Ein Einkaufsbummel am Sonntagnachmittag, ein neuer Wintermantel nach dem Theaterabend oder eine aktuelle CD früh morgens um vier: Wie viele Kunden dafür wirklich Geld ausgeben wollen, wissen selbst die deutschen Einzelhändler nicht so genau. Von Freitag 17. November an können sie es ausprobieren - in Berlin. Als erstes Land gibt die Hauptstadt den seit 50 Jahren bundesweit verbindlichen Ladenschluss weitgehend frei und erlaubt Geschäften an Werktagen die Öffnung rund um die Uhr. Die Branche in anderen Bundesländern, die den Ladenschluss bald ebenfalls lockern wollen, dürfte den Praxistest aufmerksam verfolgen.
Drei Länder ziehen nach
Denn nach Vorreiter Berlin haben auch Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz ihre Ladenöffnungszeiten erweitert. (siehe Grafik). Im Zuge der Föderalismusreform war die Zuständigkeit für den Ladenschluss auf die Länder übergegangen. So haben sie die Möglichkeit, über die Ladenöffnungszeiten zu entscheiden, um den, wie es in einem Gesetz heißt "veränderten Arbeits-, Lebens- und Konsumgewohnheiten der Menschen gerecht" zu werden.
Die Liberalisierung hat Gegner und Befürworter. "Der hektische Einkauf nach Feierabend oder in der Mittagspause gehört damit der Vergangenheit an", sagte Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU). Das Ladenschlussgesetz sei "ein Wirtschaftsfördergesetz originärer Struktur" sowie Beitrag zur Deregulierung und Entbürokratisierung im Handel, sagte Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Reiner Haseloff (CDU). Dagegen sagte Barbara Steffens, Grünen-Politikerin im Düsseldorfer Landtag, die Regelung sei arbeitnehmer- und familienfeindlich. Außerdem würden inhabergeführte Geschäfte durch die Neuregelung vom Markt verdrängt.
"Burn-Out-Syndrom"
Experten kritisierten, die Freigabe der Ladenzeiten werde den Trend zur Arbeit rund um die Uhr verstärken. Bereits jetzt arbeiteten mehr als 17 Millionen Menschen in Deutschland zumindest gelegentlich nachts, am Wochenende oder in Wechselschichten. In der Folge nehme das Potenzial familienfreundlicher Arbeitsplätze immer weiter ab, erklärte Hartmut Seifert, Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
Auch Gewerkschaften und Kirchen protestieren gegen die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten. Dies wirke sich nachteilig auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten aus. Margot Käßmann, Landesbischöfin von Hannover, befürchtet zudem ein "Burn-Out-Syndrom, wenn alle rund um die Uhr shoppen".
Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) kündigte Aktionen für den Schutz der Beschäftigten an. Es gehe den Verantwortlichen um die Einführung einer "Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft, in der die Beschäftigten zu einer reinen Verfügungsmasse reduziert werden", sagte KAB-Bundesvorsitzender Georg Hupfauer.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kritisiert die erweiterten Ladenöffnungszeiten als mittelstands- und familienfeindlich. Die Freigabe werde zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen führen. Große Geschäfte würden profitieren, kleinere hätten dagegen das Nachsehen. Zudem warnt die Gewerkschaft, dass die Liberalisierung sogar zu Personalabbau führen könnte, da längere Öffnungszeiten Mehrkosten verursachen würden.
Bayern wartet noch
In Bayern scheiterte der Wunsch der Landesregierung nach Freigabe der Öffnungszeiten vorerst am Widerstand der CSU-Landtagsfraktion. Eine Entscheidung über die Veränderung der Ladenöffnungszeiten wird es nach Worten von CSU-Generalsekretär Markus Söder frühestens in einem Jahr geben.
In Brandenburg und Thüringen sollen entsprechende Gesetze in den nächsten Tagen verabschiedet werden. Schleswig-Holstein plant die Freigabe für Anfang Dezember. In Mecklenburg-Vorpommern prüft das Wirtschaftsministerium, ob in den Adventswochen eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten an den Werktagen verwirklicht werden kann. Eine Änderung des Ladenschlussgesetzes kam bisher nicht zu Stande.