, ältere Mitarbeiter oder ungelernte Kräfte. Es macht Sinn, dass möglichst viele Menschen diese Geräte leicht nutzen können.

Mathias Knigge

Der Designer Mathias Knigge von der Hamburger Agentur Grauwert berät Firmen wie Tchibo oder Stihl bei der Entwicklung von Geräten, mit denen alle Kunden zufrieden sind - nicht nur ältere Konsumenten

Aber es gibt doch immer mehr Seniorenprodukte?

Ja, das sind die klassischen Hilfsmittel, die klar auf Einschränkungen des Alters abzielen. Aber auch hier gibt es inzwischen einen ganz anderen Anspruch ans Design, denn immer öfter zahlt man selbst und nicht mehr die Kasse. Für Tchibo haben wir gerade Einstiegshilfen und Sitzgelegenheiten fürs Bad gestaltet. Mit dem Alter verliert man ja nicht zwangsläufig seinen Sinn für Ästhetik.

Dann machen also die Anbieter von speziellen "Seniorenhandys" alles falsch?

Wenn Sie mehr als nur ein Nischenprodukt anbieten wollen, ja. Völlig überdimensionierte Geräte oder Drei-Tasten-Telefone befremden und sprechen nur wenige Konsumenten an. Für die wachsende Gruppe der aktiven Alten greift dieses Konzept nicht, denn sie wollen sich nicht über Gebrechen definieren, sondern wünschen Produkte, die einen Mehrwert für sie haben. Warum wird nicht die Chance ergriffen, elegante und reduzierte Lösungen zu gestalten, die sich des Images eine Art "iPhone" für Alte.

Welche Überraschungshits unter Senioren haben Sie beobachtet?

Die A-Klasse von Mercedes, die war eigentlich als Junge-Leute-Auto konzipiert. Doch der große Einstieg und die hohe Sitzposition entspricht den Wünschen Älterer. Ein unfreiwilliger Zufallstreffer, denn der Boden war für Versionen mit alternativen Energiekonzepten erhöht worden, zur Freude der älteren Kundschaft.

Und wo ist Nachholbedarf?

Im Unterhaltungselektronik-Markt klafft eine große Lücke. Weniger wäre mehr - wie bei einer klassischen Bang&Olufsen-Anlage. Warum schmeißt man nicht einfach die Hälfte aller Funktionen raus?

Aber heutzutage kommen doch selbst Senioren mit einem PC klar!

Das ist ein Trugschluss. Die Technik entwickelt sich so schnell weiter, dass man sagen kann: Auch wer mit Computern groß geworden ist, kommt irgendwann an einen Punkt, wo er aufhört, technische Veränderungen für sich zu adaptieren.

Welche Seniorenprodukte wünschen Sie sich für den Haushalt?

Warum gibt es keine Herdplatten und Bügeleisen, die sich bei Nichtgebrauch automatisch abschalten? Man schließt die Haustür und weiß, dass alles in Ordnung ist...

Brauchen Senioren also ein intelligentes Haus?

Die Menschen wollen zu Hause alt werden und brauchen dort Unterstützung. Technische Hilfen werden natürlich dazugehören. Genauso wie man sich jetzt schon beim Discounter ein Blutdruckmessgerät kauft, werden mit der Zeit auch andere medizinische Aspekte in den Haushalt verlagert. In Japan messen schon heute hoch technisierte Toiletten Zuckerwerte, Körpertemperatur und das Gewicht.

Big Brother im Bad?

Das nicht, aber der kontinuierliche Gesundheitscheck gibt Sicherheit. Statt der totalen Überwachung soll die selbstständige Lebensführung unterstützt werden. Die Produkte dazu werden allerdings anders aussehen als jetzt in Japan. Für plüschige Kuschelroboter fehlt uns in Europa das Verständnis.

Interview: Dirk Liedtke

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